… ans Volksthümliche streifende Melodien …

vom 5. März 1869
(Berlin)

 

… die beiden neuesten Werke von Bruch: das Violinconcert und die Symphonie in Esdur. Beide haben miteinander gemein die bei diesem Componistcn gewohnte künstlerische und gewandte Anlage, den leichten natürlichen Fluß der Melodie und die geschickte, wirksame Instrumentation. Einen tieferen Eindruck, als den durch die genannten Eigenschaften zu erzielenden, habe ich (bei freilich nur einmaligem Hören) nicht erhalten; es versteht sich, daß unter solchem Mangel namentlich die Symphonie zu leiden hat, eine Form, welche vor allen anderm aus Tiefe Anspruch macht. Der Schwerpunct der Bruch’schen Compositionen liegt in der frischen, einfachen und sanglichen, oft ans Volksthümliche streifenden Melodie, nicht in der Polyphonie, und diese Eigenthümlichkeit verweist ihn aus das Gebiet des Liedes und mit demselben verwandter Formen sowie der Oper. In der Symphonie wird er voraussichtlich durch künstlichen Tiefsinn sich untreu werden und zum hohlen Pathos neigen oder, wenn er sich treu bleibt, Unsymphonisches schreiben. Von Beidem finden sich in dieser Esdur-Symphonie Beispiele. Ein vollendetes Stück ist der zweite Satz, das Scherzo, in mancher Einzelnheit an Mendelssohn erinnernd, im Ganzen aber von eigenartigem Humor erfüllt und von glücklichster Wirkung der Instrumente – eine Eigenschaft, welche nicht allen Sätzen dieser Symphonie, am Wenigsten dem mit Blech überladenen vierten (ich setze die Ausführung als vorschriftsmäßig voraus) nachzurühmen ist. –