… Beifall hatte sie auch nach jedem Satze …

vom 29. Oktober 1868 • Heft 47
(Leipzig)

Kommen wir nun zu der Novität des Abends – der Bruch’schen Sinfonie – so ist uns beim Anhören derselben zunächst ein Ausspruch Glucks eingefallen, den dieser dem ihm Arbeiten vorgelegt habenden jungen Ignaz Pleyel gegenüber that »Mein junger Freund, Sie haben bereits wacker gelernt, Noten auf’s Papier zu setzen; nun müssen Sie aber noch lernen, Noten wieder wegzuwischen.« Die Anwendung dieses Dictums auf die in Rede stehende Sinfonie geht unsres Ermessens dahin, daß Herr Bruch noch etwas viel faux frais macht, und daß der Kern seiner Gedanken noch von zu dicker harmonischer wie instrumentaler Schale umhüllt ist, sowie daß er überhaupt den ganzen Gang einer Sätze (mit Ausnahme vielleicht des Scherzo’s, welches auch in beregter Sinfonie, wie in allen denen der jüngern und jüngsten Componistengeneration, der übersichtlichste ist), daß er – sagen wir – den ganzen Gang einer Sätze noch nicht recht flott und rhythmisch unbehindert zu gestalten versteht. In letzterer Beziehung peccirt namentlich der erste Satz, welcher – Allegro maestoso überschrieben – das Maestoso nur als Schleppendes erkennen läßt und es nur auf Momente zum wirklichen Allegro bringt. Daß es zur Flottheit und Schnellkräftigkeit mit bunten und krausen Figuren nicht gethan ist, beweist auch der letzte Satz, der trotz aller reichen Figurirung doch nicht das wahre Leben entfaltet, sondern mehr etwas Galvanisirt-Zuckendes und Künstlich-Echauffirtes hat. Was nun den Styl des Herrn Bruch betrifft, so zeigt er in dieser seiner Sinfonie ein individuelles Gepräge nicht; namentlich sind es Gade und der Schumann der zweiten und dritten Sinfonie, von denen man sich ziemlich häufig angeweht sieht, sowie in dem Scherzo (besonders da, wo das piano eintritt) auch etwelcher Mendelssohn zu entdecken ist. Wenn nun Alles in Allem genommen die Sinfonie auch nicht auf der Stufe eines Meisterwerkes steht, so birgt sie doch Elemente und Züge genug, welche den Componisten zum Weiterschaffen auf dem Gebiete des Rein-Instrumentalen aufmuntern lassen und welche Bürgschaft gewähren, daß er bei gehöriger Concentrirung einer Fähigkeiten und bei Vermeidung des unnöthigen Mittel-Luxus noch sehr Anerkennenswerthes leisten werde. Ausgeführt wurde die durchaus nicht leichte Sinfonie unter des Componisten eigner Leitung zumeist sehr gelungen, und Beifall hatte sie auch nach jedem Satze in ziemlich reichem Maße. … E. B.