Salon und Sport vom 7. Mai 1910
Theater und Kunst.
Karl Goldmark.
»Sonst trauen wir ihm gerne zu, daß ihm in guter Stunde noch manches gelingen mag.« Dies der Schlußsatz einer Kritik aus einer längst vergilbten Wiener Zeitung über das erste Kompositionskonzert eines gewissen Karl Goldmark. Seither sind 53 Jahre verstrichen; und mit dem Meister, der am Vorabend seines achtzigsten Geburtstages wohl auch Rückschau hält über die guten und bösen Stunden seines Lebens, wollen auch wir heute ein wenig von den Früchten jener guten Stunden sprechen, die Karl Goldmark zu Nutz und Frommen der Musik seiner Kunst geweiht hat.
Die guten Stunden – prosaisch gesprochen – sind ihm ja nicht leicht geworden, dem kleinen Violinspieler aus dem Pusztadorf Keszthely, dem achtzehnten von einundzwanzig Geschwistern, der dann später als zweiter Geiger im Carltheater, die schönsten Gedanken im Kopfe, etwa die Musik zur »,Falschen Pepita« oder ähnlichen dramatischen Erzeugnissen herunterfiedeln mußte, oder der durch Stundengeben sein Leben fristete. Schumann spricht einmal ingrimmig über das traurige Los unterrichtender Komponisten: »Wie mancher schöne Gedanke mag uns schon geraubt worden sein durch das unzeitige Eintreten eines kleinen Skalenritters, wie manches schöne schaffende Talent ist durch das Unterrichtgeben zugrunde gegangen!« Bei Goldmark traf es sich besser; ja, der Zufall ließ die geistvolle Karoline Bettelheim seine Schülerin werden, die, ein seltener Fall in der modernen Musik, den Meister zur Komposition seiner ersten und herrlichsten Oper inspirierte. Und da trieb wieder der böse Zufall sein launiges Spiel: als nach langjähriger mühevoller Arbeit die Partitur vollendet dalag, die Oper zur Aufführung angenommen war, hatte Karoline Bettelheim schon die Schminktöpfe des Theaters beiseite gestellt und konnte mit vollem Recht singen: »Der Freund ist mein!«
Jener Märzabend des Jahres 1875, an dem die »Königin von Saba« zum ersten Male rauschenden Einzug hielt in die Wiener Hofoper, brachte Goldmark gute Stunden. Und gute Stunden waren es, die er der Arbeit an diesem seinen Lieblingskind geweiht hatte. Es hieße wirklich Eulen nach Athen tragen, wollte man die Vorzüge dieses Werkes analysieren, das, siegreich wie wenige andere, den Erdball umkreist hat, in Amerika und Australien den gleichen Beifall weckend wie in Deutschland und Italien. Bescheiden sprach der Meister in einem Brief an Hanslick, daß er »für sein Werk mit der Hälfte der Lebensdauer der ›Zauberflöte‹ recht sehr zufrieden wäre.« Wer sieht der verführerischen Araberin heute ihr stattliches Alter an? Von jener Beauté de quarante ans ist herzlich wenig zu verspüren. Im Gegenteil übt sie noch immer lebenskräftig ihren ganzen Zauber, strotzend von üppigstem musikalischen Reichtum, ein bedeutsames Dokument der gesamten Opernliteratur, ein Brevier Goldmarkscher Eigentümlichkeiten in Besonderem. Es ist die Oper von Goldmark: die glühende, orientalisch hinreißende, melodische Phrase, die reichste Chromatik, die aufrauschende Bekräftigungsgeste des Orchesters, der berückende Farbenglanz in Instrumentation und Stimmenführung. Man hat Wagnersche Bazillen in Goldmarks Blute nachzuweisen gesucht, eifrig nach dem gefährlichen Bayreuther Gift gefahndet, ihn auch bald als Wagner-Nachahmer verschrieen. Man denkt heute anders; wir für unseren Teil glauben, daß sich die Wagnerschen Einflüsse nur auf jene Punkte beziehen, denen sich kein denkender nachwagnerscher Musiker verschließen kann: die innige Verbindung von Wort und Ton, die erhöhte Bedeutung des Orchesters, die glanzvolle Instrumentation. Fehlt doch vor allem leitmotivische Arbeit; nicht zu übersehen auch die Unterschiede in der Behandlung des Gesanglichen. Bei Goldmark diese Vorliebe für das Arisso [!], diese breiten Gesangsphrasen. Und Goldmark scheut sich auch nicht vor dem Ensemblesatz, der – jetzt so streng perhorreszierten— ureigensten Ausdrucksweise der Musik …. Viel mehr als von Wagner möchten wir ihn von Schumann beeinflußt nennen, mit dem er manches gemein hat: gewisse rhythmische Züge, harmonische Eigentümlichkeiten, das Schwelgen im vollen Klang.
Nun halte man aber ja nicht Goldmark für den Komponisten der »Königin von Saba«, wie etwa Nicolai als Komponist der »Lustigen Weiber« gilt! Seine erste tragische Oper drückt nur auf die anderen ernsten, den »Merlin« und die »Kriegsgefangene«; der »Götz von Berlichingen« wartet schon des Wiener Urteils. Bleiben noch »Das Heimchen am Herd« und »Das Wintermärchen«, beide den zweiten hervorstechenden Zug in Goldmarks Art vertretend, das volkstümlich Heitere, Spielerische; eine merkwürdige Mischung dieses Lichtrosa und Lichtblau mit den glühenden Purpurtönen des Orients, ein Beweis für die Vielseitigkeit von Goldmarks Genius, die man ihm früher gern hat absprechen wollen. Besonders das »Wintermärchen« eint Scherz und Ernst, Pathetisches und Graziöses in köstlichster, echt shakespearischer Weise. Und wie herrlich spricht altklassische »Stille Einfalt und edle Größe« aus der Schlußszene der Oper, die vom tiefsten Gefühl förmlich überströmt wird, den durchaus musikalischen Vorwurf des Dichters kongenial mit Musik erfüllend. Das »Wintermärchen«, das Werk des 78 jährigen, ist vor zwei Jahren jubelnd begrüßt worden; um so unbegreiflicher die jetzige Vernachlässigung des Werkes. Man könnte sich fast darüber ärgern, wenn man nicht so fest überzeugt wäre, daß ihm die Kleinlichkeiten des Alltags nicht schaden können und seine volle Wertung der Zukunft vorbehalten bleibt.
Ob der alte Kritikus aus dem Jahre 1857 wohl zufrieden diesem Früchten von Goldmarks »guten Stunden?« Oder besser gesagt, ob er diese bedeutende selbständige Entwicklung wohl geahnt hat? Und Goldmark rastet und feiert nicht; der Achtundsiebzigjährige hat uns mit gehobener mit Gebärde das »Wintermärchen« erzählt und mit tiefer Rührung hat man auf den Meister gehorcht. Und die Gerüchte wollen nicht verstummen, daß in Gmunden am schönen Traunsee neue Überraschungen vorbereitet werden, daß Goldmark sich zu seinem »Fallstaff« [!] rüstet. Seltsam genug wird ja am Abende seines achtzigsten Geburtstages eine neue Oper zum ersten Male von der Bühne des Hofoperntheaters herab erklingen; vielleicht fördern »gute Stunden« bald ein neues Werk …. Die unendliche Milde und Güte der letzten Szene des »Götz von Berlichingen« liegt über Goldmarks Alter gebreitet; verehrt und geliebt tritt er in sein achtzigstes Jahr. Und so nahen wir dem Meister mit dem innigsten Wunsche für noch viele, viele »gute Stunden«.
Fritz Petschau.
(Sport & Salon vom 7. Mai 1910)