… eine ewige Einleitung, ein Hin und Her …


vom 16. Februar 1870

 

Zwei Ouvertüren, von denen die eine neu, eine alte Passacaglia und eine nagelneue Symphonie! Was will man mehr? Mehr? Bewahre; aber weniger, weniger wäre mehr gewesen. Wie das? Wir wollen gleich sehen. […] Fast möchte man den Philharmonikern um der Ausführung der Cellini-Ouvertüre willen es vergeben, daß sie auch noch eine Symphonie von Max Bruch als Novität gebracht: aber das hieße, ihnen wegen einer guten That einen Freibrief zu einer schlechten ausstellen, und zu einem solchen Geschäfte mit Tugend und Laster, Schönheit und Häßlichkeit können wir uns keineswegs herbeilassen. Nein! die Symphonie von Max Bruch hätten sie sollen bei Seite lassen. Als vor einiger Zeit Herr Besekirsky in einem der philharmonischen Concerte eine Composition von Max Bruch vortrug, da konnte man die Philharmoniker noch in Schutz nehmen, indem man die Verantwortung für die Wahl des Machwerkes auf die Schultern des Virtuosen Bcsekirsky wälzte; mit der Vorführung dieser Symphonie aber, dieser sogenannten neuen Symphonie haben die Philharmoniker sich ein mit unverwischbaren Lettern geschriebenes Armuthszeugniß ausgestellt, ja mehr, sie haben zu gleich bewiesen, daß sie ein hartnäckiges, unverbesserliches Völklein sind.

Und wenn es so ist, warum reden wir, warum schreiben wir? Warum? weit es unsere Pflicht ist, und weil wir uns unserer Pflichten noch nicht enthoben fühlen, weil sich die Philharmoniker so leicht über die ihrigen hinaussetzen. Was sollte diese Symphonie von Max Bruch? Herr Dessoff, welcher selbst nicht componirt, und zwar darum nicht, weil er überzeugt ist, daß er kein Compositionstalent hat, muß doch sicher so viel Geschmack und so viel kritischen Blick besitzen, sich zu sagen, daß Max Bruch ihm in diesem Puncte nicht überlegen sei, denn Notenköpfe malen könnte Herr Dessoff wahrlich ebenso gut wie Max Bruch. Oder wäre diese Symphonie wirklich mehr als ein Notengeschmiere? Ein erster Satz, der Alles ist, nur kein erster Satz, eine ewige Einleitung, ein Hin und Her, wobei man sich immer fragt, wann wird’s endlich anfangen? Darauf ein Scherzo von einer so dumm gezwungenen Lustigkeit, als sie uns ein Tänzer zeigen würde, der keine Lust zu tanzen hat, weil ihm der Magen knurrt, der aber, getrieben von der Peitsche, gezwungen wäre, die ergötzlichsten Grotesksprünge zu machen. Ein erbärmlicher Kerl mit einem traurigen, mitleiderregenden Gesicht und einer Schellenkappe über die Ohren gezogen; und dann ein Adagio, welches kein eigenes Leben hat, sondern es sich von dem ersten Satze ausleihen muß, auslaufend in einen trivialen Schluß, der dann die Ueberzeugung verschafft, daß der nichtssagende erste Satz doch noch der beste gewesen sei – das ist die neue Symphonie von Max Bruch. Wie sehr sehnt man sich von solch‘ einem musikalischen Geschwätz hinweg, das allzu sehr an die Kinderschule mahnt.