Ein sehr persönliches Erlebnis

Was Gerhard Weinberger mit Max Reger anders macht als andere, weiß ich nicht. Ich bin weder Kirchenmusiker noch Orgelfachmann – im Gegenteil: Die Königin, so sehr sie mich in manchen Dingen zwischen Bach und Messiaen auch faszinieren konnte, war mir stets eine unnahbare Schöne, die ihre Geheimnisse nicht mit mir teilen wollte.

Das hat sich schlagartig geändert, seit ich im vergangenen Jahr die beiden ersten Folgen dieser Serie erhielt. Ausgerechnet Reger, von dem ich schon die eine oder andere Orgelsache mit Interesse, nie aber mit Begeisterung gehört hatte – ausgerechnet der wuchernde Kontrapunktiker aus der Oberpfalz erzeugte auf einmal einen Sog, vor dem ich einfach kapitulierte.

Weil ich nun wissen wollte, was Gerhard Weinberger denn so anders macht, kam ich auf einmal doch »zur Orgel«. Jetzt interessieren mich Mensuren, Trakturen, Register, Koppeln und stehende Wellen, die großen und kleinen Meister, die Seele des Instruments, ihr ganz besonderer Atem, ihr weiteres Repertoire, das sich bislang am Rande meines persönlichen Universums herumgetrieben hatte …

Die jüngst erschienene dritte Doppel-CD hat, und das ist mir eine wunderbare Bestätigung, diesen Eindruck gewissermaßen ohne Vorwarnung wiederholt und vertieft. Mittlerweile hatte ich nämlich schon beinahe vergessen, wer mir zu der Audienz bei Ihrer Majestät verholfen hatte: Der Ausgangspunkt war durch die Menge an theoretischen Materialien und praktischen Werken ganz einfach überlagert worden. Doch gleich die erste Choralphantasie des Opus 52 tönte wie ein Weckruf: Und da war er wieder, derselbe Sog, die unwiderstehliche Aufforderung, bitte einzutreten zu wollen in diese eigene Welt, in der’s auf so direkte Weise vom Geistigen durch raffinierteste physikalische Berechnungen und Apparaturen wieder hinauf ins Geistige geht. Und ich trat ein.

Besonders überrascht haben mich hier die Zwölf Stücke op. 59, die einem normalerweise als Diät aus kleineren Happen vorgesetzt werden: Hintereinander sind das zweiundfünfzig beglückende, bereichernde Minuten, Facetten eines Kosmos aus changierenden Valeurs und dynamischen Schattierungen, von denen ich gar nicht genug bekommen will und kann.

Was wirklich anders ist? Das weiß ich auch jetzt noch nicht. Ich weiß aber, daß einige Miß- und Unverständnisse beseitigt und Barrieren eingerissen sind – und vielleicht komme ich ja noch irgendwann dahinter. Auch wenn ich bestimmt kein Fachmann werde.
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