Paul Hindemith: Die Klavierkonzerte

Die Musikwelt scheint den 50. Todestag von Paul Hindemith – es war der 28. Dezember des vorigen Jahres – nicht ohne Vorsatz übersehen zu haben. Sein unbefangen-individueller Umgang mit der Tonkunst ist eben doch ein Stachel im Fleische all derer, die ihr Heil im restlosen Kalkül such(t)en, und da man ihn obendrein beim besten Willen nicht der Kollaboration mit dem Teufel zeihen konnte, während seine Schöpfungen sich in den seltensten Fällen durch ariose Sangbarkeit auszeichnen, schien es offenbar geraten, ihn wie eine mißliebige Baustelle weiträumig zu umfahren.

Desto gewichtiger und erfreulicher wirken demzufolge Produktionen vom Schlage dieser konzertanten Unternehmung, die praktisch in allen Belangen gelungen und dazu angetan ist, mit großen Ohren und offenem Sinn immer wieder gehört zu werden. Daß ausgerechnet Idil Biret dem einstigen Organisator des türkischen Musiklebens ihren Tribut zollt, sei hier nur als kleines Ornament vermerkt; daß sie sich im Umgang mit der zum Teil unbestreitbar spröden Materie ebenso auszeichnet wie das muntere, hochmotivierte und engagiert zur Sache gehende Universitätsorchester aus Yale unter Toshiyuki Shimada – das ist das wahre Verdienst der Produktion. Die Solistin versteht es, die sehr disparaten Ereignisse durchweg mit echter Wärme zu erfüllen und dergestalt ohne jede schulmeisterhafte Erläuterungen des Tonsatzes zu realisieren und steht damit nirgends allein: Man höre nur den federleichten Walzer des Sanguinikers und den von der eigenen Beweglichkeit überraschten Phlegmatiker der Vier Temperamente, das frech aufbegehrende Medley des kantigen Klavierkonzerts oder die gläserne Brüchigkeit der Klaviermusik für Paul Wittgenstein, die sich so lange vor der Öffentlichkeit verbarg; man versenke sich aber vor allem in die geradezu spirituellen Regionen der Konzertmusik op. 49 mit Blechbläsern und Harfen – in solchen Phasen sind wir unbedingt geneigt, dem Phänomen Hindemith eine runderneuerte und dauerhaftere Aufmerksamkeit zu schenken.
(EH in Audiophil   I •  2014)