Arbeiter Zeitung vom 19. Mai 1900

Theater und Kunst.
Operntheater.
Mit einer solennen Aufführung der »Königin von Saba« feierte die Oper gestern den siebzigsten Geburtstag Karl Goldmark’s.

Der berühmte Komponist wurde am 18. Mai 1830 in Keszthely in Ungarn geboren und kam schon als Knabe nach Wien, um sich als Geiger auszubilden. Anfangs lebte er bei seinem durch die Theilnahme an der Achtundvierziger-Revolution bekannten Bruder Dr. Josef Goldmark und war später, als dieser, fälschlich der Theilnahme an der Ermordung des Kriegsministers Latour beschuldigt, sich nach Amerika geflüchtet hatte, gänzlich auf sich selbst angewiesen. Er ertheilte Musikunterricht und nahm eine Geigerstelle im Orchester des Carl-Theaters an. Während dieser Zeit arbeitete er unablässig an seiner musikalischen Ausbildung und hatte es bis zum Jahre 1860 so weit gebracht, daß er als Komponist in einem eigenen Konzert vor das Publikum treten konnte. In diesem Konzert wirkte auch seine Klavierschülerin Karoline Bettelheim mit, die später als Sängerin eine Zierde unserer Oper wurde. Goldmark erzielte zuerst mit einigen Kammermusikwerken große Erfolge, er schrieb auch schöne Lieder und Chorwerke, dem großen Publikum aber wurde er erst durch seine Orchesterwerke. besonders durch die Ouvertüren zu »Sakuntala« und »Im Frühling« und die Symphonie »Ländliche Hochzeit« und vor allem durch seine an musikalischer Erfindung und orientalischer Farbenpracht so reiche Oper »Die Königin von Saba« bekannt. Dieses Werk machte seinen Namen in der ganzen Welt berühmt. Auch mit seinem »Heimchen am Herd« hatte er großen Erfolg – die Oper steht auf dem Spielplan aller deutschen Opernbühnen –, während er mit »Merlin« und dem [sic!] »Kriegsgefangenen« weniger Glück hatte. Gegenwärtig arbeitet er an einer Oper »Götz von Berlichingen«.

Den Wiener Arbeitersängern wurde der Name Goldmark durch den prächtigen Männerchor »Ein armer Mann, ein Ehrenmann« (Gedicht von Robert Burns) geläufig, der von der Polizei nach seiner ersten Ausführung durch den Arbeitersängerbund viele Jahre hindurch verboten wurde. In der Schlußstrophe dieses Chores wird die unheimliche Forderung aufgestellt, »daß Geist und Werth die ganze Erd’ regieren soll« und »daß Mensch dem Menschen überall ein Bruder sei«. Seither hat die politische Freiheit in Oesterreich so kolossal zugenommen, daß man R. Burns’ frommen Wunsch in der Goldmark’schcn Vertonung sogar in tausendstimmigem Massenchor (bei den Bundesfesten der Arbeitergesangvereine) vortragen darf, ohne von der Polizei daran gehindert zu werden.

Die gestrige Aufführung der »Königin von Saba« unter Kapellmeister Schalk’s sicherer Leitung war eine sehr animirte, und sowohl die Damen Mildenburg, Berth und Kusmitsch, die Herren Winkelmann, Reichmann, Frauscher und Stehmann als auch der treffliche Chor und das wunderbare Orchester suchten sich selbst zu übertreffen, um sich, dem Werke und seinem Schöpfer Ehre zu machen. Das überaus zahlreich erschienene Publikum zeigte sich für alles Gebotene überaus dankbar und kargte nicht mit Beifall, aber ohne Zweifel wäre der Abend weit heißer und stürmischer verlaufen, wenn Goldmark, der Siebziger, nicht aus Angst vor den ihm drohenden Huldigungen die Flucht ergriffen und es vorgezogen hätte, die ihm bereiteten Ehrungen morgen in Gmunden aus den Blättern zu erfahren, statt sich persönlich ihnen auszusetzen. Desto sicherer hoffen wir, ihn aber bei der Premiere des »Götz von Berlichingen« zu sehen. J. S.

(Arbeiter Zeitung vom 19. Mai 1900, S. 8/9)