Alles klingt ausgezeichnet

Götz von Berlichingen in Frankfurt. Ueber die am 1. Feber stattgehabte Aufführung von Goldmark’s »Götz von Berlichingen« im Frankfurter Opernhause lesen wir in der heute hier eingetroffenen Nummer der »Frankf. Ztg.«:

Im Opernhause gab es gestern einen denkwürdigen Abend. Karl Goldmark’s funkelnagelneue Oper, die etwa vor Monatsfrist in Budapest in ungarischer Sprache zum ersten Male gegeben wurde und sich dort mit andauerndem Erfolge auf dem Repertoire behauptet, erlebte in ihrer deutschen Originalfassung bei uns ihre erste Aufführung. Lebhafter, stürmischer kann der hochverehrte Komponist in Budapest nicht gefeiert worden sein, als es gestern hier geschah. Nach dem dritten und fünften Akt war der greise Tondichter wiederholt Gegenstand spontaner und lang andauernder Huldigungen; auch bei jeder sonst sich darbietenden Gelegenheit gab das Auditorium durch rauschenden Applaus seine Zufriedenheit mit dem Gebotenen zu erkennen. Ein schöner Erfolg, den wir um so freudiger konstatiren, als er diesmal einem der würdigsten und verdientesten Tondichter der Gegenwart zutheil wurde. In Anbetracht des hohen Alters ist es wahrhaft erstaunlich was Goldmark noch zu leisten vermag. An der Musik ist vor Allem die meisterhafte Faktur des Ganzen zu loben: nur ein so vorzüglicher Techniker und feinsinniger Künstler konnte diese mit raffinirter Kenntniß des Wirkungsvollen ausgeklügelte Partitur schreiben. Alles klingt ausgezeichnet; eine so geistreiche, entzückende Instrumentalbegleitung, welche die Gesangsstimmen niemals deckt, wird man nicht so leicht zum zweiten Male in der neuesten Literatur antreffen. Durchwegs waltet, ähnlich wie in Verdis »Otello«, ein rezitativartiger Deklamationsstyl vor, der an geeigneten Momenten durch kleine Ariosos, Lieder und geschlossenere Ensemble=Sätzchen wirksam unterbrochen wird. Da, wo die Adelheid-Tragödie stärker einsetzt, gibt Goldmark sein Bestes. Bei der großen Liebesszene zwischen Adelheid und Franz weiß er Töne von Gluth und Leidenschaft anzuschlagen, um die ihn manch Jüngerer beneiden könnte. Mit allen Mitteln moderner realistischer Tonmalerei versteht er die Folterqualen Adelheid’s und ihren grausigen Untergang zu schildern. Auch in den übrigen Abschnitten vernehmen wir die individuelle Note der Goldmark’schen Muse, die in den Götz-Szenen des ersten und dritten Aktes mehr einen weichen lyrischen Zug als durchgreifende Kraft aufweist. Mit Glück schlägt Goldmark mit unter einen volksthümlichen schlichten Ton an, so bei dem in breiten Akkorden einherschreitenden Leitmotiv von Götz, so ferner bei den einfachen Terzengängen mit denen der Freundschaftsbund zwischen Götz und Weislingen illustrirt wird. Reizvoller ist ohne Frage die Triolenfigur ausgefallen, die stets das Auftreten von Franz begleitet, sowie das Verführungsmotiv Adelheid’s, dessen hohle Quinten- und Oktavenfolgen einen ganz eigenartigen gleißnerischen Klang hervorzaubern. Auffallend ist die Vorliebe des Komponisten für polyphon gehaltene orchestrale Zwischenspiele und Chorsätze, von denen besonders der Bauernchor im vierten Akt durch wohlthuende Frische sich auszeichnet. Recht ansprechend sind die Lieder von Georg im ersten Akt und von Franz im zweiten Akt vertont, und einen wirkungsvollen schön klingenden Abschluß hat der erste Akt mit dem Oktett erhalten, das ebenso wie der Kirchgang im zweiten Akt für die hiesige Aufführung vom Komponisten beträchtlich erweitert worden ist. Im großen Liebesduett kommt ein leidenschaftlicherer fortreißender Zug in das Ganze hinein. Sicher würde die Oper gewinnen, wenn der eine oder andere herzhafte Strich angebracht würde, wie er beispielsweise gestern schon im vierten Alte entschieden zum Vortheile der Wirkung vorgenommen wurde.
(Pester Lloyd vom 5. Februar 1903)