… ein tiefes, bedeutendes Werk …

vom 11. August 1871
(Sondershausen)

 

Ich komme zum elften Concert (vom 6. August). … Im elften Concert war aber ein Bruch in das illustre Triumvirat gekommen. Das Programm lautete: Rakoczy-Marsch, symphonisch bearbeitet von Liszt, Lear-Ouverture von Berlioz, »Mazeppa« von Liszt, zweite Symphonie (Fmoll) von Max Bruch, Faust-Ouverture von Wagner. Es ist überflüssig, die beiden großen Ouverturen Lear und Faust – Muster ihrer Gattung – ausführlicher zu beleuchten; Dank unserem Erdmannsdörfer, daß er letztere der Vergessenheit, zu der sie bei uns verdammt schien, wieder entriß. Noch länger hatten wir »Mazeppa« nicht gehört: Wir sahen ihn dahinrasen, den ritterlichen, kühn trotzenden Helden, von seinen Verfolgern auf das wilde Steppenroß geschmiedet, dahinjagen, bis das Roß niedersinkt, sahen, wie er dann herrlich sich zeigt, begrüßt von Fanfaren. Welch’ mächtige Wirkung äußerten die Töne, in denen der Meister ihn und sein Geschick schildert! – In dem symphonisch bearbeiteten Rakoczymarsch lernten wir ein neues geniales Werk des Meisters kennen. – Daß Bruch’s Symphonie ein Stück des herrlichen Programmes bildete, ist wohl als eine Anerkennung, als eine Ehre für den Componisten aufzufassen. Sie paßte zu dem Andern, denn sie ist unverkennbar mit neudeutschem Geiste gesättigt. Ein Unbefangener kann nicht einstimmen in das Verdammungsurtheil, welches an andern Orten über das Werk gefällt worden. Ich meine, daß dasselbe ein tiefes, bedeutendes Werk ist, daß es in keiner Weise die wegwerfende Kritik verdient, die, selbst von Anhängern des Classicismus, zu welchem, wie man sagt, der Componist sich mit dem Munde bekennt, ausgesprochen worden ist. Wenn der sonst geistreiche Feuilletonist der Nationalzeitung, im Uebrigen einer der verbissensten und ungerechtesten Gegner von Liszt und Wagner (nach seinem Artikel in No. 106 der Nat. Ztg.) in Br.’s Symphonie eine »Scheu vor allen schärfer umschriebenen melodischen Gebilden«, eine »Abwesenheit Plastisch gegliederter Gedanken« entdeckt und sich außer Stande gesehen hat, »den Faden der Entwicklung festzuhalten«: so können nur Mängel der Aufführung, welcher er beigewohnt, die Schuld tragen; wir wünschen ihm deshalb, daß er die Symphonie einmal von der Sondershäuser Hofcapelle hören möge, und sind überzeugt, daß er dann. was er vermißt, sicher finden wird: sehr edle melodische und plastisch gegliederte Gedanken (hauptsächlich im 2. und 3. Satze). Dagegen muß man dem Feuilletonisten darin beipflichten, daß die Verwandtschaft mit der »neuromantischen« Schule in Br.’s Fmoll-Symphonie noch deutlicher hervortritt, als in früheren Werken, und daß sich der Componist der Wagner’schen instrumentalen Farbenpracht auch hier mit Glück bedient, wobei auch der 2. Satz manche intime Beziehung zum Adagio der Beethoven’schen neunten Symphonie nicht verleugnet. Ich nehme beispielsweise Bezug auf S. 112 und 113 und S. 118-120 der Partitur (den wuchtigen Schlägen der Trompeten, Posaunen aus dem ersten, der andern Bläser auf dem zweiten Takttheil, umspielt von Sechzehntelsextolen des Streichquartetts, tritt das schöne Eingangs- und Hauptthema in imposanter Pracht hinzu). Sei es denn: die Symphonie ist, wie gesagt, unleugbar voll eminenter Schönheiten und wird – ich zweifle nicht daran – auch ihrer Wirkung sicher sein, wenn man die Mittel hat, und bei vorhandenen Mitteln sich die Mühe nimmt, sie so vollendet auszuführen, wie dies hier geschieht.