»Da tönt’s im Saal von schmetterndem Frohlocken«

Sodann folgte eine Konzertouvertüre von Goldmark, überschrieben: »Im Frühling.« Diese Aufschrift hat mich hoffnungsvoll und zugleich ängstlich gestimmt. Gefreut habe ich mich, daß Goldmark, diese hochpathetische Natur, hier einen Stoff gewählt hat, der alle verschneiten Wonnen des Gemütes und der Sinne lebendig macht. Allerdings gibt es Schwarzseher und Schwarzfühler, die ihre Lieblingsfarbe als Byronschen Weltschmerz oder Schopenhauersche Galligkeit selbst in den Frühling hineinschmuggeln. »Wird Goldmark, der Dissonanzen-Fürst, es über sich bringen, dem Frühling zuliebe seine schneidenden Akkorde zu verabschieden? Wird er den Frühling verherrlichen, ohne ihm gleichzeitig Opposition zu machen? Wird er uns nicht giftflammende Blüten aus dem Orient herüberbringen und Nachtigallen aus Bayreuth?« So etwa flüsterten meine Besorgnisse. Goldmark hat sie in liebenswürdigster Weise und fast vollständig besiegt. Ohne vorheriges Präludieren beginnt die Ouvertüre mit einem jubelnden Motiv; das sich mehrmals in mächtiger Steigerung wiederholt und schließlich in ein zweites Motiv von idyllischer Anmut und Harmlosigkeit einlenkt.


Beide Motive liefern günstige und geistvoll verwendete Züge für die ziemlich voluminöse Durcharbeitung; Lerchentriller und Finkenschlag, wie man sie urwüchsig kaum irgendwo trifft, geben dazu die »backschierlichste« Staffage. Doch später stürzen Harmonien à la Richard Wagner von den Bergeshöhen hernieder, synkopierte chromatische Sextakkorde der Holzbläser und Violinen, gegen welche Posaunen und Baßgeigen eine schauderhafte Prozession von aufsteigenden verminderten Septimakkorden ins Feld führen. Das ist wohl nicht das obligate Frühjahrsgewitter, auf das man rechnete; eher eine Miniaturvorprobe des Weltunterganges, bei der Berge, Wälder und Flüsse durcheinanderpurzeln. und alles Eingeweide des Erdballs zu platzen droht. Doch dauert diese Episode nicht lange; noch einmal erschallt der niedliche, anmutige Vogelsang und jauchzend fliegt in lebhaftestem Allegro das Ganze zum Schlusse. Alles in allem ist diese Ouvertüre ein außerordentlich wirkungsvolles, ganz geniales Tongemälde, das man zu Goldmarks gelungensten und sympathischesten Instrumentalschöpfungen zählen kann; nicht als ob die einzelnen Motive an und für sich gerade besonders hervorragend wären; aber sie sind so lebendig in Fluß gebracht, so innig empfunden und so frisch geschildert, daß die gute Wirkung gewiß nie versagen kann. … (Otto Bahr).