… echte ungezwungene Heiterkeit …

Deutsches Landestheater. Oper Goldmarks »Heimchen am Herd«. (Zur Feier des 70. Geburtstages des Tondichters.) Aufrichtig gesagt, wundert es mich, daß zur Ehrung Goldmark’s nicht eine Aufführung der »Königin von Saba« gewählt wurde, des Meisters bedeutendstes Bühnenvcrk, das wir schon längere Zeit auf dem Spielplane vermissen. Vielleicht wollte unsere Theaterleitung die Bedeutung der Feier mit der Erinnerung in Verbindung bringen, die uns mit Goldmark’s letzter Anwesenheit in Prag bei der Erstaufführung seiner Oper »Heimchen am Herd« so angenehm verknüpft. Wenn dem so ist, dann sind wir ihr vom Herzen dafür dankbar. Ruft uns doch dieses Ereigniß in’s Gedächtnis zurück, daß wir Prager es waren, die Goldmark’s Schmerzenskind, trotz der ihm von mancher Seite zutheil gewordenen lieblosen Behandlung, mit offenen Armen aufnahmen und daß wir uns seines liebenswürdigen Wesens auch heute noch erfreuen. Ja, wir Prager, die wir so oft unnützer Weise gemahnt werden, den neuen Kunsterscheinungen mit weniger Mißtrauen und größerer Wärme zu begegnen – wir haben damals dem anwesenden Componisten zugejubelt, in demselben Augenblicke, da ein überaus kluger Herr, der manchmal »durch Zufall unser Blatt in die Hand bekommt« und sich wochenlang mit täglichen Polemiken gegen uns beschäftigt, dem greisen Componisten sagte, es sei des gefeierten Goldmark Glück und Ende gewesen. »Wir Prager sind nicht so verstockt, als man uns gerne einreden möchte, wir wissen das Echte und Gute unter dem Neuen ohne die überlaute Tüchtigkeit der Officiösen der Moderne sehr wohl selbst herauszufinden. Was haben wir nicht Alles in den letzten Jahren mit heroischen Muthe am [!] fremdartiger und neuer Kost herunterwürgen müssen! … Nicht viel davon ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, und daß es so ist, dessen brauchen wir uns wahrhaftig nicht zu schämen. Jede Zeit hat ihren Geschmack, jede Generation hat ihren Geschmack, ja, jeder Augenblick und jede Stimmung wirkt auf den Eindruck des Kunstwerks. Vielleicht werden wir selbst noch einmal dazu gelangen, das schön zu finden, was heute so zudringlich als die alleinseligmachende Kunst gepriesen wird. Heute können wir eben nicht anders und wir besitzen nicht die Eitelkeit, Dolmetsche des Publicums, wie wir es sind, auf Entdeckungsreisen bis nach Skandinavien zu gehen, so lange uns der alte Goldmark besser gefällt. Im Uebrigen vermögen wir unsere Vorliebe für Goldmark’s »Heimchen am Herd« zu begründen, und die große Popularität, die das Werk erlebte, seine dauernde Lebensfähigkeit, sind Thatsachen, die laut genug für sich sprechen. Was aber hat eigentlich Goldmark so Ungeheuerliches gethan, daß seinem »Heimchen am Herd« so erbarmungslos mitgespielt werden durfte? .. Nicht mehr und nicht weniger, als Andere, Kleinere und Größere, auch schon gethan haben. Getrieben von einem in diesem Falle doch wohl verzeihlichen speculativen Geiste, wandte er sich an den gerade actuellen Geschmack der Zeit, indem er sich, der Eingebung Humperdinck’s folgend, einen heiteren Stoff mit märchenhaftem Hintergründe, nach seinem individuellen Bedürfniß zurecht legte und seine eklektische Musik mit einem volksthümlichen Schimmer zu beleben suchte. Das ist das Schlimmste nicht. Es beweist nur die oft aufgestellte Regel, daß zwei selbst grundverschiedene Autoren sich in dem Gedanken eines Dritten begegnen können. Ebenso schlage man die Bedeutung einer gerade herrschenden Geschmacksrichtung nicht zu gering an. Ist sie doch Gemeingut einer nun einmal bestehenden musikfreudigen großen Gemeinschaft und deßhalb auch schon berechtigt, respectirt zu werden. Was indessen Goldmark selbst im Rahmen einer nur adoptirten Geschmacksrichtung festzuhalten verstand, war mehr, als von einem bloßen Eklektiker gefordert werden könnte. Die Musik des »Heimchen am Herd« ist geradezu ein Schatzkästchen von frischen und ursprünglichen Eingebungen. Es ist eine echte ungezwungene Heiterkeit, die das Ganze wie ein Sonnenstrahl durchfluthet, den Einen erfreuend und erwärmend, den Anderen rührend und erbauend. Ob es lebende oder nur erträumte Wesen sein mögen, die zu uns sprechen, ihre Ausdrucksweise bleibt immer eine fesselnde, vom Gefühle der Schönheit und Dränge nach Wahrheit beherrschte, dabei der unnachahmliche Glanz und die bis in’s Kleinste ausgearbeitete orchestrale Polyphonie, nach der wir in den meisten Werken unserer jüngeren Meister vergeblich suchen. Es ist wirkliches musicalisches Leben, das uns umgibt, ein Garten voll von Blüthen und Früchten, ganz anders als in dem neuentschleierten Bilde der sogenannten »geschauten Musik«, von dem bisher noch Niemand anzugeben im Stande war, was er eigentlich dabei »gesehen und erfahren«. Die Aufführung, mit welcher der Geburtstag Goldmark’s bei uns geehrt wurde, war eine der Bedeutung des Momentes durchaus würdige. Es schien, als ob alle guten Geister sich vereinigt hätten, dem Manne, der so ungerecht beurtheit [!] worden war, die volle Genugthuung zu geben. Das Orchester, an dessen Spitze Herr Capellmeister Stransky mit rühmenswerther Hingebung und jugendlicher Begeisterung hervortrat, löste seine Aufgabe in bester Weise. Das dem dritten Acte vorangehende Zwischenspiel wurde trotz der ihm seinerzeit angedichteten »billigen Sentimentalität und barer Gemeinheit« mit einem beinahe demonstrativen Beifall aufgenommen. Auch die Darsteller der Solopartien thaten ihr Bestes, um das von Act zu Act wärmer werdende Publikum zu befriedigen. Herr Hunold sang den Postillon mit festem und männlichen Tone, ohne sich in falschem Pathos oder gekünstelter Sentimentalität zu verlieren. Demselben Beispiele folgte Herr Elsncr (Eduard), der die Wirkungen seiner Partie seit der Erstaufführung des Werkes aufrecht zu halten verstand. Eine sehr anmuthige Dot wurde uns durch Frau Frank vermittelt, indem sie die harmlose Heiterkeit und echte Weiblichkeit des treuen jugendlichen Weibes in ein natürliches und glaubwürdiges Licht zu stellen wußte. Dabei wurde die Sängerin von ihrem hell ansprechenden Organ und der deutlichen Wiedergabe des Textes vortrefflich unterstützt. Als Heimchen trat uns Frl. Reich in jeder Beziehung vortheihaft entgegen. Die feine Gestalt mit dem hübschen Köpfchen war diesmal am richtigen Platze und die angenehme Singart wog hinreichend auf, was der Klangkraft in hoher Lage etwa noch fehlte. Herr Haydter gab den Tackclton mit der ihm eigenen, immer mehr sich entfaltenden Anlage für das Fein-Komische, während Frl. Alföldy die sentimentale May mit bekannter Klangwirkung, aber auch bekannter Zurückhaltung verkörperte. Die Chöre griffen frisch ein. Dr. v. B.
(Prager Tagblatt vom 20. Mai 1900)