Affinità elettive // Wahlverwandtschaften

»Mit einem geschmeidigen, runden und warmen Ton« (Das Orchester) hat der deutsche Klarinettist Nicolai Pfeffer, am Klavier flankiert von dem Pianisten Felix Wahl, vor drei Jahren die beiden späten Sonaten op. 120 von Johannes Brahms eingespielt und in dieser Interpretation nach den Worten des Spiegel »eine enorme emotionale Bandbreite« erkennen lassen – musikalische Erztugenden, die der 1985 geborene Künstler sehr wohl bei Lehrern wie Bruce Edwards und Ralph Manno verfeinert haben dürfte, die ihm aber offenkundig in die Wiege gelegt und schon früh durch eine Begegnung der besonderen Art geweckt wurden.

Um welche Begegnung es sich dabei handelte, verrät Nicolai Pfeffer in seiner zweiten CD, die zugleich sein diskographisches Debüt mit Orchester darstellt: Wolfgang Amadeus Mozarts singuläres Konzert A-Dur KV 622 markierte in frühen Jahren den Moment des Erwachens, den Augenblick der Erkenntnis – und wenn wir ihn heute im Umgang mit diesem Werk hören, besteht an dem wegweisenden Einfluss des singulären »Spätwerkes« kein Zweifel mehr.

Dass wir ihn hören können, verdanken wir einer Produktion, die im August des vorigen Jahres im Florentiner Teatro Verdi entstanden ist. Dort, inmitten des inspirierenden Spannungsfeldes zwischen Uffizien und Dom, Piazza della Signoria und Ponte Vecchio, dirigierte Markus Stenz das ORT Orchestra della Toscana in einem vornehmlich auf Nicolai Pfeffers Klarinettenspiel abgestimmten Mozart-Programm, das mit der beinahe jenseitigen Schönheit des Konzertes beginnt, um anschließend die unbändig vergnügten Seiten früherer Jahre aufzuschlagen, die die vorliegende Aufnahme zwar nicht in originaler, aber doch sehr origineller Gestalt präsentiert: Der erfahrene Bearbeiter Nicolai Pfeffer hat sich das Rondo C-dur KV 373 für Violine und Orchester eingerichtet und bläst an der vorgesehenen Stelle die Kadenz des bekannten Arrangeurs und Komponisten Andreas N. Tarkmann, der auch für den virtuosen Konzertsatz verantwortlich zeichnet, dem die brillante, extrem anspruchsvolle Konzertarie »Sperai vicino il lido« KV 368 zu Grunde liegt.

Beschlossen wird der Reigen von einem Solo des Orchestra della Toscana, das sich unter der Leitung von Markus Stenz mit der Symphonie Nr. 29 A-dur KV 201 des weiland achtzehnjährigen Mozart in derselben elastischen, jugendlichen Begeisterung präsentiert, die das gesamte Album auszeichnet.

Nicolai Pfeffer, Klarinette
»Nicolai Pfeffer ist ein ausgezeichneter Klarinettist und ein sensibler Musiker, jemand der sowohl mit technischer Souveränität als auch einer fesselnden Musikalität spielt.« Als Alfred Prinz (1930-2014), der legendäre Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker, diese Worte sprach, war sein damaliger Schüler gerade vierundzwanzig Jahre alt, und er hatte bereits die Hälfte seines jungen Lebens mit der Klarinette zugebracht.

1985 in Fulda geboren, 1997 von Bruce Edwards mit den Grundbegriffen des Rohrblatt- und Klappenspiels vertraut gemacht, anschließend unter anderem bei Sharon Kam und in der Meisterklasse von Ralph Manno an der Kölner Musikhochschule unterrichtet, zudem unter anderem an der Indiana University Bloomington sowie bei den internationalen Kursen von Sabine Meyer, Karl Leister, Alan Hacker und anderen renommierten Vertretern der Zunft musikalisch beeinflusst, ist der vielfach ausgezeichnete Nicolai Pfeffer mittlerweile als Instrumentalist und Lehrer eine ebenso beachtenswerte Größe geworden wie als Juror und vor allem auch als Bearbeiter und Herausgeber der klassischen Meisterwerke. Seine neuen Editionen kammermusikalischer und konzertanter Werke entstehen im Auftrage alteingesessener Verlage (G. Henle, Breitkopf & Härtel), die gern auch seine eigenen Bearbeitungen in ihre Kataloge aufnehmen – darunter die Einrichtung Mozart’scher Konzertstücke und -arien, für die Nicolai Pfeffer selbst als Interpret die beste Werbung macht. So enthält seine jüngste CD mit Markus Stenz und dem ORT Orchestra della Toscana neben dem Klarinettenkonzert A-dur KV 622 das Rondo C-dur KV 373 und die »wortlose« Arie KV 386, die zwar eigentlich für die Geige beziehungsweise für eine Sopranistin gedacht waren, in Pfeffers eigener Darstellung aber durchaus Zweifel an den Originalbesetzungen aufkommen lassen … www.nicolaipfeffer.com

Markus Stenz, Dirigent
Für Markus Stenz ist die Musik das reinste Lebenselixier, das ihn im Laufe seiner bisherigen Tätigkeit zahlreiche hochkarätige Herausforderungen hat bestehen lassen: Unter anderem als Chefdirigent der Niederländischen Radio-Philharmonie (2012-2019), Erster Gastdirigent des Baltimore Symphony Orchestra (2015-2019) und Conductor-In-Residence des Seoul Philharmonic Orchestra (2016-2020).

Von 2003 bis 2014 wirkte Stenz als Generalmusikdirektor der Stadt Köln und Gürzenich-Kapellmeister. Daneben war er von 2010 bis 2014 Erster Gastdirigent des Hallé Orchestra. Diesen Tätigkeiten waren die künstlerische Leitung des Festivals von Montepulciano (1989-1995), die Position des Chefdirigenten der London Sinfonietta (1994-1998) und die künstlerische Leitung des Melbourne Symphony voraufgegangen, das ihn von 1998 bis 2004 überdies als seinen Chefdirigenten verpflichtet hatte.

Seine umfangreiche Diskographie enthält viele preisgekrönte Produktionen – darunter sämtliche Symphonien von Gustav Mahler mit dem Gürzenich-Orchester (Oehms Classics). Die Einspielung der fünften Symphonie wurde im November 2009 in die Bestenliste des Preises der Deutschen Schallplattenkritik aufgenommen. Viel Lob erhielten auch die Tondichtungen Don Quixote und Till Eulenspiegel von Richard Strauss (Hyperion) und die Gurrelieder von Arnold Schönberg, die von den Gramophone Awards 2016 mit dem Choral Award ausgezeichnet wurden.

Markus Stenz studierte an der Hochschule für Musik in Köln bei Volker Wangenheim sowie in Tanglewood bei Leonard Bernstein und Seiji Ozawa. Er wurde mit einem Honorary Fellowship des Royal Northern College of Music und der »Silbernen Stimmgabel« des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet. www.markusstenz.com