Wer von Wilhelmshaven auf den bekannten Urlaubsort Hooksiel zufährt, die Schnellstraße aber bei Sengwarden verläßt, um von dort nach Jever zu kommen, durchquert zwangsläufig die 2000-Seelen-Gemeinde Sillenstede. Schnell hat man den Ort wieder hinter sich und ebenso schnell ein doppeltes Juwel übersehen: die 1233 (!) fertiggestellte Kirche St. Florian und ihre Orgel.

Das Werk von Johann Adam Berner aus dem Jahre 1752-57 spielt die Hauptrolle bei dem entzückenden Sillensteder Orgelsommer, einer musikalischen Reihe, die an jedem zweiten Samstag oder Sonnabend um 18.00 Uhr zu einem einstündigen Konzert einlädt (Eintritt frei, Spenden erbeten) und sich offensichtlich größter Beliebtheit erfreut, wie ich selbst am 8. August feststellen konnte, als ich – mehr oder minder zufällig auf dieses kleine »Festival« aufmerksam geworden – den Aachener Organisten und Kantor Elmar Sauer erlebte.

In seinem »Festkonzert zum 350. Geburtstag des Komponisten Nicolaus Bruhns« zog er im wahrsten Sinne des Wortes sämtliche Register, von denen noch die gute Hälfte (in Zahlen: 11) dem Erbauer des Instruments zu verdanken sind. Vom Buxheimer Orgelbuch – mich überläuft’s immer, wenn ich diese eindrucksvoll-kargen Linien und sparsamen Harmonien höre – bis zum »Jubilar« des Jahres beschrieb Sauer einen konsequenten Entwicklungsbogen, der in einem außerordentlich »modernen« Werk Bruhns mündete: Was sich hinter dem schlichten Titel Präludium und Fuge e-moll verbirgt, ist ein gewaltiges, zerklüftetes, unglaublich kühnes und explosives Gebilde, das mir wieder einmal vor Ohren und Gemüt führte, welch ein »moderner« Schatz im 17. Jahrhundert vergraben liegt.

Wo die geregelten Verläufe des sogenannten Hoch- oder Spätbarock – den zeitlosen Johann Sebastian Bach nehme ich selbstredend davon aus – sich vielmals in berechenbaren Formeln ergehen, ist ein paar Jahrzehnte musikalisch oftmals die Hölle los. So auch in der grandiosen Passacaglia d-moll von Dietrich Buxtehude, die Sauer derart raffiniert registrierte, daß die kontinuierlichen Steigerungen sich zeitweilig zu takt- und phrasenübergreifende Klangschübe auswuchsen und den einfachen Kirchenraum in einem übergeordneten Puls schlagen ließen.

Von dieser schönen, instruktiven Orgelstunde ist tatsächlich alles im Gedächtnis geblieben. Hans Buchners holzschnittartige »Sequenz zur Auferstehung des Herrn« und die pastellfarbige Intavolierung eines Psalmliedes von Cornelis Boscoop und der schnurrig variierte Ballo del granduca von Jan Pieterszoon Sweelinck ebenso wie das kleine Praeambulum seines Schülers Peter Hasse (I): Allmählich dringen die Mixturen in die »prinzipiellen« Stimmen ein, der Ton leuchtet heller, die Diktion wird schärfer wie im Präludium g-moll von Franz Tunder, Hasses Nachfolger und Buxtehudes Vorgänger an der Lübecker Marienkirche – kleine Juwelen allesamt und alle mit vielem Geschmack exekutiert.

Ganz eindeutig, der kleine Umweg hat sich gelohnt und sei hiermit zur Nachahmung empfohlen.