… zum Theil in falsches Pathos umgeschlagen …

vom 2. Dezember 1870
(Leipzig)

 

Finden wir es diesem Lied [Walthers Preislied] gegenüber, da dasselbe bereits die Bunde in Deutschland gemacht hat, überflüssig, mehr als unsere Freude über die Begegnung an diesem Orte auszusprechen, so ist es geboten, bei der ersten der diesmaligen Novitäten, Max Bruch’s zweiter Symphonie in F-moll, welche in der hiesigen Aufführung überhaupt ihre erste erlebte, etwas länger zu verweilen. Wir wollen gleich von vornherein das Factum hinstellen, dass dieses Werk, vom Orchester unter Leitung des Autors executirt, keine Gnade beim Publicum fand. Die frostige Aufnahme erklärt sich jedoch in diesem Falle nicht unschwer. Das Publicum der Gewandhausconcerte, in Folge der Aengstlichkeit, mit welcher bei Aufstellung der Programme alle ausserhalb der Bahnen Mcndelssohn’s, sowie über das Verständniss der populärsten Schumann’schen Werke hinaus liegenden Erscheinungen vermieden werden, die Novitäten übcrhaupt mehr nach Seite des Sinnlichen, leicht ins Gehör Fallenden beurtheilend und in seiner grossen Mehrheit in dieser Beziehung nie einen tieferen Kunstsinn, als jedes andere grossstädtische Concertauditorium offenbarend, fand in den ihm bisher vorgeführten Bruch’schen Werken stets etwas für seinen Geschmack; die letzterem von diesem Componisten gemachten Concessionen waren oft unverkennbar. In seiner zweiten Symphonie nun weicht derselbe hierin absichtlich von dem seither gewandelten Wege ab, schon die äussere Form – die Anzahl und Anordnung der Sätze: Allegro moderato in F-moll als erster, Adagio in C-moll als zweiter und das sich ohne Unterbrechung anschliessende gemässigte Allegro in F-dur als dritter Satz, mithin auch das Verzichten auf das leicht mit Glück zu handhabende moderne Scherzo – deutet darauf hin. Leider hat nun aber das anerkennenswerthe Streben nach höchsten Zielen wenigstens in diesem Versuche nicht die ihm entsprechenden künstlerischen Früchte gezeitigt. Die schöpferische Ader des Hrn. Bruch, erzürnt ob des Zwanges in ein anderes Gemäss und vielleicht auch etwas angegriffen durch die Unausgesetztheit, in welcher ihr Gebieter in letzter Zeit sie springen machte, zeigt ein gezwungenes Gesicht, ihre ansprechende Ausdrucksweise ist zum Theil in falsches Pathos umgeschlagen; einige Lichtpuncte, so beispielsweise gleich der erste wuchtige Anlauf, entschädigen nicht für die übrigen Schatten. Sind wir selbst nun ebenfalls nicht recht durch diese Symphonie befriedigt worden, so erkannten wir aus ihr doch das oben angedeutete Bestreben und nehmen sie als ein Unterpfand für sicher nachfolgende, hoch über den Tagesbedürfnissen stehende Schwestern.