Nie soll man derart klagen …

… von der Publikation eines renommierten Komponisten einige Einkünfte verspricht, mit einem gewissen Unwillen auf Kritiken reagiert, die das Werk »seines« Künstlers mit unschmeichelhaften Attributen in Frage stellen. Dennoch ist die Reaktion, die Hugo Pohle in Gestalt eines aufwendigen Inserates 1879 im 24. Heft der Signale für die musikalische Welt  veröffentlichte, in mehrfacher Hinsicht ungeschickt: einmal, weil man ihm ganz zwangsläufig (begreifliche) kommerzielle Interessen unterstellen wird; dann, weil nur in den allerseltensten Fällen die Stellungnahme eines Rezensenten die gegenteilige Auffassung eines andern − wie das hier versucht wird − aufheben kann; weil es nie besonders glücklich ist, den Text der ungeliebten Kritik wörtlich zu wiederholen; und weil die Attacke auf einen selbst schöpferisch tätigen Kritiker, der also etwas von der Materie versteht, besser sein müßte als die wütenden Anwürfe, mit denen Pohle versucht, Ludwig Meinardus um seine Urteilsfähigkeit zu bringen. (Ob es andererseits ratsam sei, sich als Künstler auch kritisch zu betätigen, steht dahin: berühmte Beispiele wie Hugo Wolf oder Wilhelm Peterson-Berger sollen an dieser Stelle genügen).

Hier folgt nun der Wortlaut des Verlegerprotestes samt der aufschlußreichen Erwiderung eines Herrn B. Hartmann aus Elberfeld:

• Verlag von Hugo Pohle, Hamburg. 
Goldmark , Carl, Op. 28, Violin-Concert.

Partitur 15 M. net. Orchesterstimme 15 M. Mit Pianoforte 10 M.

Gelegentlich der Aufführung dieses Werkes im X. Philharmonischen Concert schreibt:
Herr Ludwig Meinardus im »Hamburg. Correspondenten«:

Ueber die erwähnten Tonstücke selbst liesse sich Manches sagen. Das anspruchsvollste derselben war das für Lauterbach speciell geschriebene (?) Violin-Concert von Goldmark. Wir beschränken uns darauf, dasselbe zu kennzeichnen als ein Erzeugniss nervöser Speculation auf Klangeffecte, ohne consequente Entwickelung der Gedanken, unstät bald diese, bald jene Strasse stillos einschlagend, unter diesen auch einmal den Weg des gebundenen Satzes, was im Zusammenhang des Ganzen fast spasshaft wirken würde, wenn man nicht Mitleid empfinden müsste mit den Qualen, die dem Verfasser die Armuth an Gestaltungskraft verursacht, indem er von einem Einfall zum anderen rathlos greift und durch dieses unzusammenhängende Wirrsal sich mühsam hindurchwindet, um aus dem Labyrinth einen Ausgang zu gewinnen. Dass Goldmark wunderbare Klangeffecte zu ergrübeln und sein Orchester meisterhaft zu tractiren versteht, konnte, wer es nicht sonst schon erfahren, Jeder in diesem Concertstück bestätigt finden.

Ein mit G. bezeichnetes Referat der »Hamburger Nachrichten«:

Der sächsische Hofconcertmeister Herr Lauterbach aus Dresden erfreute zunächst durch das Amoll-Concert für Violine von Carl Goldmark, eine Novität für hier, welche die Erwartungen hochspannte und völlig befriedigte. Das Werk ist, wie alle Goldmark’schen Compositionen, von grosser Bedeutung , sowohl in der Erfindung , als auch in der Ausarbeitung . Es trägt, wie alle Compositionen des hochbefähigten Componisten, den »edlen, würdigen, selbstständigen Charakter und ist in seiner Instrumentation glänzend gearbeitet. Die Steigerungen, überraschenden Effecte und Nuancirungen sind ausserordentlich und doch ist nichts gesucht, Alles, wenn auch erhaben, natürliche Eingebung . Freilich hatte die Tonschöpfung eine ausserordentlich befähigte ausführende Kraft, die ein vollständiges geistiges Erfassen des Werkes bezeugte. Herr Lauterbach ist einer der ersten deutschen Violinisten, nicht allein betreffs seiner hervorragenden technischen Fertigkeit, sondern auch seiner geistigen Vorzüge wegen; aus seinem Vortrag erkannte man vor allen Dingen den denkenden. auffassenden und verständnisvollen Musiker. (weiter)