… ein gesteigertes Mißfallen

vom 15. Februar 1870

 

Das sonntägige dritte Abonnementsconcert der Philharmoniker erfreute sich (diesmal ausnahmsweise) leider keines glänzenden Resultates. In hohen Ehren und Würden ging allerdings die Ouvertüre von Mendelssohn zu »Ruy Blas« voran; auch die Bach’sche Passacaglia in der meisterlichen Instrumentation von Herrn Esser gewährte ein besonderes historisches Interesse. Aber bereits die Ouvertüre von Berlioz zu seiner alten, hier nie gehörten Oper »Benvenuto Cellini« – ein originelles, jedoch bizarres, in seiner Instrumentirung merkwürdiges Tonstück – gab am Schlusse Anlaß zu so lauten und langen Meinungsdifferenzen im Publicum, wie wir deren in diesen Hallen nicht gewohnt sind und die wir uns wahrlich wegwünschten. Die eigentliche, allgemeine Indisposition bemächtigte sich jedoch des Publicums, als eine neue Symphonie von Max Bruch, über deren Zulässigkeit an der dortigen Stelle seit Jahren hin- und hergewogen wurde, zur Aufführung kam. ;Die Symphonie erlebte in allen ihren vier Theilen ein gesteigertes Mißfallen, das sich bei den Absätzen in kurzen, aber entschiedenen Protesten kundgab. Wir müssen dieses Werk eines sonst so gebildeten und einsichtigen Musikers, von dem hier in Wien bereits mehrere Compositionen mit Achtung entgegengenommen wurden, als vergriffen erklären. Weder in innerer, noch in äußerer Form hat es das charakteristische Wesen; manche Motive und Figuren, fremden oft bis zur Copie ähnlich, stammen aus alten und neuen Meistern (z. B. Mozart und Mendelssohn bis zu den Italienern), die Instrumentirung ist verletzend überladen und viele harmonische Wendungen sind oft so peinlich raffinirt, daß das Ende des langgestreckten Werkes wirklich ersehnt kam. Wie unlieb einem Theile des Orchesters die Aufnahme dieser Symphonie gefallen sein mochte, konnte man aus der Apathie, ja Antipathie einiger Bogenführer entnehmen.