… meines Erachtens Allen zu Genüge

Der verstorbene Ignaz Ritter v. Seyfried hat für das Schilling‘sche Künstler=Lexicon unsern Claviervirtuosen und Componisten Carl Czerny auf eine Weise gewürdiget, daß selbe für den damaligen Zeitpunct genügen konnte. Da aber Czerny seit etwa zehn Jahren sich vom Unterrichtgeben zurückgezogen, und auch als Concertspieler nicht mehr die Öffentlichkeit betreten, sich dagegen gänzlich der Komposition gewidmet hat, und zwar nicht mehr ausschließend dem Pianoforte, sondern vielmehr dem Kirchenfache, worin er auch so Treffliches bereits leistete, daß seine Werke allgemeine Anerkennung und somit auch selbst eine der strengen Kritik verdienen; da ferners in der biographischen Skizze Seyfried’s Manches nur unvollständig, ja sogar unrichtig angedeutet worden: so schien mir’s an der Zeit, unsern bescheidenen und hinsichtlich seines Characters durchwegs liebeswürdigen Carl Czerny unsern Lesern vorzuführen, und auf denselben namentlich als Kirchencomponisten aufmerksam zu machen, und dieß um so mehr, als seine Weise in diesen Compositionen ganz seinem Character entspricht, und sich durch Einfachheit und kindliche Herzlichkeit auszeichnet. Er verschmäht hierin keineswegs mit sclavischer Nachbetung älterer die unserer Zeit lieb gewordene Art und Weise der Melodieführung, verschmäht nicht die blühende Fülle der Harmonie, wie sie uns in ihrer dermaligen Vollkommenheit zu Gebote steht, – er vergißt aber nie, daß die letztere nur als Begleiterinn auftreten dürfe, wenn diese zu schweigen, gleichsam auszuruhen bemüßigt ist, oder wenn der Affect so sehr gesteigert worden, daß die Melodie aufhören würde, schön und darum künstlerisch zu seyn; Hr. Carl Czerny vergißt somit in seinen Kirchencompositionen nie, daß die Kirche keine Bühne, daher aus derselben alle Affectation verbannt, und daß alles Übrige dem Zwecke untergeordnet seyn müsse: Andacht zu erwecken, und dem Gebete, sey’s in Freude, sey’s in Leid, Engelsfittige zu leihen. Was seinen Styl anbelangt, so ist er, wie es von einem Schüler Beethoven’s zu erwarten, rein, correct und fließend, fern alles affectirten Genie=seyn=wollens, fern aller Barockheit, aber auch fern aller Steifheit und Kälte, wie dieß nur zu oft in Kirchenwerken vorgeführt wird und als Classischthun sich geltend machen will. – Betreffend die biographischen Berichtigungen, habe ich mich an Hern. Czerny gewendet, und erhielt am 5. d. M. Von ihm schriftlich nachstehende Mittheilung, die ich wörtlich folgen lasse, da der anspruchslose, herzliche Ton derselben für die Liebenswürdigkeit des Tonmeisters das authentischeste Zeugniß gibt, und unsern Lesern gewiß lieber seyn wird, als jede noch so rednerisch=künstliche Transcription:

»Ich bin in Wien, in der Leopoldstadt, im Jahre 1791, den 21. Februar geboren. Mein Vater, ein geborener Böhme, so wie meine Mutter, eine Mährinn, waren seit 1785 in Wien ansäßig. Mein Vater erwarb seinen Lebensunterhalt als Clavierlehrer, da er ein für seine Zeit braver Spieler nach der Mozart-Clementi’schen Schule war. Ich wurde von Kindheit an zur Musik bestimmt, darnach erzogen, und soll schon im dritten und vierten Jahr Anlagen gezeigt haben. Da während meiner Kindheit die damaligen guten Clavieristen: Gelinek, Lipovski, Wanhall u.v.m. als Landsleute meine Ältern sehr oft besuchten, so hörte ich viel gute Musik, und mein Vater, mich vorzüglich zum Avista-Spieler heranbildend, verschaffte mir alle Musikalien der damaligen Meister: Mozart, Clementi, Beethoven, Bach &c. &c., welche ich bis zu meinem zehnten Jahre mit Fertigkeit spielte. Im Jahre 1801, also in meinem zehnten Jahre, wurde ich zu Beethoven geführt, der an mir sehr freundlichen Antheil nahm, und durch seinen, meinem Vater gegebenen Rat, so wie durch wirkliches Einstudieren mehrerer seiner Werke sehr zu meiner Ausbildung beitrug. Dieser Antheil steigerte sich in der Folge bis zum freundschaftlichen Wohlwollen, das bis zu seinem Tod ununterbrochen fortdauerte. – Bei dem ziemlich spärlichen Erwerb meines, später sehr kränklichen Vaters, habe ich schon in meinem 14ten Jahre angefangen (1805), Unterricht auf dem Fortepiano zu geben. Ich hatte das Glück, bald schon recht talentvolle Schüler zu bekommen, so daß mein Credit wuchs und ich bald den ganzen Tag beschäftigt war. – In dem Winter 189/10 hatte ich Gelegenheit, den damals hier anwesenden Clementini kennenzulernen, und in einem Hause, wo er unterrichtete, stets dabei gegewärtig zu seyn. Diesem Umstande verdanke ich die Grundsätze, nach denen ich meine Unterrichtsmethode ausbildete. Unter meinen sehr zahlreichen Schülern waren: die Belleville, die (leider zu früh verstorbene) Oster, Liszt, Döhler und viele Andere, die später sich in der Welt bekannt machten. – Das Unterrichtgeben dauerte durch volle 30 Jahre (1805 bis 1835), wo ich dann, theils aus Gesundheits=Rücksichten, theils um mich ganz der Composition zu widmen, damit gänzlich aufhörte. – Mein Vater hatte mir frühzeitig die theoretischen Werke Kirnberger’s, Marpurg’s, Türk’s Albrechtsberger’s &c. in die Hand gegeben, und dieselben mit mir durchgegangen. Eben so beschäftigte ich mich in meiner Jugend fleißig damit, die Orchesterwerke großer Meister, wie die Symphonien und Quartette Mozart’s, Haydn’s, Beethoven’s, aus den Stimmen selber in Partitur zu setzen. Dieß verschaffte mir bald viele Kentnisse des Instrumentalsatzes und überhaupt der reinen Harmonie. – Schon in meinem siebenten Jahre hatte ich, ohne alle fremde Anregung, angefangen, Melodien, Themas, Anfänge &c. zu erfinden und aufzuschreiben, und dieß setzte ich stets, auch während jener, dem Unterricht gewidmeten Zeit, sehr fleißig fort. – Aber da ich nie die Geduld hatte, irgend ein Tonstück zu vollenden, so dauerte es sehr lange, ehe etwas davon bekannt wurde.

Erst im Jahre 1818 (in meinem 27ten Jahre) geschah es, daß Hr. Diabelli, der damals eben seine Musikhandlung eröffnete, mich unbekannterweise ersuchte, ihm etwas für dieselbe zu liefern. Ich gab ihm ein Rondo à 4 mains, welches bei seinem Erscheinen das Glück hatte, einen ungewöhnlichen Antheil zu finden. Von dem Augenblicke wurde ich von allen Musikverlegern mit Anträgen überhäuft und wandte alle freien Morgen- und Abendstunden an, um dieselben zu befriedigen. Bald kamen auch eben so zahlreiche Bestellungen aus dem Auslande, und so ist es gekommen, daß bis heute (1843) öffentlich 734 Originalwerke von mir erschienen sind, wobei manches Werk aus 10, 20, 30 bis 60 Heften besteht. Die Arrangements fremder Werke sind dabei nicht mitgerechnet, und dürften wohl eben so hoch sich belaufen. Von diesen 734 Originalwerken kann man ungefähr 1/4 im ernstern Styl, 1/4 zur öffentlichen Produktion geeignet, 1/4 für den Dilettantismus, und 1/4 zu practischen Lehrfach rechnen. Im Jahre 1837 wurde ich veranlaßt, eine Messe zu schreiben, was ich auch binnen 13 Tagen that, und da man damit nicht unzufrieden war, so habe ich seither in Manuscript 11 Messen (darunter 8 solenn) – ferner über 90 Offertorien und Graduale’s, 2 Requiem, 3 Te Deum vollendet. – Zur Kirchenmusik habe ich mich stets am meisten hingezogen gefühlt, – so wie ich bei weltlicher Musik meistens nur fremde Wünsche erfüllen mußte. Außerdem habe ich noch in Manuscript mehrere Symphonien, Streichquartette, ferner viele Ouverturen für Orchester vollendet; so wie auch Chöre mit Orchesterbegleitung &c. und manches Andere für Gesang. – Nebstdem übersetzte ich noch aus dem Französischen Reiche’s [sic!] große Harmonielehre und Kunst des dramatischen Tonsatzes, in fünf bei Diabelli erschienenen Foliobänden .– Ich bin stets in meiner Vaterstadt Wien geblieben, mit Ausnahme einer Reise nach Leipzig 1836, und einer größeren dreimonatlichen nach London und Paris 1837. –«

Dieß die Worte Czerny‘s und meines Erachtens Allen zu Genüge.
G. Ath–s