Erinnerungen und Dedikation
Ben Zoma sagte: Wer ist weise? Der von jedem Menschen lernt, denn es heißt:
»Von allen,die mich belehrten, bin ich weise geworden«.
(Talmud, Sprüche der Väter, IV 1)
Ob es denn keine Hörbeispiele gebe, wollte Prof. Dr. Heinrich Hüschen, der Leiter des Musikwissenschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln, vor rund vierzig Jahren von dem Proseminaristen wissen, der eben im Begriffe stand, sein Referat über Siegmund von Hauseggers symphonische Dichtungen zu beenden. Noch heute erinnert sich derselbe der zarten Verlegenheit, die ihn angesichts der peinlichen Frage beschlich: »Nein, leider … gar nichts,« räumte er betreten ein – und konnte das dennoch reinen Gewissens tun, denn nicht einmal die beiden großen Sender, deren Raritäten er mit schönster Regelmäßigkeit aufzunehmen pflegte, hatten weiland etwas von den Sachen im Angebot, um die es während der letzten Viertelstunde gegangen war: Die Dionysische Phantasie, der Barbarossa und Wieland der Schmied mochten ja vielleicht in irgendwelchen Schallarchiven schlummern. Aber ohne die modernen »Findemittel« hätte allein die Recherche ein Vielfaches der Zeit verschlungen, die zwischen dem Eintrag in die Referatsliste und dem Ablieferungstermin vorgesehen war – von kniefälligen Lizenzverhandlungen und aufwendigen Überspielungsanträgen gar nicht zu reden.
Weil in der Institutsbibliothek obendrein keine einzige Hausegger-Partitur zu haben war, blieb dem Vortragenden nichts weiter übrig, als sich unter Zuhilfenahme der einschlägigen Lexika und der Schriften des Protagonisten irgendwie durch das Thema hindurch zu hangeln, das er zugegebenermaßen nicht ganz freiwillig gewählt hatte: Auf der Liste, die am schwarzen Brett zur Geschichte der Programmusik einlud, waren nur noch wenige Stellen frei gewesen …
Gleichwohl mußte die schmächtige Arbeit dem Seminarleiter zugesagt haben. Kurz nach den eben geschilderten Ereignissen landete der Referent als Studentische Hilfskraft in der Bibliothek, wo er in die kontinuierliche Bestandsrevision eingebunden ward und, wie das Leben so spielt, eines Tages die völlig falsch eingestellte Partitur der Hauseggerschen Natursymphonie in die Hände bekam: zu spät für das Seminar, Jahrzehnte zu früh für den Text, der die erste und bis dato einzige Einspielung des kapitalen Werkes [1] begleiten sollte, und doch ein weiterer Akzent, eine gedankliche pièce de résistance, dank derer der Name des Komponisten fortan in meinem privaten Kyffhäuser schlummerte – mit dem stillen Versprechen, bei der ersten Gelegenheit das einst unmöglich Gewesene wett zu machen und unserem Professor die fehlenden Klangbeispiele nachzureichen. Ihm, dessen mächtige Peripherie selbst den Vater des Prinzen Biribinker [2] mit Neid erfüllt hätte, sei die gegenwärtige Fortsetzungsgeschichte in dankbarem Gedenken an das Wohlwollen gewidmet, mit dem er mir durch einige schwierige Phasen geholfen und meine immer schon etwas kauzigen Ansichten akzeptiert hat. voran