Goldmarks Frühling daheim und unterwegs

Am Sonntag, den 1. Dezember 1889, gaben die Wiener Philharmoniker unter Hans Richter das dritte 3. Abonnementkonzert der laufenden Saison. Auf dem Programm standen drei Premieren: die Symphonischen Variationen c-moll von Jean Louis Nicodé, ein Konzert für Violoncello und Streicher von Georg Friedrich Händel, das der Geiger und Komponist Sig(is)mund Bachrich arrangiert hatte, und schließlich Goldmarks Ouvertüre Im Frühling. Den Schlußpunkt setzte ein unbestrittener Klassiker: Wolfgang Amadeus Mozarts Symphonie g-moll KV 550.

Bevor ich nun die derzeit verfügbaren Pressestimmen der Donaumetropole in der Reihenfolge ihres Erscheinens aufliste, sei eine bemerkenswerte statistische Notiz mitgeteilt, die im siebten Heft der Signale 1891 erschien und an dem nahezu vollständigen Publikumserfolg des neuen Werkes keinen Zweifel läßt:

»Unter den meist gespielten neuen Ouvertüren stand die von Goldmark ›Im Frühling‹ obenan. Wir machen sie ausfindig in Boston (Symphony-Orchestra-Concert)) Nürnberg (Philharmonischer Verein), London (Krystallpalast- und Richter-Concert), Aachen, St. Petersburg (russische Musikgesellschaft), Rotterdam (Eruditio-Concert), Hamburg (Bülow-Abonnementconcert), Mainz (städtische Capelle), Brooklyn (Philharmonic Society), St. Gallen, Luzern, Barmen, Zwickau und endlich Wien (Philharmonisches Concert, wiederholt). Desselben neueste Ouvertüre zu ›Der entfesselte Prometheus< erscheint in Sondershausen, Frankfurt a. M. (Keiper’sche Capelle), Wien (siebentes Philharmonisches Concert, unter dem Componisten), Boston, New-York (Symphony Society).«

Wir konzentrieren uns vor der Hand auf die Wiener Premiere, die im Archiv der ANNO selbstredend besonders ausladend dokumentiert ist:

(Neuigkeits) Welt Blatt vom 4. Dezember 1889
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Wiener Salonblatt vom 8. Dezember 1889
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• Eduard Hanslick in der Neuen Freien Presse vom 8. Dezember 1889
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• Max Kalbeck in der Presse vom 14. Dezember 1889
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Musikalisches Wochenblatt vom 26. Dezember 1889
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Dazu einige »auswärtige« Stimmen der ersten Jahre aus

• Köln: Neue Zeitschrift für Musik vom 18. Dezember 1889
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• St. Petersburg: Signale für die musikalische Welt 1890 Heft 15
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• Wiesbaden: Neue Zeitschrift für Musik vom 5. März 1890
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• Zwickau: Musikalisches Wochenblatt vom 8. Januar 1891
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und Neue Zeitschrift für Musik vom 18. März 1891
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• Innsbruck: Innsbrucker Nachrichten vom 17. März 1891
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Ein Kuriosum verdanken wir dem Kritiker Otto Bahr, der im März 1911 das aktuelle Linzer Konzert des Leipziger philharmonischen Orchesters unter Hans Winderstein besprach und dabei für Goldmarks Ouvertüre ohne nennenswerte Eingriffe den zwanzig Jahre alten Artikel von Eduard Hanslick abschrieb. Gewiß, das Programm war mit Beethovens »Egmont«-Ouvertüre und Eroica, Wagners »Parsifal«-Vorspiel und Strauss‘ Don Juan nicht schmächtig, doch das, was er am 30. März im Linzer Volksblatt abdrucken ließ, war allzu dreist (☞ zum Text)..

Als optische und inhaltliche Auflockerung dieses Plagiats diene das 1890 in dem »Unterhaltungsblatt für die Familie» An der schönen blauen Donau erschienene Gedicht des evangelischen Geistlichen Alfred Formey, der seiner Begeisterung über die Wiener Erstaufführung des »Frühlings« so freien Lauf ließ, daß er sich bei der Datierung des Konzertes um einen Tag irrte. (Derselbe Dichter hat für Goldmark das Textbuch zu der Oper Die Kriegsgefangene verfaßt, auf die später einzugehen sein wird.)