Mit eiserner Energie

Schon ein flüchtiger Blick auf die kompositorische Statistik verrät, daß der Faden gerissen ist. Während das »Liederjahr« 1898 an die zwanzig Titel mit Klavier sowie zwei orchesterbegleitete Chorwerke gezeitigt hatte, bringt Siegmund von Hausegger zwar einige Monate nach des Vaters Tod den Barbarossa zum Abschluß – daneben aber gibt es bis 1901 außer einigen kleineren Klavierliedern nichts mehr. Dann eröffnen zwei der Drei Hymnen an die Nacht3) für Bariton und Orchester nach Gedichten von Gottfried Keller eine größere vokale Produktion, worauf Wieland der Schmied in symbolträchtigster Weise seine Fittiche spreizt. Am 26. März 1904 ist die Partitur fertig, die ganz direkt an das dionysische Selbstportrait anknüpft, indem auch sie die künstlerische Befreiungstat besingt.

Aus Ausgangspunkt dient dem »unentwegten Idealisten«, wie ihn dermaleinst der Kollege Joseph Marx nennen wird, nun kein poetisches Eigengewächs, sondern Richard Wagners gleichnamiges Dramenfragment, worin Hausegger nach eigenen Worten das tondichterische Potential erkennt: »Bei Wagner die Verkörperung des deutschen Volkes, läßt sich Wieland auch als Künstler erfassen, allerdings in jenem höchsten Sinne, der, weit entfernt, sich auf irgendwelche Einzelkunst zu beziehen, das Reinmenschliche, hinter aller Erscheinung Stehende bezeichnen will.«

Zu diesem Behufe und zur Vermeidung allzu naturalistisch-narrativer Elemente war es erforderlich, die an sich abendfüllende Handlung auf einige grundlegende Stationen zu reduzieren. An die Stelle der äußeren Feinde, die Schwanhilde nach dem Leben trachten, den künstereichen Schmied gefangen nehmen, an den Fersen lähmen und in ihren Frondienst zwingen, tritt in der symphonischen Dichtung der »Titelheld« als eine Figur, die – durch irdische Begierden gefesselt und versklavt – das Idealbild des »Weibes« ersehnt, das jedoch unter seinen rohen Avancen zerstiebt. Erst die läuternde, schmerzensreiche Arbeit versetzt ihn in die Lage, mit der Geliebten himmelwärts zu streben.

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, die Dedikation (»Meiner geliebten Frau!«) und das »Programm« des Wieland in einen zwischenmenschlichen Kontext zu bringen – desto weniger, als Hausegger im Jahr seiner Vermählung (1902) sich auch mit den Liedern der Liebe nach Gedichten von Nikolaus Lenau beschäftigte, die Wielands Werdegang flankierten: Die Grundzahl der höheren Einheit ist eben die 2, und wenn in unserem Hauptdarsteller der Wille zum Schaffen wieder erwachte, so offenkundig nur deshalb, weil er erst durch die 2 komplett war.

Während in der Dionysischen Phantasie verschiedene Abstrakta, Stimmungen und Zustände den motivischen Ton angaben, bedurfte das neue Werk einer thematischen Personnage, um »die beiden Gestalten Wielands und Schwanhildes lebendig vor unseren Augen erstehen zu lassen, gleichsam als Pole eines einheitlichen seelischen Erlebnisses, dessen Konflikt und Lösung zu musikalischem Ausdrucke gebracht werden soll«.[6]

Dieser Dualismus ist in der Tat plastisch gewählt: Wieland tritt bereits im dritten Takte mit derben Schritten auf den Plan, wohingegen Schwanhilde, wie eine moldavische Quellnymphe von zwölffach geteilten Streichern, Flöten, Klarinetten und Harfen feenhaft umgirrt, erst nach geraumer Zeit (2’25) im schlichten Gesang der Solovioline ihr Antlitz zeigt: zu früh für den zwischen Erdensehnsucht (0’35) und Himmelssehnsucht (1’08) schwankenden Kunstschmied, der das zarte Wesen durch die »Glut eigensüchtiger Liebe« (4’40) in die Flucht schlägt und dafür prompt die Quittung erhält. – Stille, Leere (5’15) – noch einmal brüllt das »irdische Werben« auf – und es beginnt der zweite Teil. Der gelähmte Wieland (5’53) schleppt sich in den zerhackten Tonfolgen seines ehemals so kernigen Themas dahin, in der Tretmühle aufbegehrend, ohne alle Hoffnung trotz des Läuterungsmotivs (7’04), unter dessen Einwirkung er sich dreimal vergeblich aufraffen will – wieder folgt der Himmelssehnsucht der völlige Zusammenbruch im »irdischen Werben«. – Schwanhilde (9’45) geleitet den Verzweifelten zur »innerlichen Befreiung« (10’53), die sich nach und nach zum schöpferischen Entschluß steigert: Am Anfang des dritten Teils (12’15) greift Wieland zum Vorschlaghammer, um sich die Schwingen schmieden, die es ihm endlich erlauben, in der Apotheose des Finales mit der Geliebten in die Sonne zu fliegen (14’25).

Unversehens habe ich mich von diesem idealischen Beziehungsnetz umgarnen und zum Nacherzähler eines ziemlich konkreten, seitenlangen Programms machen lassen. Der Tribut, den Hausegger der Erklärer hier gefordert hat, konnte indes nicht verhindern, daß mir Wieland der Schmied rein musikalisch ans Herz gewachsen ist. Die komprimierte Form und die Einprägsamkeit der Themen, dazu die ausgefeilte, sehr differenzierte Instrumentierung, die ungezwungen geatmeten Steigerungen und die mitunter äußerst raffinierte metrischen Innenspannungen scheinen mir hinreichend, das Interesse für die gesamte Aufführungsdauer des Werkes wachzuhalten – auch für die Gilde der diplomierten Reminiszenzenjäger, denen weder Tannhäuser noch die Auferstehungs-Symphonie, weder Franz Liszt noch Richard Strauss entgehen werden. Über die göttlich-poetische Skrjabin-Trompete (14’10) aber und die »Rose der Infantin« (15’35), die Franz Schreker erste einige Jahre später erblühen ließ, mag rätseln, wer da will. Und mal ehrlich: Ist das nicht völlig egal, wenn uns Siegmund von Hausegger am Schluß ein Bild entwirft, wie’s Fidus oder Ferdinand Hodler nicht schöner hätten malen können? zurück voran