… mit poetischen Zügen und eigenthümlichen Effecten reich ausgestattet …

… bis Carl Goldmark der Ouvertüre zu Kalidasas Schauspiel Sakuntala op. 13 ein zweites dramatisch orientiertes Orchesterwerk folgen ließ. Dieses Mal war es Heinrich von Kleists Tragödie von der Amazonenkönigin Penthesilea und ihrer unseligen Liebe zu Achilles, dem Helden von Troja, die den Komponisten inspirierte. Bevor das Werk nach Wien kam, hat es nach allem, was uns die Pressestimmen verraten, bereits einen recht glücklichen Weg hinter sich gebracht, der, so weit sich das bislang nachvollziehen läßt, in (Buda)Pest begann. Die Neue Freie Presse meldet jedenfalls am 15. November 1879:

• Karl Goldmark’s »Penthesilea«-Ouvertüre wurde in dem am Mittwoch [12.11.] stattgehabten Concerte der Pester Philharmonischen Gesellschaft zum erstenmale öffentlich gespielt und errang, wie man uns meldet, einen sehr großen Erfolg. Der zufällig in Pest weilende Componist wurde gerufen und mußte wiederholt erscheinen. Auch das Clavier-Quintett Goldmark’s wurde jüngst in den trefflichen Pester Quartett-Soirée des Concertmeisters Krancsevics als Novität gespielt und fand bei den Zuhörern eine enthusiastische Aufnahme. Der schwierige und entscheidende Clavierpart wurde durch den Pianisten Willy Deutsch in ausgezeichneter Weise besorgt.

☞ Mehr dazu ist in dem Musikbrief aus Budapest zu lesen, den das Musikalische Wochenblatt am 6. Februar 1880 herausbrachte:

• Die Philharmoniker gaben bisher drei Concerte. Im ersten hörten wir die von Hellmesberger orchestrirte Emoll-Violinsonate von Bach und die von Esser transscribirte Toccata von demselben Meister. Insbesondere die zweite mächtig dahinbrausende Composition machte grosse Wirkung. Goldmark’s »Penthesilea«-Ouverture ist ein würdiges Pendant zu desselben Autors berühmter »Sakuntala«-Ouverture. Letztere gleicht einer tropischen Landschaft in saftiger Farbenpracht; »Penthesilea« hingegen erinnert an ein düsteres Alpenbild voll eisbedeckter Bergesgipfel.

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☞ Eine überraschende Nachricht haben die Signale für die musikalische Welt für ihre Leserschaft im letzten Heft des Jahres 1879 bereit. Demnach wurde die Ouvertüre am 6. Dezember 1879 im zweiten Concert der New York Symphony-Society aufgeführt. In einem Ende Dezember verfaßten Musikbrief aus New York, den das Musikalische Wochenblatt am 12. März 1880 abdruckt, weiß der in die USA ausgewanderte Klavierlehrer Alfred von Livonius (1846-1916) genaueres: Demnach dirigierte Leopold Damrosch neben Mozarts Jupiter-Symphonie, der F-dur-Toccata BWV 540 von Johann Sebastian Bach in der Orchesterfassung von Heinrich Esser und Beethovens dritter Leonoren-Ouvertüre die Goldmark’sche Neuheit, die »sich eines grossartigen Erfolges zu erfreuen hatte«. Sie bildete … weiter

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Theodor Thomas (1835-1905)

☞ Ähnlich gemischt ist das Programm, in das Goldmarks Penthesilea am 17. Februar bei dem Konzert der New Yorker Philharmonic Society unter der Leitung von Theodor Thomas eingebettet ist: Adagio und Fuge c-moll KV 546 von Wolfgang Amadeus Mozart, die vierte Symphonie von Ludwig van Beethoven sowie Vorspiel und Liebestod aus Richard Wagners Tristan und Isolde leisten der tragischen Heldin an jenem denkwürdigen Dienstag Gesellschaft. (Spezifische Kommentare habe ich bislang nicht entdecken können.)

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Während man in Wien noch immer auf die Premiere der Ouvertüre warten muß, können sich die Kurgäste im vornehmen Carlsbad bereits im Juni 1880 ein Bild von der neuen Schöpfung machen, denn »zu Ehren des hier ebenfalls die Cur gebrauchenden Componisten Carl Goldmark [wurden] von dessen Compositionen aufgeführt: ›Sakuntala‹- und ›Penthesilea‹-Ouverturen, die fünfsätzige Symphonie ›Ländliche Hochzeit‹, Stücke aus der ›Königin von Saba‹, nach der Symphonie wurde der bei der Aufführung anwesende Componist lebhaft acclamirt.« (Musikalisches Wochenblatt vom 16. Juli 1880)

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Die Wiener Premiere findet schließlich am Sonntag, den 5. Dezember 1880, unter der musikalischen Leitung von Hans Richter statt. Dabei muß sich Penthesilea mit dem zweiten Uraufführungsplatz begnügen, denn nach Beethovens Fidelio-Ouvertüre spielt der Pianist Emil Smietanski das Klavierkonzert b-moll op. 27 von Robert Fuchs, das zwar einen freundlichen Empfang erlebt, in den Augen und Ohren der Pressevertreter aber eher zwischen respektvoller Ablehnung und distanzierter Höflichkeit changiert. Goldmarks Ouvertüre polarisiert deutlicher und liefert damit weit brisanteren Zündstoff als die Musik des siebzehn Jahre jüngeren Kollegen.

Was in Wien und anderswo von dem philharmonischen Ereignis zu lesen war, ist hier in der chronologischen Folge des Erscheinens aufgelistet und wiedergegeben:

  1. 1
    Neue Freie Presse vom 7. Dezember 1880
  2. 2
    Die Presse vom 14. Dezember 1880
  3. 3
    Neue Zeitschrift für Musik vom 1. Januar 1881
  4. 4
    Montags-Revue aus Böhmen vom 10. Januar 1881
  5. 5
    Musikalisches Wochenblatt vom 17. Februar 1881

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Daß Penthesilea bald im In- und Ausland nachgespielt wird, kann angesichts der Bekanntheit, die der Komponist der Königin von Saba inzwischen erreicht hat, nicht verwundern. Sie erreicht zwar nicht die Beliebtheit die Popularität ihrer älteren Schwester Sakuntala, doch immer sorgt sie in Kritikerkreisen für genügend Zündstoff, während das Publikum regional und national unterschiedlich reagiert.

☞ Im Januar 1881 heißt es aus Mainz:

• Das vierte Symphonieconcert unserer städtischen Capelle brachte die Pastoralsymphonie und Goldmark’s Ouverture zu »Penthesilea«, beide Werke in trefflicher prägnanter Ausführung und scharfer Nüancirung. Verschieden war der Eindruck, den die Goldmark’sche Ouvertüre hinterließ: begabte und kenntnißreiche Musiker erschöpften sich in Lobeserhebungen, nicht weniger gebildete Freunde der edlen Kunst schlugen dagegen die Hände über dein Kopf zusammen über den unentwirrbaren Klang- und Tonverbindungen. Ich neige offen gesagt mehr zur letzteren Seite, wie das ehrlicherweise Jeder thun muß, der zum ersten Mal mit der Ouvertüre Bekanntschaft hat. (Neue Zeitschrift für Musik vom 21. Januar 1881)

☞ In London setzt sich Hans Richter für das Werk ein:

• Im dritten Concert (19. Mai) hörten wir zuerst Ouvertüre, Scherzo, Notturno und Marsch aus dem »Sommernachtstraum« von Mendelssohn. Dann spielte Mr. Walter Bache auf treffliche Weise das F moll-Concert von Chopin, und hierauf folgte Goldmark’s »Penthesilea«-Ouverture, die aber keinen besonders günstigen Eindruck machte. Auch Cowen’s Skandinavische Symphonie, die das Concert beschloss, wollte das Publicum nicht recht begeistern. (Musikalisches Wochenblatt vom 18. August 1881)

☞ Für Carlsbad ist Goldmarks Penthesilea keine Unbekannte mehr, als sie im Frühjahr 1890 zur »Anwendung« kommt:

August Labitzky (1832-1903)

• Wie alljährlich hat auch heuer der »wunderschöne Monat Mai« die Saisoneröffnung und damit jenen Theil der Kurkapelle gebracht, welcher den Winter hindurch fern weilte. Der zweite Mai versammelte bereits ein zahlreiches musikfreundliches Publikum in den Hallen des Posthofes, wo an diesem Tage das erste diesjährige Symphonie-Koncert der gesammten Kurkapelle stattfand. Der rastlos strebende Director derselben, Herr August Labitzky, war auch diesmal den Winter über nicht unthätig gewesen und so hatten wir das Vergnügen, ein Orchester zu hören, welches den höchsten Anforderungen der Kunst gewachsen ist. […]

Die zweite Nummer, Goldmark’s Ouvertüre zur »Penthesilea«, bot dem Orchester Gelegenheit, all’ sein Können einzusetzen, und es hat dies auch gethan. Die Komposition ist vermöge ihrer Länge eigentlich eine symphonische Dichtung und gehört nicht zu den dankbarsten Orchesterwerken Goldmarks.

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Wien hört das Werk erst nach zwölf Jahren und vier Monaten wieder – am Anfang des im philharmonischen Sonntagskonzertes vom 9. April 1894, das unter der Leitung von Hans Richter mit Richard Wagners »Charfreitagszauber« und der »Ciaccona« von Johann Sebastian Bach in Josef Joachim Raffs Bearbeitung weitergeht und von Ludwig van Beethovens »Pastorale« beschlossen wird.

Hans Richter (1843-1916)

• Wie in fast allen Werken dieses Componisten macht sich auch in dem genannten Tongemälde die Spärlichkeit eigener, ursprünglicher Erfindung, der Mangel eines melodienreichen Talentes fühlbar und tritt das rein Aeußerliche, mehr ans die Wirkung Berechnete zu stark in den Vordergrund. Auch die Form, in welche Goldmark seine harmonisch-fesselnden Gedanken gegossen, scheint uns nicht genug ausgeprägt zu sein; auch ist sie im Verhältnis zu dem sich mehr und mehr verflachenden Inhalt etwas zu weitläufig gerathen. (Camillo Horn im Deutschen Volksblatt vom 20. April 1893)

• Goldmark’s »Penthesilea«-Ouvertüre wirkte bei der ersten und seither nicht mehr wiederholten Wiener Aufführung (5. Dec. 1880) durch ihren sehr stimmungsvollen, einem Trauermarsch ähnlichen Schluss. Das diesem vorausgehende, nur von wenigen Lichtblicken erhellte grause Dissonanzengewirre – namentlich anfangs eine wahre Reiterschlacht in Tönen! – schien uns neulich etwas monoton. Uebrigens ist das immerhin Charakter- und dramatisch ausdrucksvolle Werk – das indess zum Verständniss unbedingt eine nähere Kenntniss der Kleist’schen Schauer-Tragödie erfordert — von uns in No. 8 des 12. Jahrganges (1881) des »M. W.« eingehender besprochen worden. (Musikalisches Wochenblatt vom 20. April 1893)