Eine schönstrebende und edle Schaffenskraft

Robert Fuchs und seine neue Symphonie.
(Die letztere aufgeführt im philharmonischen Concert am 18. December 1887.)

Wir wollen nun einmal an nichts Gewaltsames, Revolutionäres in der Kunst glauben, und wenn wir auch zeitweise daran glauben müssen, so lieben wir es nicht. Natur und Kunst gehen treulich Hand in Hand; und gleichwie auf dem Gebiete der Natur nur das gedeihlich werden kann, was den regelmässigen Process des Keimens, Wachsens und Blühens durch durchmacht, so wird auch im Reich der Kunst nur ein ähnlicher Fortgang zu richtigen Zielen führen. Mit Freude und Behagen beobachten wir das Wachsen der mächtigen Eiche, der hochragenden Fichte, wie das Sprossen und Aufblühen des Veilchens; in noch höherem Masse muss es uns entzücken, ein Gleiches an einem echten Talente zu verfolgen, mag dieses nun mit Riesenkräften emporstürmen oder stillere, ebenere Pfade wählen.

Ein Talent letzterer Art ist unser vaterländischer Tonsetzer Robert Fuchs. Er ist – wir möchten bei beinahe sagen: Gottlob! – kein Titane; will es auch nicht sein ; der Künstler muss ja vor Allem die Richtung und die Grenzen seines Talentes erkennen. Fuchs nennt eine durchaus schönstrebende und edle, in ihrer Sphäre auch eigenartige Schaffenskraft sein eigen; er geht die Wege, welche uns die Classiker gewiesen haben, wol wissend, dass für den Instrumentalcomponisten nur diese zum Heile führen. Treu hält er an seinen Idealen fest, und mit unermüdlichem Fleisse strebt er vorwärts, stets neue und erfreuliche Gaben auf den Altar der Kunst niederlegend.

Robert Fuchs wurde am 15. Februar 1847 zu Frauenthal in Steiermark als Sohn eines Lehrers geboren. Nachdem ihm die nothwendige Vorbildung zu Theil geworden war, kam er als Zögling an das Wiener Conservatorium, wo er u. A. unter Dessoff’s gediegener Anleitung gründlichen Studien auf dem Gebiete der Composition oblag. Dieser war es auch, welcher dem damals noch blutjungen Künstler einen Weg in der Oeffentlichkeit bahnte, indem er Fuchs’ erste Serenade für Streichorchester in den philharmonischen Concerten zur Aufführung brachte. Diesem reizenden, duftigen Werke verdankt der Tonsetzer die Popularität, deren er sich noch heute erfreut, und welche seinen Bestrebungen in so hohem Masse förderlich ist. Der ersten Serenade (D-dur) liess Fuchs bald eine zweite (C-dur) und dritte (E-moll) folgen; dann begann der junge Meister seinen Stil zu vertiefen und befasste sich mit der Ausführung ernsterer Arbeiten. Eine Piano-Violinsonate, eine Sonate für Piano und Violoncell, eine solche für Clavier allein, ferner ein Trio und ein Quartett für Clavier und Streichinstrumente – alle diese Werke entstanden in günstiger Aufeinanderfolge, und man kann das Fortschreitten [sic!] des Künstlers in technischer und formeller Beziehung wol beobachten. Als Symphoniker zeigte sich Fuchs (wenn wir von seiner aus dem Jünglingsalter stammenden Symphonie in G-moll absehen) zum ersten Male in einem Clavierconcert mit Orchester, welches ebenfalls die Philharmoniker zur ersten Aufführung brachten, und wobei der geniale, vor kurzer Zeit auf so unselige Art aus dem Leben geschiedene Emil Smietanski den Clavierpart in Händen hatte. Im Jahre 1884 trat Fuchs mit seiner ersten reifen Symphonie (C-dur) in die Oeffentlichkeit, und fand damit so reiche Anerkennung, dass das Werk schon im nächstfolgenden Jahre unter Hans Richter’s Leitung zur wiederholten Aufführung gelangte. Im Jahre 1887 nun, während seines Sommeraufenthaltes in den herrlichen Fluren Berchtesgadens, hat Fuchs eine zweite Symphonie (Es-dur) vollendet, und dieses Werk haben wir im jüngsten Concert der Philharmoniker gehört und mit herzlichem Beifall begrüsst.

Der erste Satz (Allegro energico 3/4-Takt, Es-dur) bringt ein lebenskräftiges, von Geigen und Bläsern in rauschendem Wettkampfe vorgetragenes Motiv, dem wir anfänglich keine eigentliche thematische Triebkraft zutrauen. Ueberzeugender tritt das schöne Gegenthema in den Holzbläsern auf, welches die Violinen dann schmeichelnd aufnehmen, und dem eine kräftige Schlussphrase folgt. Der zweite Theil des Satzes enthält die hier ziemlich lang gerathene, aber durchwegs interessante Durchführungsstelle; an diese reiht sich die ziemlich unver unveränderte Wiederholung, welche rasch und mühelos zu einem rauschenden Schluss führt. Das nun folgende wolklingende Andante (C-moll) leitet ein äusserst einfaches, darum aber nicht minder werthvolles Motiv auf den Hoboen ein, an dessen Ausbreitung sich nach und nach alle anderen Instrumente betheiligen, und welches nach dem Mittelsatze in C-dur mit figuralen Veränderungen wiederkehrt. Was diesen betrifft, würden wir ein mehr contrastirendes Motiv lieber an seiner Stelle gehört haben; auch bei der am Schlüsse erfolgenden Wiederkehr des Mittelthemas macht uns dieses keine rechte Freude. Der dritte Satz ist ein Allegretto graziosoim 3/4-Takte, ein wahrer und wahrhafter Menuett, mit einem rascheren, in kräftigen Triolen dahinrauschenden Trio. Dieser Satz, vom Publicum mit dem reichsten Beifall ausgezeichnet, kann trotz des bestrickenden Wolklanges und der dem Stücke innewohnenden Lieblichkeit unser Lob nicht unbedingt finden. Fuchs fällt hier allzu sehr in den Serenadenstil zurück, und wir hätten ein kräftigeres, rhythmisch wirksameres Stück an diesem Orte freudiger begrüsst. In dieser Beziehung entschädigt uns jedoch das Finale (Allegro, alla breve), das wieder mit voller Lebensfülle einsetzt und unter reichen Schönheiten zum Schlüsse führt – welch letztere allerdings mehr zur Geltung gelangen würden, wenn sich der Componist hätte etwas kürzer fassen wollen. Im Ganzen betrachtet, zeigt uns Fuchs in seiner neuen Symphonie, dass er auf der betretenen schönen Laufbahn siegreich fortschreitet, er liefert uns den neuen Beweis, dass in der Kunst nicht massgebend ist, was geschaffen, sondern nur wie es geschaffen wird. Wenn uns Brahms zeigt, dass die Traditionen Bach’s und Beethoven’s noch heute ihre volle Geltung haben, so bringt uns die Tonsprache Fuchs’ den Trost, dass das Glaubensbekenntniss Schubert’s und Mendelsohn’s noch genug der wahrhaft Andächtigen zusammenhält, dass diese künstlerische Religion nicht untergehen kann in dem Atheismus der chromatischen Sansculotterie, in dem Ketzerthum geistreichelnder Programmmusik. Mag sich Fuchs immerhin »Zopf« schelten lassen – der unsterbliche Grillparzer war auch ein solcher, wenn er die Verse schrieb:

»Nur weiter geht euer tolles Treiben,
Von vorwärts! vorwärts! erschallt das Land;
Ich möchte, wär’s möglich, stehen bleiben,
Wo Schiller und wo Goethe stand.«

(Richard von Perger in: Österreichische Kunst-Chronik vom 24. Dezember 1887)

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Ein mit Umsturzgedanken geschwängerter wilder Geist der Gährung hat der Philharmoniker sich bemächtigt. Sie, die sonst jeder Versuchung moderner Komponisten erfolgreich widerstreben, die von Auf-die-Probe-Stellen und Probiren keine Freunde sind und die Alles für den Fortschritt gethan haben, wenn sie ein altes Werk im allerneuesten Tempo vortragen, diese Hochtories des musikalischen Wien haben in zwei auf aufeinanderfolgenden Concerten – man höre und staune! – drei Novitäten herausgebracht: eine Symphonie, eine OuvertUre und eine symphonische Dichtung. In der Es-Dur-Symphonie von Robert Fuchs erkennen wir dankbar die werthvollste Bereicherung der Orchester-Literatur. Der Autor dieses anmuthigen Werkes ist keines jener vielversprechenden und wenig haltenden modernen Kraftgenies, die sich nur auf den Kopf zu stellen brauchen, um eine große Menge von Bewunderern anzulocken; er geht schlicht und natürlich wie andere Menschenkinder auf seinen gesunden geraden Beinen und schreitet rüstig mit ihnen erreichbaren Zielen zu. Was sollte er auch den Himmel stürmen, da er ihn in der eigenen Brust trägt? Und ist es nicht besser, König zu sein über ein kleines fruchtbares Land, denn als eingebildeter Eroberer ferner Weltreiche in der Wüste zu verschmachten? Der Horizont der Fuchs’schen Symphonie wird von denselben freundlichen Höhenzügen umgrenzt, welche das träumerische Auge Franz Schubert’s in ihrem Bann hielten: der Wiener Wald, die Heimat der »Müllerlieder« und der »Winterreise« ist auch der Musenhain unseres Robert Fuchs. Seine Es-dur-Symphonie schließt sich an Schubert’s große Symphonie in C an, und besonders in ihren ersten beiden Sätzen, einem jagdfrohen Allegro energico und einem romantischen, zarten Andante, ist der Zusammenhang zwischen Schubert und Fuchs nicht abzuleugnen, obwol er sich mehr herausfühlen als aufweisen läßt. Denn über eine nachdrückliche und ersprießliche Anregung reicht der Einfluß des älteren Tondichters kaum hinaus. Vielleicht ist es auch nur die Gemeinschaft des mütterlichen Bodens, welche zu verwandten Gedanken und Empfindungen führte. Der Unterschied im Charakter der Stimmung, welcher beide Werke um so deutlicher von einander abhebt, findet sein bezeichnendes Bild in den Vergleichen einer Frühlings- und einer Herbstlandschaft. Schubert’s üppiger Melodienlenz mit seiner vollen überwuchernden Blüthenpracht und dem seligen Herzen voll Nachtigallensang und Lerchengeschmetter scheint die Fesseln der Natur sprengen, sich in die Unendlichkeit des blauen Aethers verlieren zu wollen; die kühlere und klarere Atmosphäre, in der Fuchs sich bewegt, zieht die Natur in ihre Schranken zurück, erhöht den Ausdruck ihrer formengebenden Kraft, entschleiert gleichsam ihre Grundgedanken und bringt den Contour zu seinem Recht. Was uns für die Es-Dur-Symphonie ganz besonders einnimmt, ist die ruhige Schönheit ihrer Form, der leichte und gefällige Fluß ihrer Ideen, die Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit ihrer thematischen Arbeit, die fein abgewogene Dynamik und das wohlthuende Kolorit ihrer Instrumentation. Im Einzelnen fällt uns eine Vorliebe für Sequenzen auf, die wir nicht immer theilen, wenn wir auch ihre logische Berechtigung anerkennen. Von den Posaunen, die in den Außensätzen zur Mitwirkung herangezogen werden, macht der Komponist mit feinem Verständniß discreten Gebrauch: sie treten nur bei entscheidenden Stellen der Durchführung hervor und sind jedesmal am rechten Platze. Einen eigenthümlichen Effect macht das Unisono der Geigen, welches im ersten Satze zur Repetition überleitet, deßgleichen die Paukentriole, die den veränderten Rhythmus des Trios im Mennett anzeigt. Ein Anderer hätte wahrscheinlich dieses energische Trio, das von Weitem an das Scherzo der Beethoven’schen A-Dur-Symphonie anklingt, zum Hauptsatz gemacht und das weiche Menuett an seine Stelle gerückt. Daß die von den Geigen intonirte Melodie des letzteren bei der Beantwortung der Bläser durch einen Auftact verändert erscheint, ist einer von den liebenswürdigen kleinen Einfällen, mit welchen das Werk überreich versehen ist. Der reizende Bläserchor, welcher im Andante (c-molI) das Regiment führt, während die Violinen unter ihm auf den Zehen schleichen und die Bässe wie aus der Ferne mit leisem Pizzicato ihre Anwesenheit markiren, gleicht einem Zuge geisterhafter Gestalten – sind es die Seelen holder Naturkinder, die als Frühlingstraum durch die herbstliche Flur schweben? Fehlt ihnen die lebendige Gegenwart des Glückes, so rufen die Violinen in der Introduction zum Finale einen Schwarm fröhlichen Volkes herbei, welcher der Aufforderung zum Tanze gern Folge gibt.

Wir hätten dem Schlußsatze ein bedeutenderes, ernster auftretendes Hauptthema gewünscht, als Contrast zu der wiegenden Klarinetten- und Violoncell-Melodie, die ein richtiges, dünngesohltes, leichtlebiges, charmantes Wiener Kind ist.

Aber wir maulen nicht, weil wir das Zuspätkommen unserer Wünsche als Kritiker gewöhnt sind … (Max Kalbeck in: Die Presse vom 12. Jänner 1888)

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Fuchs’ Es-dur-Symphonie ist bereits seine dritte, obgleich nur die zweite (in C, vor drei Jahren von unseren Philharmonikern zuerst gebracht) in weitere musikalische Kreise gedrungen ist. Aber schon 1872 debutirte der Componist mit einem derartigen Werke in einem Philharmonischen Concerte, und zwar mit einer schon ziemlich formfesten G-moll-Symphonie, an der die Kritik namentlich die Instrumentation lobte. In dem ersten Satz seiner neuesten Symphonie ist Fuchs der grossen classischen Form, wie sie Beethoven schuf, Schumann und Brahms in ihrer Weise weiter bildeten, wohl am nächsten gekommen. Das setzt mit einer charakteristischen Bläserfanfare energisch ein und behauptet sich fort auf einer respectablen Höhe, wir erinnern uns nicht, von dem Componisten jemals eine so ernst männliche, fast heraus herausfordernde Tonsprache vernommen zu haben. In den Mittelsätzen (einem elegisch angehauchten Andante in C-moll und einem sehr gefällig singenden Allegretto in G) bescheidet sich Fuchs mit den knappsten Formen, beide Stücke (anmuthig, nicht tief) könnten in seinen bekannten Serenaden stehen. Recht lebendig fliegt der letzte Satz vorüber. Im Ganzen ein Werk, das der Gestaltungskraft seines Bildners alle Ehre macht, uns aber freilich nichts wesentlich Neues sagt. Es ist vielmehr eine gelungene Epigonenarbeit, wie die vorhergehende Symphonie. Robert Fuchs’ zartbesaitetes, sangesfrohes Naturell braucht den Anhalt an einen Grösseren, um in die weiten Räume einer grossen instrumentalen Tondichtung nicht den Pfad zu verlieren; dieser Grössere ist für ihn meist Schubert, diesmal entschieden Brahms gewesen. Gewisse echt Brahms’sche ungleiche Rhythmen, Synkopen u. dgl. findet man häufig in der neuen Fuchs’schen Symphonie, und sogar directe Reminiscenzen kommen vor: im ersten Satz an denselben Satz des Brahms’schen D-moll-Clavierconcertes und im dritten an das reizende Allegretto grazioso der zweiten Symphonie. Fuchs’ Novität hatte einen durchschlagenden Erfolg. (Musikalisches Wochenblatt vom 26. Jänner 1888)