… Aufgetriebenheiten und Aufbauschungen aller Art …

vom 28. November 1870 (Nr. 52)
(Leipzig)

 

Da ist zuerst Herr Max Bruch mit einer zweiten Sinfonie, welcher uns eine Enttäuschung bitterster Art bereitet hat. Wir erwarteten nämlich in dieser Sinfonie ein Erzeugniß, welches einen Fortschritt des Herrn Bruch auf dem Felde der sinfonistischen Composition bekunden sollte, oder doch wenigstens eine Arbeit, die seiner ersten Sinfonie (in Esdur) nicht nachstehen würde. Aber er blieb sogar hinter unsrer letztern billigern Erwartung zurück, und ließ uns ein Werk vernehmen, in dem der Quell der Erfindung noch viel, viel spärlicher rieselt, als in dem angezogenen frühern, und in dem jenes Minimum von Erfindung durch noch größern Aufwand von Aufgetriebenheiten und Aufbauschungen aller Art bemäntelt werden soll. Der Luxus, der in den drei Sätzen dieser Sinfonie mit Trugschlüssen, Vorhalten, Durchgängen, Dissonanzen sc. getrieben wird, ist ganz ungeheuer, und die Unrast und Verschwommenheit, die sich dadurch ergiebt, ganz unerträglich. Dabei ist meist Alles so undurchsichtig und compakt gehalten, daß man die Motive, die hin und wieder aufleuchten, wie durch einen dicken Nebel gewahrt, oder daß man behufs Aufsuchens der thematischen Fäden erst allerhand harmonisches Gestrüpp zu durchbrechen und instrumentalen Moorgrund zu durchwaten hat. Zu dem Allen kommt nun noch ein nur geringes Auseinanderhalten der drei Sätze bezüglich der Stimmung, d.h. die drei Sätze sind fast ganz gleichmäßig in einem hochgestelzten Pathos und murrsinnigen Düster gehalten und heben sich fast gar nicht von einander ab, was eine grenzenlose Monotonie und Langweiligkeit erzeugt und erzeugen muß. Das Einfügen eines Scherzo (des Satzes, der ja ohnehin den Componisten unsrer Tage am besten gelingt), sowie dann etliches Kürzen der übrigen drei Sätze dürfte der Sinfonie vielleicht etwas auf die Beine helfen – wenn sie leider nicht schon gedruckt wäre. Daß wir mit unserm Urtheil über Herrn Bruch’s Werk nicht allein stehen, beweist wohl die eisige Aufnahme, welche ihm auch seitens des Publicums zu Theil wurde.
Eduard Bernsdorf