… durchwegs vornehm und edel …

Carl Goldmark’s Oper »Die Kriegsgefangene« ist vorgestern an der Wiener Hofoper zum ersten Male mit großem Erfolge aufgeführt worden. Die Musik des Meisters zeigte sich durchwegs vornehm und edel, der Dichtung Ernst Schlicht’s (Pseudonym für den Wiener evangelischen Pfarrer Alfred Formey) angepaßt. Das Sujet ist bekanntlich der Iliade entnommen. »Die Kriegsgefangene«, Briseïs, steht im Mittelpunkte der Handlung. Sie, das »schöngegürtete, rosige Mädchen, Göttinnen vergleichbar« hüllt die Leiche des von Achilles geschleiften Hector in Linnen und legt, gleich der Antigone von Sophokles, Erde auf seine Brust, sie ehrt trotz des strengen Verbotes den entseelten Körper. Briseïs wird deshalb vor den Helden Achilles gebracht, dessen aufflammenden Zorn sie mit der Angabe besänftigt, seines todten Freundes Patroklus’ Geist habe ihr die Liebesthat befohlen, und noch eine, die sie aber nicht verrathen will. Eh’ auch die andere gethan, dürft Patroklus nicht vom Lethe trinken. Mit dem Gebet an Aphrodite, die Göttin möge ihr das Herz Achills schenken, geht sie in ihr noch von früher bereitetes Gemach. Von unruhigen Träumen gefoltert, stöhnt Achilles in seinem Zelte, Briseïs bereitet ihm einen Heiltrank, singt ihm ein Lied von Gluth und Glück, Sonne und Wonne, der Held erglüht in Liebe, da, von einem Göttlichen herbeigeführt, erscheint Priamus, sich die Leiche seines Sohnes zu erbitten. Achilles läßt sich nicht erweichen, da schreitet feierlich Briseïs heran: Die Auslieferung von Hektor’s Leiche ist Patroklus’ zweiter Wunsch und Auftrag. Achill ist überwunden; er läßt die Leiche fahren und sinkt Briseïs liebend in die Arme … die ewige Liebe, die Sonne … Die Darstellung des Werkes war eine durchaus glänzende: Fräul. Renard als Briseïs und Herr Reichmann als Achilles enthusiasmirten das Publikum. Eine treffliche Leistung als Priamos bot Herr Hesch. Der Componist, Dirigent Gustav Mahler und die Darsteller wurden wohl ein dutzendmal vor die Rampe gerufen.

(Prager Tagblatt vom 19. Januar 1899)