Dionysischer Sturm und Drang

Bedauerlicherweise ist das einstige Elaborat nicht mehr vorhanden, weshalb ich – anstatt mit dem alten Unfug gehörig abzurechnen – über den Inhalt desselben nur noch Vermutungen anstellen kann. Die Biographie, dessen bin ich sicher, wird kaum anders gelautet haben als das, was Wilhelm Zentner in der gerade fertig gewordenen Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG) für mitteilenswert hielt: daß nämlich der Hauptdarsteller unserer Betrachtungen am 16. August 1872 als Sohn des Juristen und musikwissenschaftlichen Privatdozenten Friedrich von Hausegger in Graz geboren; von diesem, sobald sich die Hoffnung auf eine künstlerische Begabung des Knaben zu erfüllen begann, nach einem eigens entwickelten Lehrplane unterrichtet; und in späterer Zeit – bei fast völliger Einstellung der schöpferischen Tätigkeit – zu einem herausragenden Dirigenten wurde. Erwähnt habe ich wahrscheinlich auch Erich Wolf Degner, den künstlerischen Leiter des Musikvereins für Steiermark, sowie den Kapellmeister Carl Pohlig, denen ein nicht unmaßgeblicher Anteil an der umfassenden Ausbildung des talentierten Jünglings zukam, der schon als Gymnasiast mit einer Reihe enthusiastischer Werke hervortrat und sich nicht einmal davon abhalten ließ, »dickköpfig weiter drauf los« zu komponieren, nachdem ihn Johannes Brahms in der bekannten Manier geraten hatte, sich als zweiter Geiger in einem Orchester zu verdingen, da auf dem Gebiete der Tondichter »schon alles besetzt sei«.

Die Frühlingssymphonie »in drei Sätzen, für ein ganz unmögliches Orchester instrumentiert« (Hausegger) wurde wohl unterschlagen – anders als der von Pohlig im März 1893 aufgeführten Operneinakter Helfrid und vor allem der abendfüllende Zinnober nach E.T.A. Hoffmanns Klein-Zaches, der 1898, drei Jahre nach seiner Vollendung, in München unter der Leitung von Richard Strauss einen beachtlichen Erfolg erzielen konnte. Der Besuch der Universität, der Beginn der Dirigentenkarriere, die 1899 von der Heimatstadt zu den Volkssymphoniekonzerten des Kaim-Orchesters, dann zu den Frankfurter Museumskonzerten (1903-1906) und 1910 zu den Hamburger Philharmonischen Konzerten sowie der Leitung des Berliner Blüthner-Orchesters führte, bevor 1920 die Berufung an die Münchner Akademie der Tonkunst erfolgte und er die Leitung der Münchner Philharmoniker (Konzertvereins-Orchester) übernahm – all das werde ich so beiläufig gestreift haben wie die Abdankung als Präsident der Akademie (1934) und die Niederlegung aller weiteren Ämter (1938): Wilhelm Zentner, der schon zum siebzigsten Geburtstag des Künstlers eine umfängliche Würdigung verfaßt und diese im Jahrbuch der deutschen Musik 1943 publiziert hatte, schwieg sich begreiflicherweise in der MGG über die wahren Ursachen der multiplen Resignation aus – und da die zur Diskussion gestellten Werke allesamt deutlich vor dem Ersten Weltkrieg entstanden waren, hatte es nicht den geringsten Grund gegeben, Begriffe wie »patriotisch« und »national« zu erörtern oder auf die Frage einzugehen, was »deutsch« sei.

Von den familiären Verhältnissen dürfte ich erwähnt haben: die Mutter Hedwig, geb. Goedel, die dem Sohn die ersten Klavierstunden gab; die Ehe mit Hertha Ritter, der Tochter des »neudeutschen Vordenkers« Alexander Ritter, die am 15. Januar 1913, keinen Monat nach der Geburt des Sohnes Friedrich, verstarb sowie die Vermählung mit Helene (»Hella«) Bronsart, die 1917 die Tochter Veronika zur Welt brachte und ihren Gemahl, dessen irdische Bahn als Siegmund von Hausegger am 10. Oktober 1948 zu Ende war, um acht Jahre überlebt hat.

Ich befürchte allerdings, daß ich in meiner »jugendlichen « Leichtfertigkeit ein paar Worte über die spezielle Beziehung von Vater & Sohn habe fallen lassen, die ich inzwischen längst als Irrtum erkennen und gründlich revidieren konnte. Die historische Kollektion an Vätern und Müttern, die im Laufe der Geschichte die Talente ihrer Sprößlinge aus sehr weltlichen Motiven ausgebeutet und dem eigenen Vorteil dienstbar gemacht haben (»mein Junge, mein Stolz, meine Altersvorsorge«); die Menge der Gescheiterten, die auf Gedeih & Verderb aus den eigenen verfehlten Zielen die Lebensbahn ihrer Trabanten berechnen wollten; und schließlich die »Genetiker«, die so unerschütterlich von der biologischen Vererbung schöpferischer Fertigkeiten überzeugt sind, daß sie sich keinen Deut um die artgerechte Haltung ihrer Nachkommenschaft scheren – diese Musterexemplare elterlicher Erziehungskunst müssen mir seinerzeit den Blick gehörig verstellt haben, weshalb ich denn in dem zwischen Friedrich und Siegmund von Hausegger gewaltet habenden Verhältnis in erster Linie den Gelehrten sah, den der Herrgott bei der Verteilung der kreativen Saiten vergessen hatte und der sich daher à la Pygmalion sein begabtes Söhnchen passend schnitzte, den eigenen, nicht unbedeutenden Einfluß in der Szene nutzte, um die Produkte des Zöglings daheim und anderswo unterzubringen und sich also in dem Bewußtsein zu sonnen, die persönlichen Defizite auf dem zweiten Bildungsweg in Erfolge umgemünzt zu haben. Daß es sich tatsächlich um eine gedeihliche Symbiose gehandelt haben sollte, das konnte und wollte ich nicht glauben.


Doch Friedrich von Hausegger war kein Leopold Mozart, der klinkenputzenderweise durch Wien pilgerte, um die Fachwelt von seinem Filius zu überzeugen; er war kein Friedrich Wieck, der mit wütender Eifersucht über Claras virginale Unversehrtheit wachte; er war kein Nicholas-Joseph Franck mit der Ambition, aus seinem César einen virtuosen Goldesel zu machen, und keine Cosima Wagner, die Siegfrieds architektonischen Neigungen kurzerhand der Fortsetzung der Linie opferte. [3]

Nein, die Beweggründe des älteren Hausegger waren von anderer Art. Zwar werden wir ihn von einem gewissen Eigeninteresse nicht freisprechen können, da es ihm augenscheinlich darum zu tun war, seine theoretischen Studien auf dem Gebiete der Kunstpsychologie und der musikalischen Evolution am denkbar tauglichen Objekt praktisch zu verifizieren. Dabei fand er indes eine Methode, die, wofern sie jemals auf breiterer Front wäre angewandt worden, die heutzutage von einer immer größeren Datenflut verschüttete Bildungsmisere schon im Keime hätte verhindern helfen. Jedenfalls unterschied sie sich, wie Siegmund später in seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen publizierte, von jeder pädagogischen Schablone. »Die Auffassung der Kunst als Ausdruck der Persönlichkeit, wie er sie in seinen Schriften vertrat, galt auch als Richtschnur bei meiner Erziehung. ›Stets soll als Ziel im Auge behalten werden, Schüler zu bilden, welchen die Musik ein befruchtendes Element in ihrem geistigen Entwicklungsprozesse werde, derart, daß sie ihr ganzes Wesen erfasse und alle Äußerungen desselben läuternd beeinflusse. Die Musik soll den Deutschen werden, was ή μουσική den Griechen war, kein Fach, kein einzelner Wissenszweig, sondern der Inbegriff einer, der Eigenart des Volkes entsprechenden, diese zu den lichten Höhen harmonischer Empfindungs- und Ausdrucksweise leitenden Bildung‹. Deshalb durfte in mir nie die Empfindung aufkommen, als sei Musik etwas, das pflichtgemäß gelernt werden müsse.«

Zu diesem Ende sind Peitsche, Knüttel oder Kopfnuß die untauglichsten Mittel. Die geistige Lenkung einer Persönlichkeit hat, anders als die Konditionierung eines Untertanen oder »mündigen Bürgers«, mit dem leisen Lufthauch eines Schmetterlings zu geschehen, durch Fingerzeige allenfalls sowie durch ein individuell gestaltetes Verhältnis zwischen technischer Einübung und jener kindlichen Entdeckerfreude, die im besten Falle vor gar nichts halt macht: Verstehen durch BeGreifen, Entwicklung durch (dezent kontrollierte) Eroberungsfeldzüge, Erwerb eigener Ausdrucksmittel durch unbefangen aufgenommene Eindrücke – dieses Glück war dem jungen Siegmund beschieden. Eine Stunde pro Tag übte er unter der Aufsicht des Vaters, der ihm bis zur nächsten Sitzung kleine theoretische Aufgaben stellte, diese dann mit ihm gründlich durcharbeitete und nach und nach bis zu den kontrapunktischen Großformen steigerte: »Ich erinnere mich, mit wahrer Leidenschaft eine Unzahl Fugen geschrieben zu haben. Meine Kompositionen beeinflußte der Vater hingegen in keiner Weise; darin sollte ich volle Freiheit genießen und scheinbar meinen Weg selbst finden. Scheinbar; denn, mir ganz unmerklich, wußte er mich auch hier dadurch zu leiten, daß er mir da und dort bestimmter geartete Anregungen zu neuem Schaffen gab oder meine Aufmerksamkeit auf vorbildliche Kunstwerke hinlenkte« – was bekanntlich eine Kunst an sich darstellt. Der Grat zwischen Erhebung und niederschmetternder Überwältigung ist desto schmaler, je aufnahmefähiger das schutzbefohlene Wesen die Welt sieht. Schnell ist es da geschehen, daß Einer, dem etwa die Hammerklaviersonate oder der Ring des Nibelungen als unerreichbare Ideale hingehalten werden, mit einem mißtönend herausgekrächzten »nevermore« auf ewig der Kreativität entsagt und im schlimmsten Fall jener Profession zuwendet, die »an den vollkommensten Personen immer die meisten und größten Fehler findet, und zu eben der Zeit, da man ihnen überhaupt die glänzendsten Vorzüge eingesteht, stückweise wieder so viel davon abzuziehen weiß, daß ihnen am Ende kaum so viel übrig bleibt, als der alltäglichste Mensch vonnöthen hat um erträglich zu seyn.« [4]

Die Maxime im Hause Hausegger jedoch lautete: »Lernen sollte man von den Großen, sie lieben und nicht bekritteln« – und Siegmund hat das beherzigt. Er lernte, bewunderte und ließ seinem Überschwang die Zügel schießen. Er schuf gymnasiale »Unmöglichkeiten« wie die Messe, mit der er Bachs h-moll-Messe »in glücklicher Ahnungslosigkeit an kontrapunktischer Kunst womöglich noch übertrumpfen wollte«, eine Klavierfantasie über E.T.A. Hoffmanns Elixiere des Teufels, ein Klavierquartett, die erwähnte Frühlingssymphonie, für die er sich ein spezielles, 40-zeiliges Notenpapier drucken ließ, und schließlich den Helfrid, worin ein »fernab von allem Weltgetrieb« aufgewachsener Königsohn durch den Anblick eines »wesensverwandten Weibes zum ersten Liede begeistert« wird. Carl Pohlig dirigierte den Einakter im Rahmen der Abschiedsvorstellung, die er am Mittwoch, den 22. März 1893, in Graz zu seinen eigenen Gunsten geben konnte, und erzielte für den inzwischen einundzwanzigjährigen Studenten einen schönen Erfolg, in den nur ein Wermutstropfen fiel: die beißende Kritik eines Herrn »-sdl-«, der im Grazer Volksblatt vom 25. März die günstige Gelegenheit nutzte, dem »musikalische[n] Pontifex Maximus von Graz« kräftig in die Knie zu treten. »Ich habe vor dem kritischen Urtheile Dr. Hauseggers, vor seinem reichen Wissen, seiner ehrlichen Offenheit und stets idealen Geradheit eine so hohe Meinung, daß es mir geradezu unbegreiflich ist, wie dieser bedeutende Musikgelehrte so über den Vater den Kritiker vergessen konnte, und es gestattete, daß dieses Werk seines Sohnes auf die Bretter kam.«

Während sich -sdl- im Folgenden ausgiebig mit dem »formlosen, endlosen Tonbrei« befaßt, »der sich erstickend wie eine musikalische Schlamm-Mure über alle poetischen Gedanken hinwälzt«, übersieht er den schöpferischen Nichteinmischungspakt zwischen Vater & Sohn nach dem Motto: »Ich bringe dich nach Rhodos, tanzen aber mußt du selbst«. Ohne diesen hätte es daheim sicherlich einigen Zwist über das erste »offizielle« Orchesterwerk gegeben, das Siegmund im Jahre 1896 zu Papier und Anfang 1899 zur Aufführung brachte – denn mit der Dionysischen Phantasie betrat Siegmund jenen Bereich der Tonkunst, den Friedrich von Hausegger strikt ablehnte: die Programmusik, worin es seiner Darlegung zu Folge zu einem Rollentausch von Ton und Wort kam. »Der Ton übernimmt die Vermittlung von Vorstellungen, während das Wort uns die Stimmungen andeutet, welche wir ihnen entgegenzubringen haben. Bei diesem verkehrten Treiben muß daher von außen herbeigerafft werden, was zur möglichsten Erfüllung dieser widernatürlichen Aufgabe dienen kann«, dekretierte er mit aller Vehemenz in seiner Abhandlung über Die Musik als Ausdruck. Ungeachtet seiner Widersprüchlichkeit ist dieser Versuch, den darwinistischen Materialismus und das ästhetisch-idealistische »Jenseits des Künstlers« miteinander in Einklang zu bringen, just im Hinblick auf das immer leicht dégoûtante Terrain der Programmatik sehr lehrreich. Hausegger senior sprach sich kategorisch dagegen aus, den »Tönen die Bedeutung von Sprachzeichen zu verleihen« und dadurch die Aufnahmefähigkeit des Publikums von vornherein in Ketten zu legen.

Den jungen Himmelstürmer hat das nicht tangiert. Er wollte sich austoben, und er tobte sich aus. »Noch war der Zauber der nur zwei Jahre hinter mir liegenden Universitätszeit nicht ganz verblaßt; dazu hatte sich aber jene erwartungsfrohe, die ersten selbständigen Schritte in die Welt begleitende Stimmung gesellt, welche das Leben als Tummelplatz ungezügelter Kräfte ansieht. Im Werke des Künstlers stellte sich mir die höchste Blüte jener freudigen Daseinsbejahung dar, in ihr der Sieg der schöpferischen Persönlichkeit. Dämmerte zwar schon eine Ahnung in mir auf, daß nicht Schrankenlosigkeit, sondern kraftvolle Beherrschung des Empfindens Vorbedingung für die künstlerische Gestaltung ist, so wollte ich doch noch einmal dem innern Drange mit der ganzen Unbesorgtheit und keine Grenzen kennen Begeisterung der Jugend folgen. Die Lektüre von Nietzsche’s ›Geburt der Tragödie‹ mit ihrer überzeugenden Verherrlichung des dionysischen Rausches, daneben die ersten Eindrücke des herausfordernden Lebensmutes R. Strauß’scher Musik ließen in mir den Plan zu einer Apotheose der künstlerischen Schöpferkraft erstehen. Heldentum und Liebe brechen unter dem Machtspruche des Todes zusammen. Ein erster wissender Blick aber auf der ›Menschheit ganzen Jammer‹ weckt den flammendem Wunsch, dieser Tod=geweihten Welt eine aus dem eigenen Inneren geschaffene des Lichtes entgegen zu stellen. Ist sie auch nur aus der Phantasie geboren, so hat sie doch im Kunstwerk greifbare Gestalt gewonnen und verkündet den Sieg des Lebens über den Tod,« beschrieb Siegmund von Hausegger 1910 das Konzept der Kreation, deren Abschnitte er als »Heldentum und Liebe«, »Tal des Todes« und »Es werde! des Künstlers« verstanden wissen wollte.

Die formalen Details – kurze Einleitung, Marsch mit ruhigem Trio, freie Liedform und endlich die »Vereinigung eines scherzoartigen Satzes mit einem breit ausladenden Gesange« – sind in der Analyse ebenso ausführlich erläutert wie die motivische Semantik, deren wichtigste Elemente sich folgendermaßen darstellen: Motiv des Lebens (0’40), erstes Hauptthema (1’25), Motiv des Todes (3’25), Liebesgesang (4’30), lyrisches Thema des zweiten Hauptteils (9’40), Gesang der Sologeige, der ab 14’35 »das Erwachen neuen Lebens« ankündigt und sich im letzten Abschnitt (17’05) mit den Rhythmen der Holzbläser im Triumph verbindet.

Begleitet wird die Dionysische Phantasie seit ihrer Uraufführung von einem ausschweifenden, reimlosen (nicht: »ungereimten«) Gedicht, das dem Publikum den Weg vom freudigen Wogen im blühenden Thale über die Wanderung auf öder Flur bis zum tatkräftigen Erwachen der künstlerischen Kräfte nahebringen soll. Es sei dahingestellt, ob diese 36 Strophen à 4 Zeilen das Verständnis der Musik wirklich beförderten, als die symphonische Dichtung am 10. Februar 1899 in München aus der Taufe gehoben wurde; nicht zu bestreiten ist jedenfalls, daß der sechsundzwanzigjährige Hausegger am Pult des Kaim-Orchesters einen Erfolg erzielte, der durch die »Rahmenhandlung« – Beethovens Coriolan-Ouvertüre und Bruckners siebte Symphonie – zu einem vollständigen Triumph geriet.

Die Heimatstadt Graz registrierte das Geschehnis genau. Am 13. Februar druckte das Tagblatt zunächst die schwungvolle Eloge der Münchner Neuesten Nachrichten ab, deren Verfasser sich offenkundig vom Ungestüm des musikalischen Verlaufs hatte mitreißen lassen, ohne daß er die klaren Vorbilder Franz Liszt und Richard Strauss verschwiegen hätte; und am 15. Februar erschien in demselben Organ ein Korrespondentenbericht, der gleichfalls einen Ehrenplatz am Küchenschrank für sich beanspruchen konnte: »Ein Einblick in die Partitur des Werkes zeigt uns da eine Beherrschung der Technik, der Polyphonie und Instrumentation, die Staunen und Bewunderung zugleich erweckt und nur an der Kunst eines R. Strauß seinesgleichen findet. Und dabei ist alles nur im Dienste des Ausdruckes, nicht ein contrapunktischcs Kunststückchen oder ein Klangeffect als Selbstzweck. Aber das Sympathischeste und zugleich so recht das Charakteristikon der Hausegger’schen Kunst ist die jugendliche Gesundheit und Ehrlichkeit, in der er sich gibt, wie er ist, ohne jede Sucht nach Originalität, nach Besonderem. Seine Musik ist nicht von ›des Gedankens Blässe‹ angekränkelt, sie ist nicht in Töne gesetzte Philosophie, sondern ganz und gar ungekünstelte, natürliche Empfindung. Dabei ist er seit dem ›Zinnober‹ zu einer großen Selbständigkeit der Erfindung vorgeschritten. Wenn man bedenkt, daß ein Vierundzwanzigjähriger – denn als solcher hat Hausegger dies Werk geschaffen – schon zu einer solchen technischen und künstlerischen Reife gelangt ist, die ihn jetzt schon in die Reihe der hervorragendsten modernen Componisten stellt, wird man mir recht geben, wenn ich behaupte, daß sein Talent bei gleichmäßig günstiger Entwickelung zu den allergrößten Hoffnungen berechtigt«.

Diese Nachrichten dürften zum letzten gehört haben, das Friedrich von Hausegger von seinem Sohn hat lesen können. Als dieser siegreich heimkehrt, liegt der Vater im Sterben. Am 23. Februar 1899, zwei Monate vor seinem 62. Geburtstag, verläßt er die Seinen.

Der Schock sitzt tief. Der bereits angefangene Barbarossa wird für eine Weile beiseite gelegt, die bis dahin reiche Liedproduktion [5] setzt vorläufig aus. Ende 1899 zieht Siegmund als zweiter Dirigent des Kaim-Orchesters nach München. Die Mutter geht mit ihm. zurück voran