Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung 1900, Heft 6 (Max Dietz)
Zum 70. Geburtsfest Karl Goldmark’s.
(Nachdruck nur mit Quellenangabe und Nennung des Verfassers gestattet.)
Gounod, Thomas, Delibes, Cäsar Franck, Erkel, Rubinstein, Brahms, Bruckner und Tschaikowsky todt – es lebe Goldmark! Alle die vorhin genannten, in so verschiedenartiger Bethätigung hervorragenden Tonmeister sind innerhalb eines Jahrzehnts hinweggerafft worden. Der Tod hat in rascher Aufeinanderfolge reiche Ernte gehalten unter den schaffenden Tondichtern, die Zahl der noch lebenden Verdienstlichen und Gefeierten ist gar enge zusammengeschrumpft. Einer dieser, derselben Generation Angehöriger lebt unter uns, ein Componist, der unbestrittenes Ansehen, ja Berühmtheit sich errungen: Karl Goldmark. Am 18. Mai feiert er sein 70. Geburtsfest, nicht in müßiger Ruhe auf seinen Lorbeern ausruhend, sondern trotz der vorgerückten Jahre noch immer schaffenseifrig, der erste lebende Operncomponist deutscher Zunge. Er ist es durch die weittragenden Erfolge, die seine Werke davongetragen, ebensosehr aber auch durch den innern Werth seiner Hervorbringungen geworden, welche – wenigstens was das Operngebiet anbelangt – zu den Spitzen der zeitgenössischen Tonkunst zählen. Nomen est omen! Seine Opern bergen Gold und Mark. Des ersteren habhaft zu werden, mag für Viele nicht ohne Anstrengung abgehen, das musikalische Gold liegt im Grunde seiner Schöpfungen, glitzert und funkelt darin und erweist sich als lauter und schwerhältig, dem letzteren haben sie ihre durchgreifende Wirksamkeit zu verdanken. Denn der gewissenhafte Tonmeister ist kein Süßholzraspler, kein Kunsthallodri (wie manche der modernsten Veristen), kein zerflossener Lyriker. Es ist ihm strenger Ernst um die hohe Kunst, und er hat sich ihrem Dienste mit keuschem Sinn geweiht. Auch der Laie verspürt den dramatischen Anhauch, der die Opern des Meisters durchdringt, wenn ihm auch der schwermuthsvolle Grundton dieser Musik, der das Kennzeichen von Goldmark’s künstlerischer Individualität bildet, mitunter die Seele belasten mag. Es lohnt der Mühe, sich mit seinen Leistungen vertraut zu machen. Jeder, der sie unbefangen in sich aufnimmt, wird reichen Gewinn daraus ziehen. Denn in der schillernden und schimmernden Hülle stecke ein tiefer Kern. Goldmark war stets darauf bedacht, effectvoll zu schreiben, doch nie hat er um die wandelbare Gunst der Menge gebuhlt. Dein Bestreben ging dahin, mit ungetheilter Hingabe seines Ichs nach seiner Empfindung die Kunst zu pflegen und weiter fortzubilden. Er hat nach hohen Zielen gestrebt mit peinlicher Gewissenhaftigkeit, in strenger Selbstzucht, ich möchte sagen, in unermüdlichem, harten Kampfe mit sich selbst. Trotz manchem verwandten Zuge mit Halévy und Meyerbeer (ab und zu auch Gounod und Verdi) einerseits, Wagner andererseits, die er augenscheinlich gründlich studirt hat und voll auf sich wirken ließ, ist der Stempel der Persönlichkeit seinen Leistungen unverkennbar aufgeprägt. Er hat Eigenes zu sagen. Das sichert seinem Namen, die Dauer, seinen Werken das aufrichtige und nachhaltige Interesse der Kunstwelt.
In der »Königin von Saba« hat sich sein Talent zuerst in glänzender Weise offenbart. Ich erinnere mich noch gut des aufsehenerregenden Eindruckes, welchen der prächtige, pomphafte, durch glückliches Localcolorit auffallende Aufzugsmarsch in einer der Erstaufführung des ganzen Werkes voraufgehenden Concertaufführung gemacht. Auch ich spendete dem Stücke des damals ganz ungekannten Componisten lebhaften Beifall und sah mit Spannung der bevorstehenden Aufführung der Oper entgegen, die schon bei der ersten Vorstellung (l0. März 1875) einen durchschlagenden Erfolg davontrug, der nicht, wie es beispielsweise bei der am 23. Oktober desselben Jahres stattgehabten ersten Wiener Aufführung von »Carmen« – seltsam, aber wahr! – der Fall war, durch lautes Zischen gestört war. Im Stillen war Goldmark zum bedeutenden Künstler herangereift und gleich sein erstes Auftreten zeigte ihn als Meister der Operncomposition. Er hatte Alles sorgfältig erwogen und weise durchdacht, nichts dem Spiele des Zufalls überlassen. Zu der »Königin von Saba« hatte der Componist einen Stoff so recht nach seinem Herzen gefunden, wie er ihn suchte und brauchte, wie er seinen Instincten und Fähigkeiten lag. Scharf gezeichnete Charaktere waren ihm da geboten, vor Allem die Titelheldin, ein gleißnerisches, mit allen Tücken und Listen des heißen Orients ausgerüstetes Weib, eine Sirene, die ihr Opfer schonungslos umstrickt, stolz und rachsüchtig, von verzehrender sinnlicher Gluth durchtobt, aber auch ihrer fürstlichen Würde voll bewußt. Daneben der weise Salomo, der mehr die Rolle einer theilnehmend beobachtenden Nebenfigur spielt, die innig liebende, in ihrem Lebensglück schmählich getäuschte, tief leidende Sulamith und als trauriger Held der liebessieche, im Sinnestaumel schier um den Verstand gekommene, erst im Sterben von seinem Wahn genesende Assad. Was Goldmark insbesondere reizen mußte, diesen Stoff zu vertonen, das war sein ausgeprägt morgenländischer Charakter, die Tempelfeier mit den antiphonischen Gesängen, die blendende Pracht der Tänze und Aufzüge, die schwüle Stimmung, die über dem Ganzen lagert, die von ihm zur harmonischen Ausbeutung weidlich benützt ward, sowie der Umstand, daß da ein Vorwurf aus der alten jüdischen Geschichte gegeben war, der reichlichste Verwendung von Localcolorit nicht nur zuließ, sondern geradewegs forderte. Häufig begegnen wir in diesen schwermüthigen, klagenden Melodien synagogenmäßigen Anklängen, und der üppige Tonreiz exotischer, eigen fremdartig berührender Musik versetzt uns im Geiste in eine ferne, andersgeartete Welt. Goldmark’s Sache ist es nicht, wenn er dem Drang seines Temperamentes folgt, sich zu bescheiden. Hier hat er so recht einen Griff aus dem Vollen gethan und von den ihm reichlichst zu Gebote stehenden Tonmitteln einen oft verschwenderischen Gebrauch gemacht. Beim Einzugsmarsch der Königin zum Beispiel spielen sechs Harfen. Zeigt er sich schlagfertig und treffsicher im Einzelgesang, ist sein nicht selten übervolles Orchester von einem Meer eigenthümlicher Klänge durchfluthet, so sind es vor allem die Chöre, auf welchen das Hauptgewicht ruht, und die das ganze weitläufige Gebilde wie mit mächtigen Klammern zusammenhalten. Das Tempelfinale mit seiner explosiven leidenschaftlichen Gewalt genießt weitverbreitetes Ansehen, aber auch die sonstigen Ensembles und Chorstücke, unter welchen die so verschiedenartig gestimmten Finales des ersten und dritten Aufzuges hervorzuheben sind, enthalten viel Schönes. Der köstlich anmuthige Sang »Der Freund ist Dein« kehrt sinnig zum Schluß wieder und wirft einen Verklärungsschimmer auf das trübe Geschick des zugleich getrennten und geeinten Liebespaares. Den Ruf Goldmark’s als Musikdramatiker hat »Die Königin von Saba« fest begründet. Man begriff nun, daß auf dem deutschen Opernparnaß neben Wagner noch Platz für andere eigenkräftige Künstlernaturen vorhanden sei.
Ein gleichwerthiges Product schuf Goldmark in »Merlin« (19. November 1886), dessen Stoff dem Sagenkreis des Mittelalters entnommen ist. Er hat hier bewiesen, was man vielfach in Zweifel gezogen, daß er auch ohne orientalische Localfärbung auszukommen vermöge und sich, mehr maßhaltend als in seiner Erstlingsoper, gleichfalls als bedeutender Tragiker bewährt. Die grundverschiedene Aufgabe hat er nicht minder glücklich gelöst und die eigenthümlichen Schwierigkeiten mancher Situationen mit selbstbewußter Sicherheit überwunden. Die Charaktere sind nicht so einfach und leicht verständlich wie in der sabäischen Königin, allein es geht ein großer Zug durch die Dichtung, welche packende Situationen vorführt. Ein hervorstechendes Merkmal dieses Erlösungsdramas bildet das breite Hineinspielen des Wunderbaren und Zauberhaften. Da ist Merlin, der weise Seher, der, dem Reinen zustrebend, über der Hölle Mächte gebietet und durch inbrünstige Liebe zu einem Weibe seiner Weihekraft verlustig wird, Viviane, die wilde bis zur schrecklichsten Unbedachtsamkeit in Liebe zu Merlin entbrannte Jägerin, die, als Alles verloren, durch hochherzige Selbsthinopferung das Seelenheil des sonst rettungslos den höllischen Gewalten verfallenen Geliebten erwirkt, der arglistig auf Verderben sinnende, schließlich doch geprellte Dämon, der milde König Artus mit den Rittern der Tafelrunde, die Fee Morgana, die, vom Teufel beschworen, den Knoten der Handlung schürzt und hinterdrein wieder lösen hilft. All diesen mannigfaltigen Gestalten ist der Componist in der Behandlung gerecht geworden. Jede Seite der Partitur zeigt, wie er auf der einmal erreichten Höhe zu verharren weiß. Sollen wir Einzelheiten herausheben? Den Harfensang Merlins und seinen Monolog im zweiten Aufzug, den heroischen Einzugsmarsch sammt dem groß ausgebauten ersten Finale, den malerischen Geisterchor mit Reigen im zweiten, oder den lieblichen Jungfrauenchor im dritten Aufzug und Vivianens Gesänge in der vorletzten Scene? Neben und über all diesem sei auf das Liebesduett voll Schwung, Schmelz und eingreifender Wirkung nachdrücklichst verwiesen, eine Scene, wie sie in dieser weitathmigen Weise Goldmark weder vordem noch nachher wieder geschrieben. Das bis zum ekstatischen Taumel sich steigernde Stück wiegt allein eine halbe Oper auf und bildet den eigentlichen Brennpunkt des
einheitlich entworfenen Ganzen.
In »Merlin« wie in der »Königin von Saba« hatte sich Goldmark als hervorragender Tondramatiker im leidenschaftlichen Fach gezeigt. Man war gewöhnt, ihn als Tragiker im hochpathetischen Stil zu betrachten und wähnte ihn in diese große Kunstgattung endgiltig festgebannt. Daß er aus derselben heraustreten werde, kam Niemandem in den Sinn. Gar ein friedsames, bürgerliches, wenn auch mit romantischen Zuthaten vermischtes Idyll zu schassen, diese Absicht traute man ihm nicht zu, und doch hat Goldmark diesen Schritt vollzogen. Wir brauchen die Metamorphose seines Stiles nicht erst namhaft zu machen. Wer kennt nicht das traulich gemüthvolle »Heimchen am Herd«? Wen muthen sie nicht an, diese mit glücklichem Griff auf die Bühne gestellten einfachen Gestalten, der biedere Fuhrmann John, der fest und geradehin gerichtete Naturbursche Edward, die schelmische und wieder schwärmerisch sinnige Tot, die empfindsame May, endlich der lächerliche stutzerhafte Geck Tackleton, der noch im Greisesalter das Liebesglück suchen und sich ein Nestchen gründen möchte? Sie alle haben der Text wie Tondichter treffend charakterisirt. Letzterer hat noch ein Uebriges hinzugethan, das silberne Dämmerlicht der Romantik in berückenden Farben darüber ausgegossen und in der reizenden Elfenscene üppigen orchestralen Klangzauber entfaltet. Auf mich hat es immer den Eindruck gemacht, als wenn Goldmark, geärgert von der nie recht verstummten Klage über die Schwerfälligkeit seiner Musik, im »Heimchen« mit dem Publicum Frieden schließen wollte. Er kommt den breiten Schichten der Theaterzuhörerschaft da eine weite Strecke entgegen, lenkt ein in ein bei diesen beliebtes, vordem in seinen Opern mit Bedacht gemiedenes Fahrwasser und müht sich nach Leibeskräften, populär zu sein. So ganz flott und frischzugig will es ihm nicht gelingen, das ginge seiner ernsten grüblerischen Natur doch wider den Strich, und den Künstler zu verleugnen, dazu ist Goldmark nicht zu haben. Er hat, ohne sich verleugnen zu müssen, gleichwohl etliche Zugeständnisse gemacht. Beweise dafür sind ein niedliches Walzerlied mit Coloraturzöpfchen, ein melodiös in’s Ohr fallender Ra-la la-Refrain, das Eilgehopse der Bauernburschen im Ringeltanz unter Juchhe!-Rufen und Bäh!-Brüllen, die Balgerei der Dorfinsassen um die Poststücke mit wirrem Durcheinanderschreien, Keiferei, Zank und Schimpf, Couplets im altväterischen volksmäßigen Buffostil und was dergleichen Reizmittel für den Gaumen des Theaterbesuchers gewöhnlichen Schlages mehr sind. Glaube darum Niemand, daß Goldmark sich vielleicht begnügt habe, eine etwas besser stilisirte Operette zu schreiben mit einem Sammelsurium pikanter Nippsächelchen und derber Schlager – ganz im Gegentheil ist ein wohlausgeglichenes Kunstwerk von überwiegend vornehm feinem, ja echt poetischem Gepräge aus seinen Händen hervorgegangen. Es trägt einen einheitlich festgeschlossenen Charakter und ist in der Grundstimmung wie in den Einzeltheilen glücklich erfaßt und ausgeführt. Vor Allem fesselt es durch Töne von ergreifender Innigkeit, Wärme und süß-traulicher Heimlichkeit. Zum sentimentalen Grundton des Ganzen bilden die derb-lustigen Bauernscenen, sowie die an die körnige Schreibweise der »göttlichen Philister« anklingenden Gesänge des verliebten alten Gimpels Tackleton ein wirksames Gegengewicht. Behufs Illustration des Zirpens des lieben Hausgeistes, des Heimchens hat der Componist eine höchst originelle Klangfigur erfunden, die aus zwei wiederholt angeschlagenen zusammenklingenden, eine kleine Secunde (cis d) bildenden Tönen besteht, über welchen eine getragene Melodie von verschleierter, geheimnißvoller Färbung ihren breiten Bogen zieht.
Wir können uns nicht versagen, zur Verdeutlichung des eben Ausgeführten hier das Notenbeispiel zu bringen.
Kaum glaubte man Goldmark in dem einfach bürgerlichen Genre eingenistet, als er der Welt eine neue Ueberraschung bereitete und in »Die Kriegsgefangene« zu seiner alten Liebe, einem sagenhaft fernen, hochernste Situationen bietenden dichterischen Vorwurf zurückkehrte. Ein eigenartig anziehendes, sattes Stimmungsbild aus der der Jetztzeit zeitlich weit entrückten antiken Heroenwelt wird hier vorgeführt. Das jüngste Werk des hochbegabten Tondichters ist in bescheideneren Maßverhältnissen als die vorausgegangenen Werke gehalten. Die Musik dieses Zweiacters fesselt einerseits durch einen Zug herber Strenge, andererseits durch eine tieftraurige und wieder milde, weiche Färbung. Ein concentrirter Ernst, der auf den richtig gestimmten Zuhörer imponirend wirkt, spricht sich in ihr aus. »Die Kriegsgefangene« ist – wiewohl ein Liebesdrama mit gutem Ausgang – kein Galeriestück. Die Musik erschließt sich nicht leicht und mühelos dem Verständniß, sie verharrt zumeist in vornehmer, spröder Zurückhaltung. Es genügt nicht, sie einfach anzuhören, sie zwingt zum Mitdenken, zur unablässigen geistigen Mitarbeit. Ihre Schönheiten sind schwieriger zu erfassen als die in den übrigen Schöpfungen Goldmark’s. Sie liegen nicht, wie beispielsweise im »Heimchen«, offen zutage, man muß sie aufsuchen und zu finden wissen. Das Werk erfordert, um nach seinem Eigenwerth gewürdigt zu werden, ein tieferes Eingehen in seine Besonderheit. Der Hörer hat sich in diese kraftvoll gezeichnete harte Stimmung des antiken Heldenzeitalters des trojanischen Krieges willig zu versenken, sich hineinziehen zu lassen in den Bann des vom heutigen Operncult seitab liegenden Stoffes. Dem aufmerksam Lauschenden wird die Oper ihre Vorzüge entfalten, bei näherer Vertrautheit mit ihr kann ein tiefgehender Eindruck nicht ausbleiben. Die musikalische Form, in welcher die jeweiligen Situationen ihre Wiedergabe finden, ist hier in der Regel äußerst knapp gerathen. Der Componist hält sich nicht lange mit dem Einzelnen auf, verzichtet beinahe durchwegs auf lyrische Ruhepunkte und reiht in raschem Wechsel Scene an Scene. Man muß sich mit diesem etwas eigensinnigen Standpunkt befreunden, um die Möglichkeit zu finden, dem Werke gerecht zu werden. Gewiß ist mit dem Verzicht auf breite Tonformen auch manche Einbuße an unmittelbar ansprechender Wirksamkeit verknüpft und durch solche aphoristische Behandlungsart der dramatischen Situationen das Durchgreifen der groß gedachten Leistung beim Publicum erschwert. Der erste Eindruck des Befremdens muß überwunden werden, das ist aber nicht die Sache Jedermanns, selbst findige Köpfe gehen bei heiklen ästhetischen, zur Lösung gestellten Ausgaben leicht in die Irre … Mit trotzigen Accenten hat Goldmark den zornschäumenden und rachewüthigen Achill ausgestattet. Hoheitsvoll, dabei ganz weibliche Hingebung muthet die reine, zarte Gestalt der Briseïs an. Würdig, tiefgebeugt und gramverzehrt erscheint der um die Ausfolgung der Ueberreste seines heldenhaften Sohnes flehende König Priamus. Ihrer Kürze ungeachtet enthält die Oper Inspirationen, die zu den glücklichsten unseres Meisters zählen, vor Allem den sehnsuchtsgeschwellten gebetartigen Gesang der Briseïs im ersten und das packende, feurig auflodernde Liebesduett im zweiten Aufzug. Ganz für sich muß auch das in breitem Ergüsse ausströmende effectreiche Vorspiel zum zweiten Act, welches kennzeichnende Hauptmotive der Oper kunstvoll verarbeitet, genannt werden, eine Kraftprobe der hochgesteigerten orchestralen Kunst Goldmark’s. In den zahlreichen, dem Orchester überwiesenen situationschildernden Motiven hat der Tonsetzer eine Fülle geistvoller dramatischer Streiflichter ausgestreut. Der Preis unter all dem Schönen gebührt indeß unstreitig dem einleitenden mächtigen Trauer- (mit nachfolgendem Krieger) Chor. Da hat sich Goldmark zu einer Großsinnigkeit des Empfindens, zu einer so echt antiken Weihe und Feierlichkeit aufgeschwungen, daß dieses von tiefster Wehmuth durchtränkte Stück in der gesammten Opernproduction der romantischen Richtung völlig vereinzelt dasteht. Etwas vom Geiste Gluck’s weht in moderner Fassung in dieser erhabenen Eingebung. In der »Kriegsgefangenen« hat sich Goldmark enger als je zuvor Richard Wagner angeschlossen. Der Sprechgesang herrscht vor. Scharf treffende Pointirung der Worte, die sich nur stellenweise arios anläßt, waltet im vocalen Theile, der oft eine ganz eigen kurzgefaßte, bündige Schlagkraft des Dialogs zeigt. Das virtuos behandelte Orchester ist stets der treue Gefährte und beredte Dolmetsch der poetischen Idee. Es leidet keinen Zweifel, daß der Componist mit diesem Werke sich ein frisches Ruhmesblatt in den Lorbeer geflochten und ein Musikdrama geschaffen, das in der That das rege Interesse jedes ernsten Kunstfreundes verdient.
Die würdigste Feier des 70. Geburtstages des hochverdienten einheimischen Tondichters bestände darin, daß die Hofoper einen Goldmark-Cyklus in Scene setzte und so dem Publicum den künstlerischen Werdegang des Meisters in fein zusammengestimmten Aufführungen klar veranschaulichte. Im Laufe eines Jahres oder noch längeren Zeitraumes sind die einzelnen Aufführungen denn doch zu sehr verzettelt. Man könnte dann die reiche künstlerische Habe des Tondichters in Einem überschauen und so am besten seines Besitzes froh werden. »Die Königin von Saba« bedarf keines Fürwortes. Ueber 100 Aufführungen in der Wiener Hofoper zeugen von ihrer andauernden Beliebtheit. Sie zählt zum eisernen Bestande des heutigen Repertoires und bildet eine Zierde des Spielplanes jedes größeren deutschen Opernhauses. »Merlin«, der ihr im Werthe durchaus ebenbürtig ist, wieder auszuführen, möchte ich als Ehrenpflicht der Opernleitung bezeichnen. Ein Werk von dieser Größe und Bedeutung sollte überhaupt nicht, auch nicht zeitweilig vom Spielplan abgesetzt werden. Wir hoffen denn auch ihm demnächst wieder in der Hofoper zu begegnen. »Das Heimchen am Herd«, welches gegenwärtig wahrscheinlich in Folge Abganges der schier unersetzlichen Renard feiert, wird dem Publicum willkommen sein. Auch »Die Kriegsgefangene« darf nicht fehlen, umso weniger, als sie nicht den ganzen Abend ausfüllt, also leicht untergebracht werden kann. Mit dem In’s-Leben-rufen des angeregten Cyklus sollte Wien anderen deutschen Städten vorangehen, nicht wie so oft hinter Dresden, Berlin oder München nachhinken. Goldmark aber wünsche ich, daß sein »Götz von Berlichingen*), an dessen zweitem Act er gegenwärtig arbeitet, sich den vorausgegangenen Werken würdig anreihe und der Meister im Spätherbst seines Lebens damit neue, wohlverdiente Triumphe feiere. Vielleicht haben wir in ihm wieder ein Meisterwerk zu begrüßen, von dem man dann mit des Hauptmanns Worten in Goethe’s gleichnamigem Drama sagen wird können: »Wolf hat sein Probestück brav gemacht«.
Dr. Max Dietz
*) Musiken zu dem Drama »Götz von Berlichingen« schrieben vor mehr als 100 Jahren Josef Haydn und Johann Abraham Schulz. Eine Oper dieses Namens ist mir nicht bekannt.