»Violageschichten« von Robert Schumann und Johannes Brahms
»Violageschichten« – das wäre wohl das treffende Schlagwort, mit dem sich die aktuelle Neuheit von Christian Euler und Paul Rivinius überschreiben ließe. Das mag ein wenig despektierlich klingen, ist aber durchaus von höchster Stelle sanktioniert …
… denn denselben Titel hatte Robert Schumann ursprünglich seinen Märchenbildern op. 113 geben wollen. Wieder einmal erzählte der komponierende Dichter, dem das Klavier seit etlichen Jahren »zu enge« geworden war, von seltsamen Dingen zwischen Tag und Traum, mal als Florestan, mal als Eusebius mit musikalischen Mitteln den Brüdern Grimm zur Seite springend – eine in mehrfacher Hinsicht ideale »Pause« zwischen den beiden großen Sonaten, die Johannes Brahms im Jahre 1894 zu seinem Opus 120 gekoppelt hat.
Hier wie dort ist es Spätherbst geworden, ob nun Schumann erst 41 und sein einstiger Protégé erst 61 war, als sie die hier eingespielten Werke schrieben; jener hatte kaum mehr drei Jahre vor sich, bis er der Welt abhanden kam, dieser hatte das Komponieren bereits »offiziell« eingestellt, als er durch eine geradezu märchenhafte Begegnung noch einmal aus der kreativen Lethargie geweckt wurde: Richard Mühlfeld, der junge Klarinettist der Meininger Hofkapelle, vollbrachte das Wunder, für das sich der schöpferische Pensionär mit einem Trio und einem Quintett sowie den zwei Sonaten revanchierte, die es schon bald auf Grund des verlegerischen Weitblicks auch in einem Arrangement für Bratsche und Klavier gab, von dem Johannes Brahms freilich nicht eben entzückt war, weil man die Stimme der Klarinette gewissen Transformationen unterzogen hatte.
Dieser Verstimmung kann man aus dem Wege gehen, wie Christian Euler und Paul Rivinius in ihrer jüngsten Unternehmung veranschaulichen: Die »zwei von Einigkeit beseelte[n] Partner«, denen der begeisterte Rezensent der FAZ am 9. Juli 2018 in dem Vieuxtemps-Album des Duos begegnet war, folgen konsequent der Klarinettenfassung, spielen also mit dem gesamten, spannungsreichen Ambitus der Bläserstimme und erhalten auf diese Weise ganz besonders eloquente »Violageschichten«, die vom Atem der ersten Stunden durchweht sind. Der Steinway-Flügel aus dem Jahre 1901 tut ein Übriges.
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Der in Kassel geborene Christian Euler ging, nachdem er in Köln bei Gérard Ruymen Unterricht erhalten hatte, an die Juilliard School in New York, wo er bei Margaret Pardee studierte. Dort schloss er mit dem Bachelor und dem Masters Degree ab. Zusätzlich nahm er in New York Unterricht bei Walter Trampler, Harvey Shapiro und insbesondere Emanuel Vardi.
Nach einem Jahr bei den New Yorker Philharmoniker war er von 1984 bis 1991 Bratschist im Philadelphia Orchestra. In diesen Orchestern spielt er unter solchen Dirigenten wie Leonard Bernstein, Riccardo Muti, Zubin Mehta, Wolfgang Sawallisch, Erich Leinsdorf, Rafael Kubelik und Klaus Tennstedt. Neben Solokonzerte in Europa, Kanada und den USA tritt er häufig in Kammermusikensemble auf. Er war u.a. Mitglied des Philadelphia Chamber Ensemble. Zu seinen Kammermusikpartnern zählten ferner Franco Gulli, Bruno Giuranna, Natalia Gutman, Radu Lupu, Ulf Hoelscher uns Silvia Marcovici.
1991 erhielt er die Professur für Viola und Kammermusik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz, wo er auch die Leitung der Streicherabteilung inne hatte. Meisterkurse gibt er in Deutschland, Spanien, Kanada, Polen, Kroatien, Estland, Zypern und Bulgarien. www.euler-viola.com
Paul Rivinius, Jahrgang 1970, erhielt seinen ersten Klavierunterricht im Alter von fünf Jahren und studierte u.a. in der Meisterklasse von Gerhard Oppitz an der Musikhochschule München, welche er mit Auszeichnung abschließen konnte. Als Kammermusiker profilierte sich Paul Rivinius mit dem 1986 gegründeten Clemente Trio, das nach mehreren Auszeichnungen 1998 den ARD-Wettbewerb gewann und anschließend als ausgewähltes »Rising Star«-Ensemble in den zehn wichtigsten Konzertsälen der Welt gastierte, darunter die Carnegie Hall in New York und die Wigmore Hall in London. Außerdem musiziert Paul Rivinius seit seiner Kindheit mit seinen Brüdern Siegfried, Gustav und Benjamin im RiviniusKlavierQuartett und ist seit 2004 zudem Pianist des Mozart Piano Quartet, welches sich durch ausgedehnte Reisen nach Nord- und Südamerika sowie nach Asien internationales Renommée erspielt hat. 2018 erhielt das MPQ den Opus Klassik für die Einspielung des Klavierquartettes von Georg Hendrik Witte bei MDG Dabringhaus & Grimm.
Neben der langjährigen Tätigkeit in diesen Ensembles spielte Paul Rivinius mit zahlreichen namhaften Künstlern wie Thomas Brandis, Christian Tetzlaff, Antje Weithaas, Lena Neudauer, Sharon Kam, Thorsten Johanns, Wolfgang Boettcher, Harvey Shapiro, Julian Steckel, Maximilian Hornung und war regelmäßiger Gast bei internationalen Festivals wie z.B. Schleswig-Holstein-Festival, »Spannungen« Heimbach, Rheingau Musik Festival und Beethoven Fest Warschau. Zahlreiche Rundfunk- und CD-Produktionen dokumentieren seine künstlerische Arbeit, unter anderem auch mit der international gefeierten schwedischen Sopranistin Camilla Tilling. Paul Rivinius lehrte viele Jahre an der UdK und zuletzt als Professor für Klavierkammermusik an der HfM »Hanns Eisler« in Berlin und lebt heute in München.
Weitere Informationen
Veröffentlichung: 7. März 2025
Johannes Brahms (1833–1897)
Sonaten op. 120 arr. Viola
Robert Schumann (1810–1856)
Märchenbilder op. 113
Christian Euler, Viola
Paul Rivinius, Klavier
MDG 903 2353-6 (Hybrid-SACD)
Vertrieb: Naxos