… noch solche Frage fragen

Ludwig Meinardus

Wer ist Herr Ludwig Meinardus? Zunächst der Referent des »Hamburger Correspondenten«, dem das Goldmark’sche Violin-Concert vielleicht aus Nichtverständniss nicht gefallen hat. Was giebt aber dem Herrn Meinardus das Recht ohne Beweise in dieser Art seinem Missfallen über das Werk eines Goldmark Ausdruck zu geben ? War Herr Meinardus im Stande, die nervöse Speculation Goldmark’s beim Schaffen des Concertes zu beobachten? Sollte Herr Meinardus nicht wissen, dass ein bedeutender Mensch – und ein solcher ist Goldmark – ein selbst dem Umfange nach so gewaltiges Werk wie das Violin-Concert nicht durch Speculation schafft? Weiss Herr Meinardus nicht, dass solche Werke, ob sie das Gefallen des Publicums schliesslich erlangen oder nicht, mit dem Herzblute des Componisten geschrieben werden? Wesshalb erwähnte der Herr Meinardus nicht die ausserordentlich glänzende Aufnahme des Werkes durch das Publicum? Wesshalb registrirt der werthe Herr nicht die verhältnissmässig häufigen Hervorrufe, welche nach Vortrag des Werkes dem Herrn Lauterbach zu Theil wurden, obwohl ihm bekannt sein muss, dass unser übrigens liebenswürdiges Publicum doch sonst weder sich noch den betreffenden Künstler durch allzu viel Applaus zu incommodiren beliebt? Erheischte es nicht der kritische Anstand, dass ein Werk von Goldmark, welches ein Mann wie Lauterbach in diesem Winter in den verschiedenen Städten zusammengenommen, zum ca. fünfzehnten Male, in Hamburg zu vertreten suchte; war es nicht derselbe Grund, ein Werk, welches die Direction der philharmonischen Concerte auf das Programm gesetzt, und dessen Studium sich Dirigent und Orchester unterzogen hatten, wollte man es »reissen«, wenigstens ausführlicher und gründlicher zu behandeln, als es durch wegwerfende Redensarten glauben abthun zu dürfen? Hatte der Componist Meinardus nicht aus der Art und Weise, wie die Kritik ihn nach Aufführung seiner Fest-Symphonie behandelte, trotzdem das Werk, obgleich der Autor selbst dirigirte, kaum einen succès d’estime zu erringen vermochte und die Kritik unweigerlich den Stab brechen musste – hatte er nicht gelernt, wie man mit einem Autor umzugehen habe? Wer ist nun der Componist Ludwig Meinardus? Nun, zunächst ein Herr, welcher mit Beethoven drei, aber nur drei Dinge gemein hat: erstens den gemeinsamen Vornamen, zweitens die Benutzung von Notenpapier, drittens die Hervorbringung (bei Beethoven dürfte »Schöpfung« passender erscheinen) von Tonwerken. Ferner ist er ein Herr, der sich in seiner nichtsdurchbohrenden Bescheidenheit oft einen Epigonen zu nennen beliebt. Dies ist aber zu viel Selbstverleugnung, denn in einem Punkte ist er bahnbrechendes Original: es ist bekannt, dass es selbst den bedeutendsten der jetzt lebenden Componisten mit aller Anstrengung schwer fallen dürfte, Compositionen von nur annähernd der Langweiligkeit derer des Herrn Ludw. Meinardus zu erzeugen! In derselben Zeit, wo Herr Meinardus anfing die Welt mit seinen Werken zu beglücken, waren Schumann, Kiel, Brahms u. A. – viel später aber Goldmark thätig sich Raum zu schaffen. Die Genannten schufen sich Raum und machten sich Namen in einer Art und Weise, dass, wenn man (vielleicht nicht Herr Meinardus) ein Werk von ihnen zwischen die Finger bekommt, mag man damit sympathisiren oder nicht, gezwungen ist, es mit höchster Achtung zu behandeln. Die Werke des Herrn Meinardus liegen aber auf den Böden der Verleger oder in seinem Pulte, und nirgend wird irgend Jemand eine unruhige Nacht darüber haben, wenn das Erscheinen eines neuen Werkes des genannten Herrn in Aussicht steht. Warum sollte man auch nicht schlafen? ist doch die Langweiligkeit ein Erzeuger des Schlafes. Vielleicht dürfte dadurch, dass vorstehende Kritik des Herrn Meinardus sich an die Fersen des Goldmark’schen Violinconcertes heftet, dem genannten Herrn die Langlebigkeit des Goldmark’schen Werkes eine Unsterblichkeit bereiten, die ihm sonst schwerlich zu Theil geworden wäre. Lessing sagt gelegentlich einmal Folgendes ungefähr: „Es thut mir leid, dass ich ihn nicht sanfter niedersetzen konnte!“ –
Hamburg, den 17. März 1879. Hugo Pohle 
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