Max Bruch: Einige Pressestimmen (1863-1887)

Als Ergänzung der Einführungstexte, die ich zu den drei cpo -Produktionen mit Max Bruchs Violinkonzerten und Konzertstücken geschrieben habe, sind nachfolgend die zwei großen Portraits wiedergegeben, die Hermann Deiters 1869 in den Ergänzungsblättern zur Kenntniß der Gegenwart (1869) sowie Max Bruchs langjähriger Freund Rudolf von Beckerath im folgenden Jahre im Musikalischen Wochenblatt (Nrn. 49-51) publizierten. Dieses neue Leipziger Periodikum, das der Musikwissenschaftler Oscar Paul (»Die absolute Harmonik der Griechen«) gegründet und in den ersten Monaten als Redakteur geführt hatte, erschien im Verlage Ernst Wilhelm Fritzsch, der nach etwa einem Vierteljahr auch die Schriftleitung übernahm. Das hier wiedergegebene Portrait des damals 32-jährigen Komponisten wurde nach dem im Musikalischen Wochenblatt abgedruckten Kupfer bearbeitet. Interessant ist ferner die Recension der Zwei Clavierstücke op. 14, die Hermann Deiters bereits 1863 für die Allgemeine Musikalische Zeitung  verfaßte – die Position des Betrachters scheint sich im Laufe der sechs Jahre ein wenig verändert zu haben.

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Nach dem Abschluß der konzertanten Serie und der Veröffentlichung des bemerkenswerten Konzertes für zwei Klaviere op. 88a hat sich cpo auch der drei Symphonien angenommen, die Max Bruch zwischen 1868 und 1882 komponiert hat. Da sich während der Arbeit an dem zugehörigen Essay herausstellte, daß mich die zumeist halbherzigen, wenn nicht gar unfreundlichen Rezensionen der zeitgenössischen Kritik von meiner persönlichen Entdeckung – daß nämlich die symphonische Troika besser ist als ihr Ruf – abgelenkt hätten, ich andererseits aber die zum Teil durchaus lesenswerten Texte nicht unterschlagen will, seien hier einige der markantesten Pressereaktionen mitgeteilt.

Die Symphonie Nr. 1 Es-dur op. 28 wurde am 26. Juli und 16. August 1868 in den sogenannten »Loh-Konzerten« zu Sondershausen uraufgeführt. Gleich danach muß Max Bruch den zweiten der ursprünglich fünf Sätze – ein Intermezzo in H-dur – zurückgezogen haben, denn seit der weithin beachteten Premiere, die am 22. Oktober 1868 unter der Leitung des Komponisten im dritten Abonnementskonzert des Leipziger Gewandhauses stattfand, ist nur noch von den heute üblicherweise gespielten vier Sätzen die Rede (die cpo-Produktion stellt erstmals den alten Zusammenhang wieder her). Die Publikumsresonanz war anfangs sehr vorteilhaft, wenngleich einige Rezensenten dem Werk mit gemischten Gefühlen begegneten und vor allem die Wiener Journaille nach der lokalen Erstaufführung vom 13. Februar 1870 kein gutes Haar an der Novität ließen.

Dem Widmungsträger Johannes Brahms scheint diese Reaktion der schreibenden Zunft recht peinlich gewesen zu sein, denn in seinem berühmten Brief (der übrigens vom Herausgeber falsch datiert wurde und so zu der irrigen Annahme führte, das Konzert habe erst am 20. Februar stattgefunden) beschönigt er die Ereignisse, derweil er den Adressaten dezent vor den kommenden »Verrissen« warnt: »Beim Hinausgehen und im Lauf des Tages sprach ich eine ziemliche Anzahl Kritiker. Nun, Sie wissen, wie diese mit uns, ihren Pflegebefohlnen, umzugehen lieben; da Sie sich indessen mehr als ich für alles, was mit Aufführungen zusammenhängt, zu interessieren scheinen, so möchte ich doch nicht, daß die Liebkosungen dieser Herren die einzige Nachricht diesmal seien. – Die Sinfonie ging wirklich ganz vortrefflich – durchaus. Sie wurde in allen Sätzen ohne Widerspruch applaudiert. Namentlich das Scherzo hatte einen ganz ungewöhnlichen Beifall,« behauptete er in rücksichtsvoller Erwartung der Dinge, die während der nächsten Tage gedruckt werden sollten.

Dessen ungeachtet blieb das Opus 28 lange Zeit Bruchs mit Abstand beliebteste Symphonie. Bald nach Sondershausen und Leipzig kam sie in Bremen, Hamburg und Berlin heraus, bevor sie ihr Schöpfer binnen weniger Tage in Köln und Krefeld (16. bzw. 22. Februar 1869) dirigierte. Es folgten eine sehr erfreuliche Aufführung in Wiesbaden sowie eine solche am Prager Konservatorium, wo dem Werk wahre Ovationen zuteil wurden. Daß das Werk bei seiner Leipziger Reprise (1873) dem anwesenden Criticus etwas verbraucht erschien, mag an der Gemütsverfassung desselben gelegen haben – man sollte eben der ewigen Jagd nach immer neuen Nervenreizen nicht allzu bereitwillig die gründlichere Inspektion des Vorhandenen opfern …

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Die Symphonie Nr. 2 f-moll op. 36 hatte sich der Komponist ursprünglich als den tragischen Mittelteil einer Trilogie gedacht, an deren Ende die (damals noch als Opus 38 gezählte) dritte Symphonie in E-dur hätte stehen sollen – und es wäre durchaus denkbar, daß sich das unmittelbare Nacheinander der düsteren, erst gegen Ende versöhnlicheren Zweiten und der »rheinischen« Dritten auf die Rezeption beider Teile vorteilhaft hätte auswirken können.

Ohne diese »Auflösung« ward dem Opus 36 wenig Erfolg zuteil. Durch das Leipziger Gewandhaus zog ein eisiger Wind, als Max Bruch die Neuheit am 24. November 1870 aus der Taufe hob, wie die Signale für die musikalische Welt vom 28. November sowie das Musikalische Wochenblatt und die Neue Zeitschrift für Musik vom 2. Dezember einhellig berichten. Kaum besser fuhr das Werk am 25. Februar 1871 in Berlin, wo es in der siebten Symphoniesoirée des Königlichen Opernhauses unter der Leitung von Wilhelm Taubert gegeben wurde (nachdem man dem Komponisten ausdrücklich die Teilnahme an den Proben untersagt hatte): Am 1. März kommentierte die Neue Berliner Musikzeitung das Ereignis, auf das am 28. April auch die Neue Zeitschrift für Musik einging.

Eine rühmliche Ausnahme bildete Sondershausen, wo Max Bruchs zweite Symphonie am 6. August 1871 unter Max Erdmannsdörfer gegeben und sogleich vom anwesenden Kritiker in der Neuen Zeitschrift für Musik mit großem Verständnis begutachtet wurde.

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Noch kürzer gestaltet sich die »Presseschau« zu Max Bruchs dritter Symphonie E-dur, die schließlich die Opuszahl 51 erhielt. Trotz mannigfacher Skizzen und der Idee, das ursprünglich für die Es-dur-Symphonie geschriebene Intermezzo H-dur in das neue Werk zu übernehmen, blieb die Arbeit liegen, bis der Dirigent Leopold Damrosch im Sommer 1882 mit seinem Auftrag für die New Yorker Symphony-Society eine Wiederaufnahme des Fadens anregte. Die Premiere in der Neuen Welt fand am 17. Dezember ‘82 statt, und als Bruch im Frühjahr des folgenden Jahres in die USA kam, konnte er sein Werk nicht nur hören, sondern auch einmal selbst dirigieren. Nach einigen Revisionen vergingen drei weitere Jahre, bis der Komponist sein Opus 51 schließlich am 26. Oktober 1886 im zweiten Abonnementskonzert des Breslauer Orchestervereins vorstellen konnte. Der Premiere schloß sich am 2. Dezember die Leipziger Erstaufführung an, worauf das Musikalische Wochenblatt am 9. Dezember und die Neue Zeitschrift für Musik einen Tag später einging. Am 9. Dezember ‘86 brachte Joseph Joachim die Symphonie in einem Konzert der Berliner Philharmonischen Gesellschaft zu Gehör (die Signale für die musikalische Welt »würdigten« das Ereignis in ihrem zweiten Januar-Heft), und auch in Hamburg fand die Neuheit einen erstklassigen Anwalt – Hans von Bülow, der am 11. Januar 1887 für das »verspätete« Schlußstück der Trilogie eintrat (s. Musikalisches Wochenblatt vom 12. Februar 1887). Auch ihm wollte es freilich nicht gelingen, die bescheidene Lebensbahn dieses Werkes zu verlängern, das erst vor dem Hintergrund der beiden älteren Geschwister seine ganze Wirkung entfaltet.

(E van den Hoogen)