… ein anschauliches Bild echt Shakespear’scher Komik …

vom 1. April 1870
(Wiesbaden)

 

Am 4. fand die 5. von der hiesigen Theatercapelle unter der tüchtigen Leitung ihres Capellmeisters Jahn gegebene Symphoniesoirée statt. Eröffnet wurde dieselbe mit einer Novität, der ich von Vornherein trotz ihrer mannichfachen Schwächen das Prädicat: gut zolle, es war dies: Symphonie Es-dur (Op. 28) von Max Bruch. Der Componist hat als Vorzüge zwei Factoren, die schon ohnehin für den echten Musiker unentbehrlich sind, und diese sind strotzende Gesundheitsfülle und gute, lebensfähige Melodik. Zum Unterschiede von den weitschweifigen Formverhältnissen betreffs der Thematik mancher neuesten Compositionen weisen die Werke Bruch’s streng gegliederten Satzbau und gesunde Frische auf. Hauptsächlich hat sich Bruch in den Musiker- als Diletantenkreisen [!] sowohl bis jetzt einen höchst achtbaren Namen durch seine Werke für Männergesang und Orchester erworben, und die Mannskraft, die urdeutsche Freiheit, welche diese Compositionen athmen, giebt sich auch in dieser Symphonie kund. Bruch hätte sowohl im ersten wie im letzten Satz besseres leisten können, jedoch das Scherzo trägt wieder, wie schon oben bemerkt, zum grossen Unterschiede von der Mendelssohn’schen Behandlungsweise dieser Sätze und dessen Epigonen, Bruch’s Vorzüge zur Schau. Er schlägt derb hinein in das Gewühl der Töne und liefert uns ein anschauliches Bild echt Shakespear’scher Komik; auch das dem Finale vorhergehende Grave ist gut gearbeitet und die Themen sind auch sehr prägnant. Hoffen wir, dass uns Bruch in seiner nächsten Symphonie in die Schatzkammer seines Genius führen und dann nur seine Vorzüge zur Geltung bringen möge. —