Der Halbgott in Ketten

Vier Monate nach der »Frühlings-Ouvertüre« feierte auch der »Gefesselte Prometheus« seinen Einzug in Wien. Nach Robert Schumanns Manfred-Ouvertüre und Johann Sebastian Bachs Tripelkonzert a-moll BWV 1044 dirigierte Hans Richter am 23. März 1890 die Neuheit, die »lebhaften Beifall« fand, wie die Wiener Sonn- und Montagszeitung einen Tag später schreibt: »Wir finden nun in dieser Ouvertüre allerdings kräftige, trotzige Stellen, aber ein zweites Thema, das in seiner idyllischen Gefälligkeit nirgends so wenig hinpaßt als in den Prometheus des Aeschylos: auch leidet die Komposition an zu großer Dehnung«.

Alpha, der Kritiker des (Neuigkeits) Welt Blattes, ist am 28. März wesentlich anerkennender, stößt sich aber an der letzten Premiere der Matinee, Franz Liszts Dante-Symphonie:

»Den Haupterfolg des Programmes errang Goldmark’s Ouvertüre zum ›Gefesselten Prometheus‹, das uns den Komponisten bis auf wenige Einzelheiten diesmal nur von seinen guten Seiten kennen lernen läßt. Es liegt ein großer Zug in dem Werke: edel k[l]ingt die Klage, furchtbar der Zorn des Halbgottes. Der musikalische Wuthschrei im Hauptsatze der Komposition ist von packender Wirkung, seine gediegene Meisterschaft zeigt der Künstler aber in dem grandios anstrebenden Schlüsse, in welchem das Orchester in allen Tiefen aufgewühlt wird, um schließlich in edel schöner Breite, gleichsam die Ergebenheit in den Willen der Götter ausdrückend, auszuklingen. Reicher Beifall lohnte den Komponisten und den feurigen Hans Richter, der uns dafür unbarmherzig heimsuchte. Die letzte Nummer war Liszt’s Symphonie zur ›Göttlichen Komödie‹ […]«

☞ Ausführliche, bis in die Regionen ausgewachsener Analysen vorstoßende Besprechungen lieferten wieder einmal die großen Wiener Feuilletonisten, die allerdings nicht nur Goldmarks »Prometheus«, sondern auch Liszts »Dante-Symphonie« genau unter die (subjektive) Lupe nahmen.

• Der erste ist Eduard Hanslick:

Neue Freie Presse vom 28. März 1890
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• Ihm folgt nicht minder gründlich Max Kalbeck:

Die Presse vom 6. April 1890
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• Hans Paumgarter (dr.h.p.) schließlich faßt die Ereignisse der letzten Saison in einem mehrteiligen Rückblick zusammen, wobei er mit Franz Liszt um etliche Grade freundlicher verfährt als seine Kollegen:

Wiener Zeitung. Wiener Abendpost vom 23. April 1890
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Acht Jahre später eröffnete Hans Richter das fünfte »Philharmonische Concert« mit Goldmarks Prometheus, doch die nachfolgenden Werke und der solistische Auftritt eines jungen Pianistentalentes absorbierten offenbar das Interesse des Publikums:

Reichspost vom 14. Januar 1898
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Deutsches Volksblatt vom 10. Januar 1898
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Ob man von Prometheus nicht doch gefesselt war, dürften weitere Recherchen ergeben.