Pastorale voll Anmut und gesunder Heiterkeit

Die Hofoper hat nun einmal eine Novität gebracht, die als vollwichtiges Kunstwerk zu betrachten ist und, wenn sie auch vielleicht nicht in die Reihe der bleibenden musikalischen Schöpfungen eintreten wird, doch wenigstens die Opernliteratur der Gegenwart beträchtlich überragt. Und der Mann, von dem dieses Werk stammt, ist keiner von den Übermusikern, die heute den Ton an angeben; aber dafür ein Vollblutmusiker, der als Greis mit 78 Jahren noch über alle Mittel der Tonsprache mit Sicherheit verfügt. Ja, Goldmark hat in dem »Wintermärchen« die schwierige Aufgabe gelöst, eine Dichtung zu komponieren, die ihrem Stimmungsgehalt nach schon selber Musik ist. Der Librettist A. M. Willner geht ihm geschickt an die Hand, Shakespeare musikalisch beizukommen.

Das Hauptgewicht ist auf den zweiten Akt gelegt, der in den strotzenden böhmischen Feldern spielt, und da ward die Oper zu einem Pastorale voll Anmut und gesunder Heiterkeit, zu einem überzeugenden Loblied des Landlebens. Hier überwiegt die geschlossene Melodie den Deklamationsstil, den Goldmark sonst wohl anwendet; das Volkslied, die Tanzmelodie, sogar die Koloratur herrscht, und gerade dieser Akt, der so entschieden auf die Formen der alten, angeblich überwundenen Oper zurückgreift, ja manchmal fast an die Operette anklingt, wirkt am frischesten, jugendlichsten, und entschied den Erfolg. Der gute Prinz Florizel und die niedliche Perdita sind die eigentlichen Helden des vertonten »Wintermärchens«. Doch hat Goldmark noch genug dramatische Kraft, um auch den Leidenschaften und der Tragik in der Shakespeareschen Dichtung gerecht zu werden, der Hermione, dem Leontes und dem Polyxenes die rechten Töne in den Mund zu legen. – Die von Herrn Walter geleitete Aufführung ist vorzüglich; Herr Demuth als Polyxenes und Fräulein Kurz als Perdita, Herr Szlezak [!] (Leontes), Fräulein von Mildenburg (Hermione) und Herr Schrödter (Florizel) haben die Hauptpartien inne, die Herren Mayr, Felix, Haydter und Stehmann, Fräulein Kiurina und Fräulein Kittel die übrigen.
(Allgemeine Sport-Zeitung vom 5. Jänner 1908)