Endlich was Neues: die Violinsonate (1874)

… angekündigte Königin von Saba angenommen und für 1875 zur Premiere angesetzt hat, kann Carl Goldmark im November 1874 das erwartungsvolle Publikum endlich mit einer neuen Kreation bekannt machen – seiner Violinsonate D-dur op. 25. In der Wiener Zeitung vom 24. November 1874 widmet August Wilhelm Ambros dem Werk eine ausführliche Besprechung, die keines weiteren Kommentars bedarf:

• Der erste Quartettabend Hellmesbergers zeigte einen wohlbesuchten Saal. Er brachte als Novität eine Sonate für Pianoforte und Violine von Goldmark. Sein Opus saß im Programm zwischen zwei etwas gefährlichen Nachbarn, zwischen Mozart und Beethoven, aber es zündete und feierte den glänzendsten Erfolg. Der Komponist wurde nicht allein zum Schlusse gerufen, sondern gleich nach dem ersten Satze. Wir gönnen diese Auszeichnung dem trefflichen Goldmark, der sich in seinem Kunststreben einfach und ehrlich auf sein Verdienst verläßt. Möge der Erfolg der Sonate ein günstiges Präsagium für Goldmarks »Königin von Saba« sein, die wir ja im Hofoperntheater hören werden.

Die Sonate selbst ist das Werk eines echten, nach dem Höchsten mit allen Seelenkräften strebenden Künstlers und eines Talentes jener höheren Ordnung, welches dem Niederen und Geringen nicht erst auszuweichen braucht, weil es das Niedere und Geringe gar nicht kennt. Wir hören drei Sätze von meisterhafter Factur, durchaus hochbedeutenden Inhalts. Kräftig und wohltönig ist Alles, Einzelnes aber von überraschender Klangschönheit – wie z. B. die Combination der Pizzicato-Stelle im Finale. Dieses Finale ist ein höchst interessanter und sehr glücklicher Versuch, den Inhalt eines Scherzo und eines Schlußsatzes gleichsam zu amalgamiren. Eine Andeutung für diesen Einfall hat vielleicht schon Beethoven gegeben, – welche seitdem entwickelte Keime lägen nicht in diesem Meister der neueren Meister? Ich meine das Finale der Pianoforte-Sonate, Op. 14, Nr. 2. Wenn Beethoven diesen köstlichen Satz leicht zusammenscherzt, so bringt uns Goldmarks Quasi-Scherzo tragischen Humor. Die Stellen, aus denen sich ein Scherzo und dessen Trio, in herkömmlicher Form, schnitzen ließe, wird Jeder der »vom Handwerk« ist, leicht bemerken. Ein Geschrei darüber zu erheben, daß der Satz in D anfängt und in H endet, wollen wir den Pedanten überlassen – der modulatorische Zusammenhang bedarf keiner Nachweisung. Dennoch wünschen wir, daß die Componisten dergleichen als ganz seltene Ausnahmen tractiren und hübsch »im Ton« bleiben. Einzelne Bedenken drängten sich mir indessen beim Hören des schönen Werkes auf.

Vor Allem fällt mir im ersten Satze auf, daß der Klavierpart stellenweise mit einer Brillanz behandelt ist, welcher die im schlicht-edlen Sonatenton verharrende Geige vollständig überglänzt und aus der Sonate unvermerkt ins Concertstück, in die Bravourpièce übergeht. Diese heterogenen Stylelemente wollen sich aber zu keinem Ganzen verschmelzen. Ferner spielt und tändelt der Componist an wiederholten Stellen (zum Schlusse beider Theile) sehr lange mit einem Themafragment – es mag ihm eine Stelle des Menuet-Alternativs aus Beethovens Trio, Op. 70, Nr. 2, unbewußt wie von ferne im Ohr geklungen haben – andere Stellen aber, wie der sogenannte »Durchführungstheil«, zeigen schwergediegene Arbeit, polyphon, festgefügt, und diese contrastirenden Partien wollen sich abermals nicht recht mit einander vertragen. Das Adagio, ein Satz voll edler Trauer, voll tief empfundener Melancholie, hält nach meiner Empfindung, die ich niemandem aufdringen will, diesen Ton zu lange fest. Mir fiel dabei Jean Pauls Schoppe ein, der einmal ungeduldig ausruft: »Verfl –, warum lasse ich mich denn in diesen Thränentöpfen sieden?« Goldmark siedet uns, scheint mir, etwas zu lange, schon nach dem ersten Drittel des Satzes sind wir gar. Aber alles Einzelne darin ist von hoher Schönheit und überhaupt ist dieses Adagio gar kein »Thränentopf« und seine Trauer kein weichliches Lamento, sondern edel und männlich – wie bei Beethoven. Wenn uns dieser aber auch das Schmerzlichste zu erzählen hat, sehe man zu, wie kurz er sich entweder faßt oder wie er in seine Trauer Phasen, Lichtpartien bringt, z. B. in dem Adagio des Quartettes [NB: op. 18. Nr. 1], das wir an eben diesem Abend hörten, oder in dem noch höheren des Quartettes Op. 59, Nr. 1.

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☞ Um eine ähnliche Balance zwischen Einwand und Anerkennung bemüht sich der Mitarbeiter des Musikalischen Wochenblattes, dessen Rezension am 31. Oktober 1879 erscheint. Auch er findet eine Fülle schöner Details im formal problematischen Gefüge und versucht sich in einem Einklang, der nicht völlig gelingen will:

• Wir begegnen dem Autor der »Königin von Saba«, der Ouvertüre »Sakuntala«, der »Ländlichen Hochzeit« und vieler anderen verdienstlichen Werke hier auf dem Gebiete der Kammermusik. Es könnte – im Allgemeinen gesprochen – die Composition von Kammermusik als der eigentliche Prüfstein für die Schaffensgabe, für die erfinderische Kraft eines Componisten angesehen werden, denn hier ist der Autor durch die Beschränkung der ausführenden Mittel sozusagen mehr auf die Zeichnung allein angewiesen und muss auf das glänzende Colorit, welches durch den Orchesterapparat gegeben werden kann, Verzicht leisten. Auch in der vorliegenden Sonate zeigt sich Goldmark als ein feiner und erfindungsreicher Kopf. Allein er zeigt dies mehr in interessanten, geistvollen Details, als in dem Wesentlichen der Composition, welche sogar beziehentlich der Architektonik hie und da Längen und Unebenheiten aufweist. Dabei fehlt den Hauptgedanken der einzelnen Sätze doch auch die eigentliche Prägnanz. Von den drei Sätzen der Sonate ist der mittlere, Adagio, 3/4, Fismoll, in Betreff der Erfindung der werthvollste zu nennen. Aber dieser Satz ist bei seiner grossen Ausdehnung von einer gewissen Monotonie nicht freizusprechen. Es fehlt diesem Adagio offenbar an Abwechselung im Rhythmus. Die mit geringer Unterbrechung in fast gleichmässiger Bewegung dahinschreitende Melodik des Satzes wird trotz der sehr gewählten Harmonisirung, trotz schöner Stimmführung ermüdend. Nächst diesem Satze ist der erste Satz, Allegro moderato, 6/8, D dur, zu nennen, der, einige Längen im Durchführungstheile abgerechnet, einen freundlich frischen Eindruck hinterlässt. Am wenigsten können wir uns mit dem Finale, Allegro molto vivace, 3/4 , in Hmoll beginnend und in Hmoll schliessend, befreunden. Hier bietet der Autor vielerlei Gesuchtes und kann doch weder die Schwäche der Structur, noch den Mangel an natürlich Erfundenem damit verdecken. Uns stört die Absichtlichkeit, mit der Goldmark hier auf Schritt und Tritt Neues, Absonderliches, Originales geben will. Es kommen dabei in der That eine Menge interessanter Einzelheiten zu Tage; allein dieselben sind nicht immer schön zu nennen, und macht das Finale den Eindruck, als fehle ihm die rechte innere Einheit. Im Ganzen müssen wir die Sonate zu den schwächeren Erzeugnissen des hochbegabten Componisten zählen, und können nicht verhehlen, dass uns Goldmark in seiner Oper, wie in seinen Orchesterwerken weit mehr an seinem Platze erscheint. Hier fesselt er jeden Augenblick durch die meist wunderschöne Behandlung des Orchesters; er versteht es meisterlich, durch den Klang zu wirken und Stimmung hervorzubringen. Auch die Erfindung in seinen Orchestercompositionen, der gedankliche Inhalt derselben steht uns viel höher, als Das, was er in seiner Violinsonate gibt. Indess werden zwei sehr tüchtige Spieler immerhin für die Mühe des Studiums reichlich belohnt werden, einestheils durch die noble Haltung des ganzen Werkes, anderentheils aber auch durch mancherlei glücklich Erfundenes, und endlich hat die Sonate den Vorzug, nicht langweilig zu sein. Selbst da, wo sie uns nicht sympathisch berührt, hat sie doch etwas Spannendes und Fesselndes an sich. (F.O.)