Sicherheit und Anmuth
Nun zu Etwas, das uns ganz ausserordentliche ausserordentliche Freude machte, es ist dies eine neue Symphonie von Robert Fuchs in C-dur, welche selbst vor den (gegen lebende einheimische Componisten so zugeknöpften) Philharmonikern Gnade gefunden hat und von ihnen im zweiten Concerte vorgetragen worden ist. In der That hat Robert Fuchs mit diesem Werke unsere ohnehin günstigen Erwartungen noch weit übertroffen. Originalität, Natürlichkeit, Kraft, Frische, Innigkeit, thematische und architektonische Schönheit, das Alles findet sich hier auf’s Ueberraschendste vereint und hinterlässt einen wahrhaft erquickenden Eindruck. Schon die Einleitung, die sich zu einer langen Periode ausspinnt, muss einen jeden Kenner durch ihre echte, naive Schönheit fesseln, ebenso die weitere Behandlung des ersten Satzes mit vollständiger, hochinteressanter Durcharbeitung der beiden Hauptperioden. Zu diesem Satz, in dem die schneidige Kraft vorwiegt, contrastirt aufs Beste die leichtbeschwingte Lieblichkeit des Presto, von welchem das Poco Adagio mit seiner wahren, ruhigen und doch warmen Empfindung abermals sich vortrefflich abhebt. Der letzte Satz beginnt allerdings mit keiner Haupt- oder Staatsaction, wie es Manche heutzutage von Symphoniesatz, u. zw. gleich zu Anfang haben wollen, sondern mit einem unbefangen heiteren Thema, das nicht nur an sich sehr schön ist, sondern auch in der Durchführung voll Schwung und Glanz wird, ebenso wie das zweite Thema, das dem ersten im Charakter gleicht, jedoch im musikalischen Bau davon gänzlich verschieden ist. Besonders gelungen ist noch die Steigerung zum Schlüsse mit ihrem frischen Trompetenschmettern. Rechnet man dazu , dass in der ganzen Symphonie keine Posaunen verwendet sind , und dennoch Alles so energisch und lebendig wirkt, so muss man sie geradezu als eine Art von Meisterwerk bezeichnen, das sich Andere zum Muster einer echt künstlerischen Leistung ohne Prahlerei und Unnatur und doch voll Selbstständigkeit und Gediegenheit nehmen mögen. In der That wurde der Componist nicht nur vom Publicum schon nach dem zweiten Satz und dann noch wiederholt gerufen, sondern auch von Brahms und Bülow aus der Directorenloge lebhaft applaudirt. (Dr. H. M. Schuster in: Österreichische Kunst-Chronik vom 6. Dezember 1884)
Im zweiten »Philharmonischen Concert« interessirte und wirkte zumeist die Schlußnummer, eine neue Symphonie von Robert Fuchs. Der Componist ist dem Wiener Publicum ein willkommener guter Bekannter, gehören doch seine drei Serenaden für Streichorchester zu den anmuthigsten Stücken unseres philharmonischen Repertoires. Von einer allerersten Symphonie, einer Jugendarbeit, absehend, die Robert Fuchs vor zwölf Jahren hier aufführen, aber nicht drucken ließ, dürfen wir füglich die neue in C-dur als sein erstes großes Orchesterwerk bezeichnen. Sie zeigt einen überraschenden Fortschritt, keinen gewaltsamen, sondern den organischen eines kräftigen Wachsthums. Neue Formen, ungeahnte musikalische Offenbarungen erwarte man nicht davon – »die Natur müßte bersten«, sagt Schumann, »wollte sie lauter Beethovens hervorbringen«. Es verdient nur Lob, daß Fuchs ihr diese Anstrengung gar nicht zumuthet und keine jener gewaltsamen Himmelsstürmereien wagt, von denen die meisten jungen Componisten mit blutigen Köpfen heimkehren. Er bewegt sich mit Sicherheit und Anmuth in den Grenzen seines liebenswürdigen Talents und schreibt durchaus natürlich, fließend, mit unbestechlichem Sinne für Schönheit der Form und des Klanges. Der erste Satz setzt gleich mit einem entschieden originellen Thema ein, einer charakteristischen Violinphrase, die sich über dem Gemurmel chromatisch absteigender Terzengänge der Bratschen scharf in die Luft zeichnet. Der Satz entwickelt sich vielseitig und schließt kraftvoll. Flüchtig rauscht das für die Geigen sehr dankbare »Intermezzo« vorüber; weich und friedlich breitet sich das gesangvolle Adagio aus. Wo das Interesse an de Gedanken erlahmen könnte, die an Originalität dem Thema des ersten Satzes nachstehen, da legt sich der Reiz des Wohllauts rechtzeitig ins Mittel, die ganze Symphonie ist äußerst geschickt instrumentirt. Der Vorrang unter den vier Sätzen gebührt, meines Erachtens, dem Finale. Ein allerliebstes lustiges Thema beginnt ohne unnütze Vorreden sein schalkhaftes Geplauder; es erinnert anfangs an Haydn’s gemüthlichen Frohsinn, aber zu welcher Wirkung erhebt es sich, uns immer feuriger und glänzender von allen Seiten umschlingend! Das zweite Thema gehört freilich nicht zur musikalischen Noblesse, allein es paßt in die Stimmung und erweist sich ergiebig für allerlei harmonische und contrapunktische Verwandlungen. Kurz, dieses Finale ist ein ganz reizendes Stück von ungekünstelter Frische und unfehlbarer Wirkung. Letztere würde durch einen rascheren Abschluß noch gewinnen; der Componist verfällt der ziemlich überwundenen Mode langer, rauschender Schlüsse, die noch unermüdlich fortlärmen, nachdem schon Alles aus und das letzte Wort gesagt ist. Die neue (demnächst bei Simrock in Berlin erscheinende) Symphonie errang einen entschiedenen Erfolg; der Componist wurde nach jedem Satze und schließlich drei= bis viermal gerufen. (Eduard Hanslick in: Neue Freie Presse vom 4. Dezember 1884)
Im zweiten philharmonischen Concert wurde die in Verlegenheitsfällen gebräuchliche Mendelssohn’sche Ouvertüre zum Märchen von der schönen Melusine gespielt. Wenn man nur drei Plätze im Programm zu vergeben hat, sollte man nicht immer dieselben Leute darauf setzen – da ist jeder Platz ein Ehrenplatz, der weder verpachtet, noch verschenkt werden darf. Wir haben das reizende Tonmärchen Mendelssohn’s zu lieb, um es als Lückenbüßer verbraucht sehen zu wollen; und mehr war es hier nicht, wie schon seine saloppe Auf Aufführung bewies, welche die quellenfrische Nixe gleich einem todten Fisch auf den Sand legte. Bei Liszt’s Es-dur-Concert ging es lebendiger her. So unsympathisch uns das zwischen Sphären- und Circusmusik hin- und herschaukelnde Tonstück an sich ist, dessen chromatisches Hauptthema mit hängender Unterlippe weltverachtend umhergeht und mault, so gern sehen wir es, wenn ein junger Pianist das fatale Ungeheuer in seine Gewalt bringt, und die grotesken Sprünge, die er es machen läßt, bereiten uns ein barbarisches Vergnügen. Wer sich an das Concert heranwagt, muß seinen Bösendorfer und sich vollständig beherrschen können. Herr Moriz Rosenthal brachte für das Werk die ganze begeisterte Entschlossenheit seiner Jugend und die volle künstlerische Reife seiner Technik mit. Er schreitet rüstig mit den Händen fort, und wenn es einen Stern vom Himmel herabzuspielen gäbe, so holte er ihn mit dem kleinen Finger herunter. Das Publicum zeichnete den Künstler durch Beifall und Hervorrufe aus. Eine ebenso freundliche Aufnahme fand die neue Symphonie in C-dur von Robert Fuchs. Wir haben an dem liebenswürdigen Werke nichts weiter auszusetzen, als daß es keine Symphonie ist. Gleich das Allegrothema der ersten Violine mit seiner langathmigen über tremolirenden Bratschen zerfließenden Declamation ist so unsymphonisch wie nur möglich; anstatt einen faßlichen, präcisen Hauptgedanken entschieden auszusprechen, fängt es an zu plaudern. Auch das zweite, dem Cello zuertheilte Thema in G erzählt uns etwas von grünen Thälern und steilen Höhen, wo die Zither klingt und die Sennerin singt, und erst im Durchführungssatze, der vortrefflich gearbeitet ist, bekommen die Themen eine straffere Haltung. Hinter dem Allegro erscheint ein humoristisches Presto in A-moll, ein Scherzo ohne Trio, das so leicht und keck vorüberfliegt wie ein guter Witz. Zu dem Grazioso in E-dnr hat Brahms seinen Segen mit der linken Hand gegeben; es ist ein hübscher melodischer Satz, voll niedlicher Empfindungen und sauberer Deminutivgedanken, die mit der Stickscheere ausgeschnitten sind. Der Verfasser nennt den Theil quasi adagio. Dieses Quasi schreiben wir vor die ganze Symphonie. Das Finale klingt trotz seiner prunkvollen Instrumentirung operettenmäßig, es wäre selbst für die Serenade zu schwach, welche diese Quasi-Sinfonia thatsächlich ist. Wenn die Instrumente das Werk machten, so wäre Alles in bester Ordnung; denn der Componist hat in dieser Hinsicht sehr viel gethan. Und doch wünschten wir, es wäre weniger gewesen. Als Serenade für kleines Orchester oder auch nur für Blase-Instrumente gewänne die C-dur-Symphonie das ihr von rechtswegen zugehörige Gesicht. (Max Kalbeck in: Die Presse vom 6. Dezember 1884)