Allan Pettersson: Das Abenteuer geht weiter

 
Da hätten nun also Norrköpings Symfonieorkester und der Dirigent Christian Lindberg die Hälfte des gemeinsamen Weges überschritten, an dessen Ende – nach allen bisherigen Stationen zu urteilen – eine singuläre Gesamtaufnahme stehen wird. Zehn der sechzehn Symphonien, die Allan Pettersson hat vollenden können, sind mit der aktuellen Veröffentlichung erschienen, und ich wüßte mich nicht zu erinnern, daß jemals ein Moment des Überdrusses oder auch nur der Langeweile dieses bis heute schon kolossale Abenteuer getrübt hätte: Seit Lindberg, als Komponist von hohen Graden geradezu prädestiniert für die spezielle »Materie«, die bis dahin unaufführbar gewesene erste Symphonie (BIS-CD 1860) vervollständigt und die Geschichte dieser Rekonstruktion mit seinem enthusiastischen Team auch in einem inspirierten Film festgehalten hat – seither habe ich die Geschehnisse aus Norrköping mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt und (andernorts) kommentiert.

Dabei waren vor der Formulierung der gehabten Eindrücke grundsätzlich zwei bis drei Anhörungen fällig, und das nicht etwa, weil diese zur Urteilsfindung nötig gewesen wären, sondern aus purer Freude an dem immer neuen Sog, den diese Werke und ihre gegenwärtigen Interpretationen entfalten: Natürlich ginge es, die beigegebenen, glücklicherweise niemals ausschweifenden Analysen mitzulesen – doch um wieviel kostbarer, überraschender und belebender ist es, wenn wir uns den Abenteuern der Motive, ihren wundersamen Wendungen, ihren Retrospektiven, den aus den Tiefen vorbereiteten Steigerungen, den werkübergreifenden Verstrebungen, kurzum der Magie einer Musik ausliefern, die, obwohl längst vorhanden, wie jede große Schöpfung immer wieder als ein Gegenwärtiges entsteht.

Das funktioniert, wenn schon in den ersten Augenblicken die Trägerwelle ihre ganze Spannweite entfaltet, wenn man spürt, daß es »irgendwo« hingehen und das man bereichert ankommen wird: Musik wie diese hätte ihren »Auftrag« völlig verfehlt, wenn wir nicht immer wieder verwandelt daraus hervorgingen.

So war’s und ist es auch im vorliegenden Falle, der mir auf einer Compact Disc mit stattlicher »Überbreite« (82’48 !) zwei der »populärsten« Symphonien aus Petterssons Feder beschert hat. Nicht genug, daß jede der beiden kapitalen Kreationen sich in ihrer zwingenden Geschlossenheit vor uns ausbreitet: Die beiden jeweils rund 41 Minuten dauernden Werke verbinden sich obendrein auf vielfältige Weise, erhellen einander gegenseitig, halten sich die Waage und bewirken jene Art der Sprachlosigkeit, die beispielsweise Gustav Mahlers Sechste oder Dmitrij Schostakowitsch Vierte noch minutenlang in aller Stille nachschwingen läßt – immer vorausgesetzt freilich, daß das Voraufgegangene lebendiges Musizieren und nicht routiniertes Absolvieren war.

Im Zusammenhang mit der 1963 uraufgeführten fünften Symphonie konnte ich freilich einen heiligen Zorn nicht bändigen: Woher, frage ich, hat der – im Beiheft zitierte – schwedische Premierenkritiker die Frechheit genommen, das prachtvolle Werk als »harmlos« und »veraltet« abzukanzeln, weil Allan Pettersson bei der Komposition desselben durchaus zu Tonika- und Dominantakkorden gegriffen und nicht jener avancierten -phonie bedient hat, von der ich nie weiß, ob man sie nicht besser mit -ck- schreiben sollte …

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