Unter Laurencins Lupe: Das Streichquartett op. 8

… hat sich Graf Ferdinand Peter Laurencin d’Armond auch bei seiner Analyse des Streichquartetts B-dur op 8 von Carl Goldmark viel Raum gelassen. Sein ausführlicher, weitgehend vorteilhafter Text erschien in der Neuen Zeitschrift für Musik vom 26. Juli 1867 und vom 2. August 1867.

Carl Goldmark, Op. 8. Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncell. Hrn. Concertmeister J. Hellmesberger gewidmet. Wien, C. A. Spina. Partitur. 2 Thlr. 20 Ngr.

Dieses Streichquartett ist schon vor etlichen Jahren componirt und durch Hellmesberger’s Quartettverein in das Leben eingeführt worden. Der Componist verdankt diesem Werke seine ersten, eigentlich bedeutenden Erfolge auf heimathlichem Boden. – Nunmehr liegt dasselbe als jüngster Verlagsartikel der Firma C. A. Spina vor. – Durch das Ganze geht ein Zug urwüchsiger Kraft, Tiefe, Feinheit und Frische. Dies gilt vom Gedankenhaften, wie vom Gestaltlichen. Man trifft hier keine Spur ängstlicher Epigonenhaftigkeit. Allerdings hat dieses Opus 8 Goldmark’s seine gleich unleugbaren, wie unumgänglichen Prämissen. Sie heißen: Bach, Beethoven, Schumann und neudeutsche Schule. Allein Goldmark’s Schöpfernatur tritt schon hier selbstvoll, ausgeprägt, äußerlich und innerlich fertig auf. Man hat es hier bereits mit einem Meister höherer Rangstufe zu thun. –

Ein 19 Tacte hindurch gesponnener, Andante (B moll) 3/4 Tact. verzeichneter Einleitungssatz weiß den Hörer schon vor Allem zu fesseln durch eine ungewöhnliche Eigenart melodisch-harmonischen Tiefsinnes. Sequenzenartig, im Sinne einer freien, wesentlich elegisch gefärbten Phantasie geführt, durchstreift dieser Satz ruhelos allerlei der eben genannten Tonica bald näher, bald entfernter verwandte Tonartgebiete, um endlich in einem leidenschaftlich erregten Allegrothema (B dur 3/4) zu münden. –

Der Componist überschreibt zwar diesen Satz: »Allegro moderato«. Ich glaube aber, er hat sich in diesem Zeitmaß wol getäuscht. Ein Thema, wie folgendes:

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bedingt, schon seinem aufgeregten, fast dithyrambischen Melodiengepräge zufolge, eine ungleich freiere, ungebundenere Zeitmaßbewegung. Faßt man vollends das diesem Grundgedanken hier gegebene, fast von Note zu Note wechselnde accordliche Farbenspiel in das Auge, dann vermag man noch weniger eins zu werden mit der Wahl und mit dem treuen Einhalten eines so festbegrenzten Tempo. Der in den ersten zwei Tacten des hier mitgetheilten Themas niedergelegte Gedankenstoff wird nun (Seite 2, letztes System, bis Seite 3, System 3) zu einer ungemein gestaltenreichen, frischen thematischen Knotenschürzung voll prägnanter Stimmeneintritte, modulatorischer Durchgänge und echt dramatisch wirksamer Pointen ausgebeutet. Der Uebergang vom ersten zum zweiten Thema (Seite 3, zweites System vorletzter Tact anhebend und bis zum vorletzten Tacte des unmittelbar daraus folgenden Systems sich fortziehend) ist kein gewöhnliches Motiviren, kein leeres Weiterschieben des Längstbekannten, kein blindes Hineinstürzen in eine neue Gedankenströmung. Er ist vielmehr selbst ein Strom von wirklichen Gipfelungen der bis jetzt entrollten Ideen. Dabei wohnt diesem ganzen Ueberleitungssatze eine bei süddeutschen Componisten nur höchst selten anzutreffende logische Strenge und Schärfe der Führung und Vermittelung alles Einzelnen zum Ganzen und für das Ganze: kurz ein mit Feuereifer eng gepaarter Ernst des Gestaltens inne, der gleich achtunggebietend wie zündend wirkt. Hat man es ja hier, wenigstens der niederen Opuszahl zufolge, noch mit einem sogenannten Jünger zu thun, der eine der ersten Früchte seines Könnens und Strebens uns hinstellt! Schon in diesem frühen Werke ist in engem Rahmen treu erfüllt, was ein um Vieles späteres Opus desselben Autors, die seinerzeit in d. Bl. eingehend besprochene Ouvertüre zu Kalidasa’s »Sakuntala«, im Großen und Ganzen so beredt herausgestellt hat. Ich meine hiermit die vielseitigste Naturbegabung im Bunde mit durchgreifendster Meisterschaft. –

Der zweite Hauptgedanke dieses ersten Satzes athmet, im Gegensatze zum ursprünglichen, tieferregten Thema, eine – man möchte beinahe sagen – ewig weibliche Innigkeit. Man urtheile selbst:

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Auch hier ist – trotz aller spannenden Kraft der einzelnen accordlich-modularorischen Eintritte – die einer so wohligbreiten Melodie untergestellte Harmonik so innerlichst mit dem Gedanken selbst verwachsen, daß es wol unnöthig wäre, dieser Oberstimme ihr weiteres Zugehör, sei es in Noten oder Generalbaßziffern, ausdrücklich beizugesellen. Nur sei hier auf den während dieser ganzen Themendarlegung ganz ruhigen Bewegungszug der zweiten Geigen- und Violoncellstimmen und auf deren prägnanten Gegensatz, auf die in ruhelosem Pathos fast als selbständiges Gedankenführerwesen auftretende Bratsche, verwiesen. Diese Letztere bringt in den ruhig dahinsinnenden, schwärmerhaft dahinträumenden Charakter des eben mitgetheilten zweiten gedanklichen Hauptmomentes eine Art aufgeregten, also mit dem ersten Thema engverwandten Seins. Die Bratsche vertritt hier sonach eine ganz bedeutsame Vermittlerrolle zwischen beiden, zu einander scharf abgemarkten Grundideen. Ein so gearteter Contrapunct verdient fürwahr nach allem Urrechte des Geistes, also nicht blos in jenem äußerlichen, starr-formellen, ja eigentlich ganz materialistischen Verstande der altehrwürdigen Musikgeschichtskundigen, den Rang und Namen eines »Contrapunto al mente«.

Noch einer als accordliche Einzelstelle merkwürdigen und den erregten Charakter des bis jetzt Dargelegten auf das Schärfste bezeichnenden Specialität sei vor dem Scheiden von diesem gehaltvollen ersten Satztheile erwähnt. Es ist dies der die Reprise des zweiten mit jener des ersten vermählende mehrdeutige Accord:
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der unmittelbar darauf enharmonisch wieder in das ursprünglich gewählte B-Tonartengeschlecht durch den Sextaccord d/d/f zurückgeführt wird, um sodann bis zum gänzlichen Theilabschlusse vornehmlich mit dem ersten Thema und seinen vielgestaltigen Theilmomenten fortzuarbeiten. –

Den sogenannten Durchführungstheil eröffnet eine Zusammenfassung beider Hauptgedanken. Die beiden Außenstimmen, erste Geige und Violoncell, bringen das erste Thema, oder vielmehr dessen zwei Anfangsstacte. Ihr Auftreten vollbringt sich in der Gestalt einer zwar völlig freien, aber immerhin durchsichtigen und geistvoll combinirten Engführung. Die zweite Geige zerlegt hinwieder den zweiten Hauptgedanken. Und zwar beschäftigt sie sich ausschließlich wieder mit den zwei ersten Tacten dieses Letzteren. So gestaltet, rückt das Tonbild, sequenzenartig emporgegipfelt, von Des dur nach Es und F moll. Auf diesem Höhepuncte angelangt, tritt wieder das erste Thema selbstherrschend auf und liefert dem Entfalten einer reichverzweigten Kunst thematischer Arbeit breiten Boden. Auch die Enharmonik kommt hier zu gewichtvoller Geltung. Denn ebenso unvermerkt wie gründlich motivirt steht binnen Kurzem das Tonbild in A moll, um – nach einem knapp gehaltenen Orgelpuncte aus C – auf der Fährte eines vorwiegend chromatisch geführten Basses, nach der G moll-Dominante weiterzugelangen und in das B-Tonartengebiet wieder dauernd einzulenken. Fürwahr! Eine reizende Irrfahrt, zu der uns der Componist hier verlockt! Wenn ich hier von Irrfahrten spreche, so meine ich dies nur bildlich, uneigentlich. Kein leeres Suchen und Nichtfindenkönnen tritt Einem hier entgegen. Was man bemerkt, ist vielrnehr ein rastloses Fortströmen und aus sich selbst Herausbewegen des allüberall hindurchleuchtenden ersten Grundgedankens und seiner Einzelglieder. Es thut sich hier ein Leben, Drängen und Treiben aller vier Stimmen kund, dem man auf Grund innerlichster Nothwendigkeit gespannten Sinnes folgen muß. Dieses hier scharfbetonte Nöthigende beruht auf zwei wesentlich künstlerischen Grundlagen. Einmal drängt es wol Jeden, der die eben näher wörtlich um umschriebene Stelle hört oder liest, sich des durch sie hindurchgeschlungenen breiten Fadens zu vergewissern. Zudem tritt aber auch wirklich alles hier entfaltetete [sic!] Einzelne sowol als solches, wie als unumgängliches Glied eines organisch geformten Ganzen beredt genug hervor. Momente z.B., wie das aus Seite 6, System 2, Tact 6 anhebende und bis zu Tact 6 des folgenden Systems gesponnene kanonische Zwiegespräch der zweiten Geige und des Violoncells, zu welchem die zweite Violine in scharf markirten Doppelgriffen begleitet, die Bratsche aber Anfangs schweigt, dann indeß sechs Tacte darauf mit aller Vollkraft ihres Ausdruckes den Anfang des ersten Themas hervorhebt, fallen gleich schwer in das Gewicht, wie das keineswegs als leere Effectstelle, sondern als drastisch hingestellter Höhepunct aufzufassende all’ ottava und unisono (Seite 6, Systern 3, Tact 6 u. s. f.) und die in dem Wiederholungssatz anfangs sinnend, dann aber entschieden drangvoll einleitende Fermate (Seite 6, System 3 und 4). Wenn ich gestehe, daß mich persönlich jene zuerst erwähnte Stelle in Goldmark’s Quartett lebhaft an den Rückleitungssatz zur Reprise des ersten Satztheiles der »Eroica« gemahnt hat, so möchte ich mit dieser Bemerkung keinen Tadel wider den Componisten aussprechen. Ich möchte damit vielmehr zu Goldmark’s Lobe eine der reinsten Quellen der ihm gewordenen, aber mit durchweg selbständigem Geiste benutzten Anregungen bezeichnet wissen. –

Der Wiederholungssatz selbst bietet auch manchen bedeutsamen Zug. So z.B. gleich den kernigen, ganz anders denn zu Anfange des ersten Theiles geführten Baß, der als harmonisch-contrapunctische Unterlage des unverändert wiederkehrenden Hauptthemas in Betracht zu ziehen kommt. Eben hierher zählt auch die von jener im ersten Theile ganz verschiedene, weil ungleich breiter und mannichfacher ausgeführte Gestaltung des beide Themen verbindenden Seitensatzes (Seite 7, System 2, Tact 8) bis zum Wiedereintritte des zweiten Hauptgedankens auf Seite 7, System 5, Tact 1 u. s. f. Nicht minder eigenthümlich wirkt das gangartige und nach rhythmischer Seite hin erweiterte Fortführen der zweiten Grundidee. Wie im ersten Theile, erreicht diese Letztere auch im Wiederholungssatze ihren Gipfelpunct auf dem damals angeführten mehrdeutigen Accorde, der nun als entschiedener Terzquartsext-Accord: fis/dis/a/h auftritt, um aber dann allsogleich nach dem Accord: g/es/b/b enharmonisch umgestellt zu werden. Von hier ab wird aber, im Unterschiede von dem bisher Vernommenen, die Melodie in langausgehaltenen Tönen und in bald empor-, bald abwärts strebender Bewegung fortgesponnen; während der Baß mit einem ganz freien, aber sehr prägnant hingestellten Contrapuncte hervortritt, endlich aber orgelpunctartig auf einzelne, gleichfalls langgezogene Klänge sich festbannt, und einer von der ersten Geige ausgeführten, ich möchte sagen: frei phantasieartigen langen Cadenz zur Stütze dient. Zu dieser Letzteren gesellen sich hinwieder in den Mittelstimmen allerlei bald dem ersten, bald dem zweiten Hauptthema entnommene Gestalten. Und unter so regem, buntem Treiben geht der erste Satz, gleich hervorragend durch seinen äußerlich und innerlich wirksamen Inhalt, wie durch seine, ungeachtet ihrer phantastischen Prägung, dennoch streng logisch gegliederten Form, seinem nicht blos obenhin befriedigenden, sondern den nachhaltigen Eindruck eines echten Meisterwurfes hinterlassenden Abschlüsse entgegen. –

Trat uns im ersten Satze des Goldmark’schen Quartettes ein vielfach erregtes, stellenweise sogar zum Dithyrambenhaften emporgeschwungenes Pathos entgegen, so giebt der zweite Satz, Andante sostenuto, F moll 3/4 Tact, jener tief in ihr Selbst gebannten elegischen Stimmung Ausdruck, jenem Schmerz vergeistigtester Potenz, wie ihn erst recht eigentlich Beethoven’s sogenannte letzte Schöpfungsepoche zur rastlos fortzeugenden That des jüngsten musikalischen Weltgenius festgeprägt hat. Solche Elegie, die ihre vollen Blüthen treibt und unverhohlen hinstellt, hat sich freilich auf tönendem wie auf wortdichtendem Gebiete lange vorbereitet, bis sie zu so schrankenlosem Durchbruche gekommen, als es hier der Fall ist. Stimmungen solcher Art klingen schon durch vieles Seb. Bach’sche. Selbst Vater Haydn, der fast unausgesetzt Lebensfrohe, konnte sich mancher Ahnung dieser im letzten Beethoven und den Späteren so durchgreifend selbständig aufgetretenen elegischen Romantik, dieser Wonne ob unsagbarer Wehmuth und in derselben, nicht erwehren. Ebensowenig Mozart. Man betrachte, beispielsweise gesagt, nur manches Adagio oder Largo der letzteren Quartette des Erstgenannten, man höre in diesem Sinne mit- und nachfühlend u. A. den getragenen Mittelsatz und die Einleitung zum Finale des G moll-Quintettes vom letztbezeichneten Meister. Ueberhaupt ist dieses Werk Mozart’s eine wahrhafte Typengestalt bezüglich jenes elegischen Tonausdruckes, wie er nicht blos unserer, sondern – man darf prophetisch sagen – wol aller noch kommenden Zeit entspricht. Und zwar gilt dieser Ausspruch selbst vom unscheinbarsten Gliede dieses einzig in seiner Art denkwürdigen Kunstwerkes. Genien ferner, wie z. B. Spohr, waren schon ganz und gar voll jener unersättlichen Lust am Klagen, Trauern und Weinen. Beethoven hat diese Thränen, diesen Weltschmerz höchster, tiefster, universellster Bedeutung, erst recht zu einer festen Typengestalt neueren Tonwaltens erhoben. Auf wortdichtendem Gebiete hat sich dieser elegische Grundzug – schon vor Schiller – durch allerlei Phasen hindurchgerungen. In Ernst Schulze, dem Spohr in Worten, ist er fast ausschließendes Lebensmoment, und in Nicolaus Lenau endlich zu einer ganzen Lebensphase, zu einer, alles dichterische Schaffen unumgänglich bedingenden und bestimmenden Macht geworden. Eine Monographie des elegischen Elementes und seiner Rückwirkungen auf alle Kunst und Zeit wäre fürwahr einer der fruchtbarsten Stoffe für die moderne Kunstforschung. Mag es einstweilen bei dieser flüchtigen Anregung sein Bewenden behalten! –

Wer die klare Ueberzeugung gewinnen will. Laß in Goldmark’s F moll-Andante jener an Beethoven’s letzten Schöpfungen ganz unmittelbar erwärmte Puls sich rege, der betrachte vor Allem schon den von allem harmonischen Beiwerke abgetrennten, lang- und schwerathmigen, vielsagenden Hauptgedanken des Stückes. Hier die Skizze:

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Die so tiefaufseufzender Klage untergelegte Harmonik, so einfach durchsichtig, ja mit seltener Keuschheit und Entsagung auch immer hingestellt, wirkt als ein innerlichst nothwendig mit dem Thema selbst verkettetes Wesen, zugleich aber auch in gleich hohem Grade Zug für Zug spannend.

Hier ihre generalbaßartige Anführung:

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Dieser ersten Gestaltung folgt eine zweite, die, nach einem Hinblicke, das tiefe Weh der Stimmung noch mehr verinnerlicht, nach anderer Seite aber den Eindruck dieses denkwürdigen Nachtbildes der Wehmuth und Sehnsucht durch das Beigesellen einer Gegenmelodie zu einem noch ungleich erschütternderem, weil selbst äußerlich glanzvollerem, gestaltet. Diese ganze Stelle läßt Goldmark als einen gleich berufenen wie auserwählten Jünger der letzten Schöpferperiode Beethoven’s erscheinen und stellt ihn auf eine Höhe, die nur Wenige seinesgleichen unter Süddeutschlands neuesten Componisten einnehmen. –

Unmittelbar auf diesen Klagegesang folgt, dem Violoncell anvertraut, ein noch drangvollerer Aushauch des Seelenschmerzes und zugleich der schwärmerischen Freude an so aus Tiefinnerstem entquollenen Thränen. Klänge solcher Art, so eigenthümlich auch herausgestaltet, wurzeln gleich tief wie fest im geistigen Strombette der im Verlaufe dieser Zeilen schon oft erwähnten letzten Schöpfungsepoche Beethoven’s, in jenem Goldmark hier rastlos geleitenden »Sterne des Pols«.

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Man folge zunächst der weiteren, neben Beethoven’schen auch gar manche bedeutungsvolle Anregungen Schumann’scher Denk-, Fühl- und Setzart verrathenden Aufgipfelung dieses neuen Themas. Der soeben erwähnte neue Gestaltungsschritt vollbringt sich durch die erste Geige. Sie ist es, die das nun wieder in die Rolle selbständigen Begleitens, oder richtiger Contrapunctirens verwiesene Violoncell ablöst. In dem nun folgenden gleich tiefen, wie reizvollen Melodienbild liegt so recht eigentlich der Typus einer »unendlichen Melodie« in fester Prägung vor. Auch das Weitgriffige der hier entfalteten Kunst der enharmonischen Accord- und Modulationsführung springt in die Sinne. Und so tritt denn Alles hier als edles und wahres Spiegelbild der Zeit, durch und für sich selbst redend, auf. Wie wohlig so durchgeistigte Langathmigkeit jeden wahrhaft in der Zeit und für dieselbe Lebenden ergreife, bedarf nicht erst der Versicherung. Das sind nicht leere, sondern gründlich erfüllte, erlebte Töne, die man da vernimmt. Was nun (Seite 12, System 1 und 2) folgt, ist Themenreprise und zwar vollständiger Umsatz des Hauptgedankens von F- nach Gis moll. Das diese Stelle von ihrer ursprünglichen Gestalt noch weiter unterscheidende Merkmal ruht in dem diese ganze Wiederholungsgruppe beherrschenden Contrapuncte, mit dessen Ausführung zuvörderst die Bratsche betraut wird. Ganz abgesehen von der wahrhaft seelenvollen Steigerung, die durch jenes Element in das Bild kommt, ist die eben erwähnte Stelle noch überdies von einem völlig neuen Klangzauber durchdrungen. Ich vermag diesen Letzteren nicht treffender zu bezeichnen, als indem ich sage: das bis jetzt lyrisch-elegienhaft gefärbte Tonbild wird hier dramatisch, es wird zur entschiedensten, in musikalische Worte gehüllten Tragödie. Es erreicht sonach einen Höhe- und Vertiefungspunct, dem nur sehr Weniges aus älterer wie neuerer Musikliteratur an die Seite zu stellen sein dürfte. Hier hält es wahrhaft schwer, nicht Enthusiast zu werden. Das ist ureigenster Nachklang des Höchsten, Geistvollsten, was es geben mag im Reiche des Tonschönen. Nun übernimmt zuerst die Prim-, kann die Secundgeige die Rolle des figurativen Umspielens der Cantilene. Diese Letztere läßt aber jetzt für einige Zeit jenen in den beiden Hauptgedanken dieses Tonstückes ruhenden Faden fallen. Sie arbeitet, schaltet und waltet vielmehr nach ganz freier Phantasieart, aller scharf begrenzten Rhythmik und thematischen Gliederung sich auf einige Zeit begebend. Auch hier tritt dann einer der Charakterzüge dieses ganzen Quartettes: das Streben nach einem engen Verschmelzen der scharflogischen mit der aphoristisch freien Art der Gedankenbildung und Entwickelung, sprechend zu Tage. In solcher Wiederkehr des Componisten aus vorwiegend aus eigenem Willen und Drängen hervorgegangene, sonst ungewöhnliche, ja vielleicht in so entschiedener Fassung nirgends anzutreffende formelle Neuerungen, oder – bezeichnender ausgedrückt: in solchem öfter wiederholten Experimentiren mit dem Vergesellschaften solcher Gestaltungselemente, die in der Regel weit auseinanderliegen, ruht etwas Typisch-Reformatorisches. Und da das Herausstellen dieses eigenartigen Zuges dem Componisten Goldmark bis jetzt in zwei von einander verschiedenen Theilen eines und desselben Werkes, wie unleugbar feststeht, vollständig geglückt, so mag ihm ob dieser Neuerungen ein warmer Lobspruch des öffentlichen Urtheils werden. Denn wohl dem, der es versteht, mit der Schablone siegreich zu brechen! Wer Solches erzielt, ist ein echt Berufener und Auserwählter, ein Meister seiner Sphäre. Nach dieser, durch einen »langen Halt« beschlossenen Episode folgt der das erste Thema ganz unverändert exponirende Wiederholungssatz (Seite 13, System3, bis Seite 14, System 3). Ungeachtet dieses haarscharf getreuen Austönens wirkt die erwähnte Stelle gleich zündend und das Gemüth im innersten Grunde in sich selbst vertiefend, wie das erste Mal. Hierin liegt Beweises genug für den ihr einwohnenden Geistes- und Seelengehalt. Wenn ich, die Besprechung dieses Satzes einleitend, schon in dessen Gedankenkeimen eine in knappen Formen verkörperte echt tragödienhafte Stimmung als typisches Merkmal der hier geführten Tonsprache feststellen zu sollen glaubte, so bestärkt mich der Schluß desselben noch mehr in meiner Behauptung. Man höre nur die markerschütternden Klänge der hier wieder selbständig, in einer Art Cadenz, die ich ihrer Langathmigkeit wegen lieber eine ganz für sich abgesondert hingestellte freie Phantasie nennen möchte, hervortretenden Bratsche! Wie drangvoll klagt und seufzt sie ihr Weh aus! Wie langgezogen gesellen sich ihr die Zähren der zweiten, wie krampfhaft wechselnd zwischen drängendem und stillem Ach jene der ersten Geige, wie schwer nachhinkend die tiefen Seufzer des Violoncell bei! Welch namenlos mühseliges Verklingen, Er- und Absterben des ganzen Bildes mit den drei Tönen des F moll-Dreiklanges und seiner nachher noch drei Mal leise berührten Tonica! Wer hier Beethoven’s Geisteserbe nicht durchfühlt und begreift, den bedauern wir! Er hätte alsdann auch keinen Sinn für die Urklänge des allgewaltigen Meisters. – (Fortsetzung folgt.)

Der dritte Satz des Goldmark’schen Quartettes (F dur 2/4 Tact, Allegro vivace) ist eine Art Scherzo. Ohne eben strenge an die festgegliederte Form solcher Sätze gebunden zu sein, trägt das Stück in jedem seiner Züge den Charakter des Scherzo. Es athmet Humor, und zwar in keinem der vielen einseitigen Verständnißarten dieses auch musikalisch vieldeutigen Begriffes, sondern in einem alle die bekannten Verschiedenheiten zusammenschließenden Sinne. Die Form ist durchaus frei. Man könnte das Stück in gewisser Beziehung ein Scherzo fantastico nennen.

Obwol festgegliedert, lassen sich jene Momente, die den fraglichen Satz zu einem organischen Ganzen abrunden, durchaus nicht ln den allbekannten Cirkel: Scherzo, Trio und Reprise des Scherzo einbeziehen. Als hervorspringendste Puncte dieses Tonstückes machen sich folgende theils nebeneinander gestellte, theils miteinander verschmolzene Themen geltend:

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Dicht an die vollständige Klarstellung und Ausprägung dieses Wieder- und Nachhaltes schwungvoller, fast übermüthig sorgloser Lebensfröhlichkeit schließt sich nachstehendes Stimmungsbild einer bald heiter, bald düster in das Leben und in seine Verhängnisse gleichsam hineinschwärmenden Sehnsucht:

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Das Drängende dieser Zeichnung wird im Verlaufe dieses Tonstückes nach einem Gesichtspuncte bei Weitem drastischer hingestellt, als es in diesem Torso der Fall ist. Nach anderer Seite hingegen wird das skizzirte Bild durch alle nachfolgenden Striche noch mehr verinnerlicht. Dieser Seelenvorgang vollbringt sich durch die in der zweiten Geige und Bratsche hindurchgesponnene Gegenstimme und durch den in tiefer und mittlerer Lage sinnend und bedächtig dahinschreitenden Baß. Dieser Letztere vertritt die Ruhe in der Bewegung, und zwar jene Ruhe, die mit dem Pathos-Ethos, der zweiten Charakterseite echten Humors, in ein und dasselbe Wesen sich zusammenschließt. Auch die an dieser Stelle so bezeichnend angewandte Enharmonik, vollführt durch den Umsatz des zweiten Themas aus der B- in die Kreuztonartengegend (von F nach E dur), gipfelt und vertieft unter Einem die Wirkung dieses Gedankens. Durch die Bratsche in also veränderter Form hingestellt, kommt in die schon ursprünglich drangvolle, sehnsüchtige Romantik des inredestehenden Gedankens ein düsteres Klangwesen hinein. Der soeben genannte geistige Wandelungsproceß des erwähnten Themas giebt einer zwiefachen Deutung desselben Raum. Nach einem Hinblicke wird nämlich dieses zweite Thema an eben genannter Stelle zu einem scharf bezeichnenden Gegensatze gegenüber seinem Vorgänger. Nun treten aber beide Grundgedanken neben- oder vielmehr mit einander wirkend auf. Die Bratsche hält nämlich den oben schon geschilderten Stimmungston fest. Die erste Geige hingegen figurirt oder improvisirt hierzu eine genau im Sinne der ersten Grundidee gedachte und entwickelte Gegenstimme. Der Baß endlich bildet zu so vielbewegtein Treiben den theils bedächtig sinnenden und durch längere Haltetöne stützenden, theils den, durch die Brille vielbedeutsamer Pausen besehen, schweigsam beschaulichen Hintergrund. Die rhythmische und modulatorische Seite dieser Stelle ist so reich, ja überschwänglich im Vorführen eines Bildes nach dem anderen, daß ein Festhalten des Fadens schwer hält. Das Bemerkenswertheste ist die scharf und charakteristische, ja symbolische Seite der hier angewandten Harmonik. In jedem Zuge derselben spiegelt sich der vollständig mündige Sohn der Gegenwart. Es genüge vorläufig diese Versicherung und sie rege zum hörenden und fühlenden Durchsehen und Durchspielen der betreffenden Stelle, ja des ganzen Stückes an. Ein neues Element dieses Satzes taucht jetzt auf. Wer eben will und sich von der alten Schablone nun einmal durchaus nicht trennen mag, betrachte den nun folgenden Abschnitt als sogenanntes Trio des Scherzo. Allein es ist ungleich knapper gehalten, als Sätze dieser bestimmten herkömmlichen Art. Im Grunde ist es eine von allen früheren ganz frei hingestellte Episode, die sich, gleich allem ihr unmittelbar Vorausgegangenen, um keine feste Gliederung nach Abschnitten u. s. w. kümmert. Demungeachtet schließt sich der inredestehende Satz, wenn Bedacht genommen wird auf Einheit der Stimmung, dem Ganzen streng organisch an.

Die hier angewandte Combination darf unumwunden ein genialer Wurf heißen. Die Außenwirkung der Stelle ist gleich schlagend, wie die innere organisch berechtigt und dichterisch bedeutsam. Die an diesen echt lyrisch-humoresken Seitensprung geschlossene weitere Gruppe, sequenzartig geführt, bereitet, rhythmisch erfaßt, auf das Hauptthema vor, ist daher gewissermaßen als Ueberleitungssatz des Trio in das wiederkehrende Scherzo anzusehen. Mit dem eigentlichen Wiederholungssatze hält der Componist indeß noch eine Weile inne. Es folgt noch ein spannend-trugartiger Hinblick auf das zweite, im strengsten Wortsinne melodische Thema. Dieses Letztere erscheint aber an dieser Stelle (Seite 17, System 1, Tact 3 u. s. w.) in einer – namentlich modulatorisch völlig neuen und freien Führung. Auch diese Stelle bezeugt vollgültig den Gegenwartsmusiker probehaltigster Richtung.

Der hieran unmittelbar angeschlossene kurze Ueberleitungssatz in die vollständige Reprise des in diesem Tonstücke bis jetzt Vernommenen (Seite 17, System 2-4) wirkt, abgesehen von seiner scharflogisch-thematischen Gliederung, ungemein anmuthend durch die solchem Schwirren aller Instrumente eingelebte Grazie. Es liegt viel elfenartiger Humor in dieser Stelle, ohne daß dieselbe auch nur entfernt an die beiden allbekannten Typen dieser bestimmten Denk-und Gestaltungsart, an C. M. v. Weber oder Mendelssohn, gemahnte. Dieselbe Bemerkung drängt sich gegenüber der kleinen, netten Episodenstelle aus, die da auf Seite 18, System 3 Boden zu fassen gewinnt. Ueberhaupt ist die ganze Schlußstelle (Seite 18 – 19) ein Stimmungsbild reizvollster Art, das bald diese, bald jene Saite des Innenlebens in Schwung zu bringen weiß, und wie aller bisherige Inhalt dieses Quartettes – ebenso reich an phantasievoll freiem wie thematisch strengbegründetem Geistes- und Formengehalte sich darstellt. –

Soweit die hervorragenden Lichtseiten des Goldmark’schen Quartetts. Wenn ich nun nicht umhin kann, den letzten Satz des Werkes eine Achillesferse zu nennen, so möchte ich durch diesen sofort eingehender zu begründenden Tadel das viele Einzelnschöne auch dieses Tonstückes durchaus nicht umgangen wissen. Allein der Satz ist und bildet kein Ganzes. Er ist Mosaikarbeit. Es fehlt ihm Guß und Fluß. Die Themen selbst sind mehr geklügelt, als frei erfunden. Es sind Gedankenspähne, Aperçus, doch keine eigentlich ausgeprägten Ideen. Ihre Stellung zu einander entbehrt innerer Nothwendigkeit. Die, wie bemerkt, schon durch das ganze Quartett hindurchgeschlungene Tendenz nach dem Phantastisch-Freien, Stegreifartigen, tritt hier allzu schroff in den Vordergrund. Das Hauptthema ist entschieden Phrase. Im besten Falle ist es vielleicht ein Anlauf oder Vorspiel zu einem Gedanken, doch lange kein solcher, als ein in sich selbst ausgeprägtes Wesen, so gut, ja nach rhythmischer Seite hin betrachtet – höchst sinnig die Stelle auch klingen und wirken möge. Auch die unmittelbar angeschlossene Stelle ist kein Thema, sondern ein rhythmisch ohne Frage prägnantes Melisma, ohne ausgesprochenen echt gesanglichen Lebenskern.

Der beinahe unveränderten Reprise desselben folgt in unmittelbarem Anschlüsse ein Seitensatz. Dieser giebt sich, seiner gesanglichen und dichterischen Seite nach aufgefaßt, ungleich bedeutsamer, weil stimmungsvoller und gegliederter, kund. Er trägt sonach weit mehr Berechtigung zu einem ausgeprägten, eigentlichen Thema, als alles aus diesem Schlußsätze bisher Angeführte. Jedoch leuchtet mir wenigstens der innere Kitt dieser Stellen zu ihren Prämissen durchaus nicht ein. Ebenso äußerlich ist die Stellung der an dieser Themenexposition unmittelbar angeschlossenen contrapunctischen Durchführung. So interessant dieselbe immerhin ausgestattet sein, so drastisch sie als Einzelnheit wirken möge, so bleibt sie, wie immer angeschaut, ein von, Gesammtverbande des bisher Gehörten losgelöstes, unfügsames Glied. Man lese auf Seite 21 der Partitur vom 8. Tacte des ersten Systems angefangen, und prüfe das hier angebahnte Gedanken- und Formengebilde bis zum 5. Tacte des dritten Systems derselben Seite. Es tritt Einem hier wol ohne Frage eine anregende Skizze, ein lebensvoller Torso entgegen. Was soll er indeß an dieser bestimmten Stelle?

Ungleich verwandter dem Bisherigen, weil dem zweiten Hauptgedanken entnommen, ist die an diesen kurzen Auslauf geschlossene Stelle (Seite 21, System 3, Tact5 bis System 4, Tact 9), deren Ausgang namentlich, weil an ungarisch-nationale Typen gemahnend, charakteristisch wirkt. Noch einmal erklingt jene, mir nach wie vor ihrer logischen Seite nach räthselhaft dünkende contrapunctische Episode. Sie wird hier nach nachhaltiger, denn vordem betont. Die vorwiegend kanonische Stimmführung der beiden Geigen, die stramme, fast plastisch schön zu nennende Haltung der Bratsche und des Basses dürfen als Meisterzüge des hier entrollten Bildes gelten. Ebenso unleugbar fest steht der zündende Außeneffect der eben berufenen Einzelnphrase. Allein auch sie bleibt eben Einzelglied und Phrase, gleich allem bisherigen Inhalte dieses etwas bedenklich die Sphäre des Freiphantastischen betretenden Satzes, gegenüber dem von jeher Gewohnten, ja urbildlich Gewordenen, daher vollberechtigten Organisch-gegliederten. Ebenso locker ist jener Faden gesponnen, der den sogenannten ersten, streng genommen gar nicht abgeschlossenen Satztheil in seine theilweise Wiederholung einmünden läßt (Seite 22, System 1, Tact 1–5). Ich betone: theilweise. Denn nur der Anfangsgedanke wird in seiner ursprünglichen Form hingestellt. Mit dem zweiten Gliede der losen Kette wird durch längere Zeit (Seite 22. System 2. Tact 9 u. s. f. bis Seite 23. System2, Tact 3) sequenzenartig und im Sinne rastlos wechselnder Enharmonie experimentirt. Die betreffende Stelle ist zwar an sich wirksam und sinnvoll. Auch klingt dieselbe schön und bezeugt eine weitgediehene combinatorische Kraft. Eingedenk der Gesammtwirkung macht aber auch dieser Abschnitt des Tonstückes den Eindruck des Weitwendigen, Aphoristischen und Musivischen.

Das sogenannte zweite Thema giebt nun dem Componisten Anlaß zu einer fughettenartigen Gestaltung, die, obgleich manchen Zug geistvoller Conception und Stimmführung herausstellend, doch vom Thema beginnend und bis zum Endpuncte seiner Durchführung besehen, etwas Gesuchtes trägt. Dieser Satz ist kein dem Ganzen nothwendig entkeimtes Tonwesen. Man merkt die Absicht und wird verstimmt. Der Gedanke, an und für sich betrachtet, ermangelt aller plastischen Abgeschlossenheit. Er ist, vom Stamme und von der Wurzel aus erfaßt, alles Andere, nur kein Fugenthema. Es haftet ihm etwas Zerrissenes, Zerstörtes, Weltschmerzelndes an. Fugenthemen müssen aber Gesundheit athmen. Die lebendigste Zeugenschaft für diese Wahrheit liegt in Bach und Händel. Hiervon abgesehen, will sich auch diese hier hingestellte Abart von Fuge nicht wol in den Organismus oder vielmehr in das innerlichst Einheitslose des ganzen Satzes fügen. Ich wünschte diesen gelehrtthuenden Flitter aus dem Gebilde hinweg. Er thut weh, denn er ist ein wohlfeiles Zugeständniß an die leere Herkömmlichkeit; er ist eine arge Lüge gegenüber allem bisher Vernommenen. Welche Stellung der Fugenform inmitten der theils gründlich formlosen, theils innerhalb strenger Form ganz eigene, von der gewohnten Schablone wesentlich verschiedene Bahnen wandelnden sogenannten freien Phantasie gebühre, haben Meister wie Bach, Mozart, Beethoven, Mendelssohn.

Schubert, Schumann und Liszt, jeder auf seine Art, weit beredter gezeigt, als der – wie bemerkt – hochbegabte, hier in diesem Satze aber gründlich irrlichtelirende Goldmark. Je länger auf dem Gebiete des Contrapunctischen umherwandelnd, je steifer wird der Satz. Das nach dieser Seite hin Unerquicklichste ergiebt die sogenannte – nebenbei bemerkt – sehr bequeme Engführung (Seite 23, letzter Tact und Seite 24, erstes und zweites System) und der Orgelpunct (Seite 24, System 2 bis 4), über dem nichts als rosalienartige Alltagsphrasen, gedankenlose Sequenzen sich mühselig dahinziehen. Der nun sich anreihende Wiederholungssatz giebt selbstverständlich keinen Anlaß zu neuen Bemerkungen. Die Coda ist nichts weiter, denn eine im herkömmlichen Sinne brillante, von der ersten Geige neben vorwiegend homophoner Mitwirkung der anderen Saiteninstrumente dem Schlusse zustürmende Cadenz.

Schade, daß der letzte Satz dieses Werkes so flüchtig und lückenhaft sich ausnimmt! Es könnte, hiervon abgesehen, eine allen Quartettvereinen nicht blos, sondern eine jedem im guten Geiste der Zeiten Strebenden hochanempfehlenswerthe Künstlerthat, ein Meisterwerk seiner bestimmten Art heißen. So aber bleibt ein unerquicklicher Rest im Hören und Lesen dieser Goldmark’schen Partitur zurück, der gebieterisch nach einem gründlichen Umgusse ihres letzten Viertels drängt.

Dr. Laurencin.