Nikolaus Matthes’ Markuspassion: Neu komponiert auf den originalen Picander-Text

  • © Bettina Brotbek Fotografie

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Am Karfreitag des Jahres 1731 – es war der 23. März – wurde in Leipzig der »Text zur Paßions-Music nach dem Evangelisten Marco« aufgeführt. Ob es sich dabei um ein geistliches Pasticcio oder um eine Originalkomposition des Thomaskantors Johann Sebastian Bach gehandelt hat, ist bis heute nicht geklärt. Zwei Tatsachen sind allerdings unumstößlich: dass Christian Friedrich Henrici, besser bekannt als Picander, den Text geliefert hatte, und dass die Musik spurlos verschwunden ist.

Oder besser: verschwunden war – bis nämlich der Schweizer Komponist und Dirigent Nikolaus Matthes auf den scheinbar paradoxen und anachronistischen Gedanken kam, gewissermaßen auf der »Überholspur« an sämtlichen bisherigen Rekonstruktionsversuchen der Wissenschaft vorbeizuziehen und das, was nicht mehr vorhanden war, kurzerhand durch eine eigene Lösung zu ersetzen, die, wenn man nicht ganz genau hinhört, gar trefflich jener Musique nahe kömmt, welchselbige man zuzeiten des weithin excellirenden Bach von diesem hätt erwarten dürffen.

Kurzum: Der 1981 geborene Nikolaus Matthes hat im Stile des Barock und mit geschickt plazierten Zitaten den ehrwürdigen Picander-Text benutzt, um ein Oratorium zu schaffen, von dem man sagen kann: »et re-incarnatus est …«

Rund 60 Mitwirkende haben während der Passionszeit des Jahres 2023 – exakt dreihundert Jahre nach Bachs Leipziger Amtsübernahme – das umfangreiche, inspirierte und inspirierende Werk aus der Taufe gehoben. Zürich erlebte die Premiere, der weitere Aufführungen in Luzern und Basel folgten. Unter den Gesangssolisten finden wir Kapazitäten wie den österreichischen Tenor Daniel Johannsen und seinen nicht minder bekannten Kollegen Georg Poplutz, die sich die Evangelistenpartie teilen; die Worte Christi singt der Bariton Daniel Pérez, die Sopranistin Maya Boog, die Altistin Annekathrin Laabs und der Bariton Matthias Helm konnten für die Arien gewonnen werden.

Insgesamt wurde das Ensemble der neuen Markuspassion sorgfältig aus Spezialisten zusammengefügt, die allesamt sowohl in der historischen als auch in der modernen Aufführungspraxis bewandert sind. Praktisch alle instrumentalen und vokalen Solopartien hat Nikolaus Matthes ausdrücklich für die Musiker geschrieben, die bei der Uraufführung zu hören waren.

Das hochmotivierte Ensemble hatte zwei Wochen für die Proben, Aufführungen und Aufnahmen – eine Zeit des gemeinsamen Erarbeitens, des beglückenden Gemeinschaftserlebnisses oder, wie es einer der Mitwirkenden treffend formulierte, des »gemeinsamen Lebensklanges«.

Beide Teile der Markuspassion (»Vor der Predigt« und »Nach der Predigt«) enthalten jeweils acht Choräle. Der Verlauf der Handlung im Evangeliumstext macht die Unterschiede der beiden Teile deutlich: Im ersten, eher meditativen Teil sind es vor allem die Christusworte, die das Geschehen dominieren; die Handlung umfasst die Ereignisse von Jesu Salbung in Bethanien bis zu seiner Gefangennahme. Der zweite, dramatischere Teil wird, im Gegensatz zum ersten, stark von den Chören des Volkes geprägt, die immer wieder das Geschehen kommentieren oder in die Handlung eingreifen.

Lassen Sie sich von dieser neuen und doch so alten Komposition mit auf den Weg nehmen.

Weitere Informationen: markuspassion.org

Nikolaus Matthes wurde 1981 in Berlin geboren. Er wuchs in Lüneburg und Basel auf und widmete sich zunächst der Pädagogik, insbesondere der Theaterarbeit mit Jugendlichen. Von 2001 bis 2016 entstanden zahlreiche Inszenierungen klassischer und moderner Stücke.

Von 2004 bis 2007 absolvierte Matthes in London ein Filmstudium; außerdem studierte er von 2013 bis 2018 an der Musik-Akademie der Stadt Basel Komposition bei Michel Roth und Musiktheorie bei Johannes Menke. Als Assistent des Tonmeisters Stefan Ritzenthaler hat Nikolaus Matthes von 2016 bis 2019 im Rahmen der Tonaufnahmen für die Johann Sebastian Bach-Stiftung St . Gallen bei Gallus Media AG gearbeitet.

Die praktische Beschäftigung mit der Musik Johann Sebastian Bachs und die kompositorisch-zeitgenössische Auseinandersetzung mit der Musik der Bachzeit stehen für Nikolaus Matthes seit vielen Jahren im Zentrum seiner musikalischen Tätigkeit.

 

Foto: © Bettina Brotbek Fotografie