… »versungen und ganz verthan«

Drei Novitäten sind es, die unsere Philharmoniker in der heurigen Saison bisher zur Aufführung brachten: ein Clavier-Concert von Robert Fuchs, eine Ouvertüre »Penthesilea« von Goldmark und eine »tragische Ouvertüre« von Brahms – drei Namen von gutem und bestem Klang, leider eben so viele Mäusegeburten kreisender Berge. Sie haben »versungen und ganz verthan« möchte David in den Meistersingern klagen. Vor allem Robert Fuchs. Unter glücklicheren Auspicien hat wohl selten ein Tondichter seine Laufbahn begonnen als dieser jugendliche Componist; seine Serenaden für Streichorchester, welche echte musikalische Empfindung mit graciöser Melodik, rhythmischer Plastik und vortrefflicher technischer Durcharbeitung verbinden, haben seine Popularität erhalten, die dem ungetheilten Beifalle entspricht, die diese Werke in den Concerten der Philharmoniker gefunden haben. Das besagte Clavierconcert, für das der Pianist Herr Emil Smietansky die volle Meisterschaft seiner unfehlbaren Technik und hinreißenden Feinfühligkeit einsetzte, erschien uns wie ein Vexir=Spiegel, in dem alle Dinge auf den Kopf gestellt sind: statt der früheren Inspiration Leere, statt Gedanken Phrasen. Auch Goldmark hat mit seiner »Penthesilea«-Ouvertüre keinen glücklichen Griff gethan.

Den Kampf der trojanischen Heldin mit Achilles, den der Componist in diesem Vorspiel zu musikalischem Ausdruck zu bringen intendirt, wird für den Zuhörer zu einem Kampf Goldmark’s mit sich selbst, zu einem Kampf des Willens mit dem Vermögen, die gewollte Idee zu verkörpern, in welchem der erstere unter dem Symbol des die Ouvertüre beschließenden Trauerchors nach vergeblichen Anstrengungen leider unterliegt. Dieses schwächliche Geschöpf, das die schwere Bürde seines amazonenhaften Namens schleppt, hat in seinen Aederchen auch nicht ein einziger Tropfen jenes edlen Goldmark’schen Blutes, das die königliche »Königin von Saba« durchschäumt. Wir haben ein Recht, von den berühmten Komponisten an baldigst eine legitime Nachkommenschaft der »Königin von Saba« zu erwarten.

Der Mangel eines ähnlichen Trostes bei Brahms macht uns eine Besprechung seiner »tragischen Ouvertüre« recht unerquicklich, zumal der betrübende Verfall seiner schöpferischen Kraft aus [recte: auf] außerhalb seiner Persönlichkeit liegende Ursachen zurückzuführen ist. Der maßlose Cultus, der von gewisser Seite mit Allem, was Brahms heißt, getrieben wird, jeden Tintenklex aus seinen Manuscripten als kunsthistorisches Phänomen angreift, mit Schlagwörtern, wie »zehnte Symphonie Beethovens« seine Werke in den Himmel dieses Heros einzuschmuggeln versucht, diese unbedingte Glorificirung hat es offenbar dahin gebracht, daß Brahms, dessen bedeutende und viel verheißende Jugendwerke Schumann’s Wort, er sei gleich der Pallas Athene in voller Rüstung, fertig und vollendet, aufgetreten, zu rechtfertigen schienen, nunmehr jeder Selbstkritik beraubt, von der Wahnvorstellung seiner göttlichen Unfehlbarkeit selbst angesteckt, jene Frische und Schärfe des Geistes eingebüßt hat, die allein befähigt, die von gedankentiefen Empfindungen angeregte Seele in der Form eines einheitlichen organischen Kunstwerkes ausklingen zu lassen.

Was ist diese »tragische Ouvertüre,« die zum höchsten Verdruß jener Brahms-Cultusgemeinde-Repräsentanz bei ihrer jüngsten Aufführung von dem Publicum unzweideutig abgelehnt wurde, was ist sie anderes, als eine öde, öde Wüste mit einzelnen winzigen Oasenflecken; tragisch wenn man will, jedoch nur als eine Tragödie der Langweile. Es wäre hoch an der Zeit, daß Brahms seinen ruhmvollen Namen rehabilitire! (Dr. F. E. in der Montags-Revue aus Böhmen vom 10. Januar 1881)