Jean-Paul Gasparian trifft Frédéric Chopin

Seit sie auf der Welt sind, rätseln musikinteressierte Kreise darüber, was Frédéric Chopin mit und in seinen vier Balladen hat sagen wollen – als erschlösse sich über das jeweilige Programm der tiefere oder höhere Sinn dieser Erzählungen, die sich doch nur in Musik erzählen lassen.

Jean-Paul Gasparian vermeidet den Umweg. Wie bei seinem Debüt mit Sergej Rachmaninoff, Alexander Skrjabin und Sergej Prokofieff zu bemerken war, ist er ein Künstler, der zuhören kann. Er versteht die motivische Semantik, den subtilen Akzent, den harmonischen Vorrat und die formale Syntax, weil er sie nicht erst in Sprache übersetzt, sondern als Mitteilungen aufnimmt und so zwingend vermittelt, dass sie auch die Hörenden »sprachlos« macht: Jede Ballade ist eine reich bevölkerte, dreidimensionale Welt mit ihren Höhen und Tiefen, ihren simultanen und sukzessiven Geschehnissen, in denen miteinander gesungen und getanzt, gelitten und gejubelt wird – sie gehen über die Grenze hinaus, die, so Ferruccio Busoni, Tonkunst und Musik voneinander trennen.

Und das ist nur ein Aspekt des neuen Albums. Die revolutionäre Sprengkraft der Miniaturen, die man sich allzu gern ins lauschige Halbdunkel der Salons versetzt; die keineswegs idyllischen Szenen der glimmenden Nocturnes; und die ganz »po polsku« sich emporreckende Pranke des Patrioten – alles fügt sich an- und übereinander wie ein lebensgroßes Portrait, das von einer transzendenten Technik getragen wird. Einer Technik, die sich nicht einmal dort des Selbstzweckes muss zeihen lassen, wo das Unbegreifliche Ereignis wird.

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