Der bejahrte Musiker hat Erfahrung genug …
Wiener Hofoper.
Der neue künstlerische Leiter, Felix Weingartner, hat sein nach G. Mahlers Hai so sehr verfehlter Führung nun 7fach schweres Amt Anfang d. M. angetreten. Er hat zunächst genug damit zu tun, den großen Künstlerkreis der Mitglieder kennen zu lernen, die klaffenden Lücken (auch der Tod riß noch manche gute Kraft fort) durch Neubesetzungen zu schließen und das Erbe Mahlers vollends fortzuräumen. Aus dieser Erbschaft kam in der Neujahrswoche: Ein Wintermärchen von Karl Goldmark zur Erstausführung. A. Willner machte den Versuch, Shakespeares großes Werk zu einem Operntexte umzugestalten. Er tat dies 1. Teile mit einiger Geschicklichkeit, verlor jedoch weiterhin die geistige Kraft, den dichterischen Zusammenhang und Grundgehalt und schuf förmlich lächerlich wirkende Kürzungen und Entwickelungen ohne Begründung. Immerhin gelang es dem Komponisten, wenigstens einige musikalische Schönheiten diesem »Kurzschlußtexte ohne innere Lichtstärke« abzugewinnen. Die Schafschur-Iydlle darf musikalisch als ansprechend bezeichnet werden. Der bejahrte Musiker hat Erfahrung genug, um in den besseren Vorlagen seine Kunst nochmals ausleuchten zu lassen. Stellenweise entwickelte er eine beachtenswerte Zierlichkeit und rhythmische Frische. Dagegen versagte er in den dramatisch regeren Hauptauszügen fast völlig. Verstandes- und Berechnungs-Musik! Also bestenfalls ein Viertel-Erfolg. Das hinderte nicht, daß mit den gewohnten Mitteln ein sog. großer Gesamterfolg gemacht wurde. Der Komponist wurde nach dem 1. Aufzuge an sechsmal hervorgeklatscht. Die Ausführung selbst mit Slezak, Demuth, Schrödter und Frl. Kurz war trefflich. A. D.
(Die Lyra vom 15. Jänner 1908)