… nichts Frivoles, kein Schwindel …

Hofoperntheater

»Die Kriegsgefangene«. Oper in zwei Acten von Carl
Goldmark, nach einem Texte von Ernst Schlicht.

Es gehört zu den guten Anzeichen der allerneuesten Kunstbestrebungen, daß man sich wieder den Idealen der antiken Kunst zuwendet. Die ganze europäische Culturentwicklung ist ja eine Reihe von Wiedergeburten antiker Kunst, antiker Aesthetik, antiker Philosophie. Und wie es eine Karolingische, Ottonische u. s. w. Renaissance gibt, so bereitet sich auch jetzt ein Neohellenismus vor. Besonders bei der dramatischen Kunst liegt das sehr nahe. Die Rückkehr zum antiken Musikdrama hat ja die Oper im Jahre 1600 gezeitigt, und zweimal, durch Gluck und durch Wagner eine gründliche Reform inaugurirt. Es liegt scheinbar in der geraden Linie dieser Entwicklung, daß nun Goldmark geradezu die Ilias auf die Opernbühne bringt. Aber nur scheinbar. Ich glaube allerdings, daß die reinen hellenischen Kunstgesetze binnen Kurzem unsere chaotische Kunst werden klären müssen, aber es wird dabei weniger nothwendig sein, auf die Stoffe, als vielmehr auf den Geist der griechischen Kunstformen zurückzugehen. Aber gut, das wollte Goldmark eben nicht leisten, er wollte nur eine Oper mit Benützung der Ilias geben und so wenigstens die ganze Fülle der Ideenassociationen, die mit diesem Grundbuche der Antike zusammenhängen, an sein Werk ketten. Ist ihm wenigstens dies gelungen?

Theodor Reichmann (»Achilles«)

Leider hat ihn schon der Librettist im Stiche gelassen. Zwar die Wahl des Ausschnittes aus dem Epos ist sehr glücklich. Das Stück entspricht den beiden letzten Gesängen der Ilias. Patroklos wird bestattet, Hektars Leichnam dem Priamos zurückgegeben. Dahinein spielen noch Scenen aus früheren Gesängen. Briseis, »die Kriegsgefangene«, nach der das Stück heißt, wird von Agamemnon dem Achilles zurückgegeben. Daß er sie dem Achilles ungerechterweise entzogen hat, bildete ja die Veranlassung des »Zornes des Achilles«, das Hauptmotiv der Ilias. Es ist eine gute Idee, den Wandel im Herzen des Achilles von wilder Rachsucht zu milder Selbstbezwingung dramatisch zu verwerthen. Sie wäre eines Aeschylus würdig. Sie ist aber im Libretto ganz ungenügend herausgearbeitet. Wenn Briseis die Vertreterin der einen Seite ist, so fehlt ihr dramatisches Gegenspiel. Mit unglaublicher Blindheit hat sich dies der Dichter entgehen lassen, obwohl es von Homer wirkungsvoll angelegt ist. Ich meine die Erscheinung des todten, zur Rache mahnenden Patroklos. Daß der Dichter das übersehen hat, ist nicht nur ein unverzeihlicher technischer Fehler, sondern er hat damit den Componisten auch um das scenisch wirksamste Motiv geschädigt. Es ist geradeso, wie wenn Einer einen Saul ohne Hexe von Endor schreiben wollte. Die Erscheinungen des Hermes, der Thetis und der Nereiden, die der Dichter nicht verschmäht, sind daneben sehr unwichtig. Es fehlt dem Buche also das feste dramatische Gerüst, es fehlt ihm aber auch mit Ausnahme des Costums und der Namen eine charakteristische Fassung des Problems. Ich verlange nicht, daß griechischer, homerischer Geist darin sei, es würde genügen, wenn künstlerische Einheit und Spannung in anderer Weise vertreten wäre, als daß nach einigen Seufzern die Grete den Hans bekommt. Das ist kein Achill und keine Briseis; gut. Aber das sind auch keine Träger einer dramatischen Handlung.

Gehen wir zur Musik über. Goldmark macht, wie gesagt, keinen Versuch, das Griechenthum musikalisch zu charakterisiren. Seine Musik erweist sich gleich mit dem ersten Takt als goldmarkisch, später als ein Compromiß zwischen Wagner und den neuitalienischen Barbarismen. Verbotene Quinten- und Octavengänge werden geradezu aufgesucht. Jeder Purismus wäre heutzutage pedantisch. Aber eine so gesuchte Absichtlichkeit rächt sich durch üblen Klang. Es hat in Höritz ganz gut geklungen, wenn die drei Posaunisten ganz naiv ihre Fanfare in parallelen Quinten ghd-eeg geblasen haben. Wenn aber Goldmark denselben Effect seinen Nereidenchor fünfmal wiederholen läßt, so merkt man erst an seinen Ohren, daß das alte Quintenverbot doch einen guten Grund hat. Aber seien wir gerecht; die ganze Komposition weist das ernste Bestreben auf, Wahres und Triftiges zu sagen. Es kommen manche neue Harmonien vor, die uns noch lange im Kopfe nachsummen. Es kommt nichts Schleuderhaftes, nichts Frivoles, kein Schwindel, keine beleidigende Rohheit vor. Es ist das Werk eines Künstlers, der sein ihm anvertrautes Talent bis zum letzten Obolus ausnützt und nicht vergeudet. Es kommt nichts Langweiliges vor, wenn auch die positiven Vorzüge nur sparsam vertreten sind.

Aber das mag hier zum großen Theile Schuld des Textes sein, der mit hinreißenden Stellen kargt. Und doch ist das Vorspiel zum zweiten Act, wo der Componist allein auf sich angewiesen ist, das Schwächste am ganzen Werk.

Die Inscenirung ist sorgfältig und geschmackvoll bis auf die hölzerne Erscheinung des Nereidenchores. Die Costume sind sehr correct, weniger das Zelt des Achilles, wo mindestens die canellirte Säule hätte wegbleiben müssen. Das ganze spielt zu sehr bei nächtlicher Lampenbeleuchtung. Ein früheres Erwachen der Dämmerung, der Morgenröthe und des Tages wäre wirkungsvoller. Director Mahler dirigirte selber mit ganzer Hingebung. Herr Reichmann – Achilles und Fräulein Renard – Briseis beherrschen und tragen fast allein die ganze Oper in vollendeter Weise. Herr Hesch kann als Priamus nur gut sein. Fräulein Walker als Thetis, Herr Neidl als Agamemnon sind vom Komponisten nicht reichlich bedacht. Die Aufnahme vonseiten des Publicums war, wie sich das bei einem Werk des heimischen, so vielseitig beliebten Komponisten versteht, eine sehr warme. Herr Reichmann wurde bei offener Scene, die übrigen Darsteller und der Componist nach den Actschlüssen wiederholt und lebhaft applaudirt. Die gleiche Anerkennung wurde dem Dirigenten nach Schluß des Intermezzos zutheil. Dennoch glauben wir nicht, daß sich diese antike Götter- und Heldenwelt länger halten wird, als bis Goldmark seine nächste Oper fertig gestellt hat. – Als Zugabe wurde das Doppler’sche Ballet »Melusine« gegeben. K.
Das Vaterland vom 18. Januar 1899