… mit sicherem Gefühl für die Bühnenwirkungen

Feuilleton.

»Ein Wintermärchen.«
(Oper in drei Akten, frei nach Shakespeare, von A. M. Willner. Musik von Karl Goldmark. – Uraufführung an der Wiener Hofoper am 2. Jänner 1908.)

Karl Goldmark, der in wenigen Monaten sein 78. Lebensjahr vollendet, ist heute der älteste und auch der bedeutendste Musikdramatiker. Daß er in diesem Alter sich noch an die Komposition eines großen, schweren Opernwerkes gemacht, spricht für seine enorme körperliche und geistige Frische. Und es sei gleich vorweg gesagt: der greise Meister erscheint in seinem neuesten Werke nicht nur jünger als er selbst ist, sondern auch weit jünger als die Mehrzahl der jungen Opernkomponisten unserer Tage. Unverändert ist sein eigenartiger Stil, leuchtend, wenn auch etwas gemäßigt, der bekannte Orchesterglanz und fast jugendlich das Feuer des Temperamentes.

Der Stoff des Wintermärchens ist bereits mehrfach musikalisch erarbeitet worden. Ein Italiener, ein Franzose, ein Deutscher (Bruch) haben Opern komponiert, die einmal »Hermione«, einmal »Perdita« hießen; Flotow hat eine Musik dazu geschrieben und auch Goldmark hat sich vor Jahren schon mit dem Stoffe befaßt. Das Stück Shakespeares ist eigentlich ein Märchen und völlig dementsprechend durchgeführt. Der eifersüchtige König, die verstoßene, verstorbene und wieder auferstandene Königin, die Tochter, welche dem Zorn des Vaters entzogen, in ein wildes Land entführt wird, sich die Liebe des dortigen Kronprinzen erringt und von diesem wieder an den Hof des Vaters heimgeführt wird, wo sich alle Konflikte lösen, sind märchenhaft, ebenso alle Vorgänge, die ganze Grundstimmung des Stückes. Goldmarks Textdichter, A. M. Willner, hat zur Umwandlung des Dramas in ein Opernbuch die Märchenstimmung nicht beibehalten. Die Handlung ist wohl in den Hauptzügen unverändert, mußte aber entsprechend zusammengeschoben werden. Die drei ersten Akte des Dramas müssen in einem Opernakte Platz finden, Perdita lebt bereits zu Beginn, die so wirksame Gerichtsszene fehlt gänzlich. Die ausmalenden Feinheiten verschwinden; es bleiben fast nur die aufeinander folgenden Ereignisse. Die feingezeichneten Figuren werden mehr oder minder in die typischen Opernrollen verwandelt. Die meisten Situationen, welche bei Shakespeare sich aus den handelnden Charakteren erklären, mußten in Rührszenen verwandelt werden; nur solche Szenen des Originals wurden beibehalten, welche einen Effekt in sich bergen, manche dieser Art wurden dazu erfunden, nicht immer gerade glücklich. Wie brutal wirkt z. B. der Raub des Kindes direkt aus den Armen der Mutter; wie grausam schädigt das sentimentale Abschiedslied der Perdita den Schluß des sonst so lebendig hinfließenden zweiten Aktes. Im ganzen arbeitete Willner in seinem Libretto mehr das äußerlich Wirksame als das Poetische heraus, gibt dem Burlesken Raum und zielt hauptsächtlich auf dekorative Wirkungen ab. Und dafür gebührt ihm Lob, weil er der Eigenart des Komponisten damit entgegenkommt. – Goldmarks Stärke war immer mehr der äußere Glanz, als die innere Wärme; er holte seine Hauptwirkungen immer aus den großen dramatischen Akzenten, aus dem enormen Farbenreichtum seiner Musik. So ist auch in dem neuesten Werke das rein musikalische Element nicht das Stärkste. Die Themen an sich wirken weder durch ihre Erfindung und Entwicklung, noch durch ihre Verwendung so kräftig, wie durch die farbenprächtigen Gewänder, welche ihnen der Komponist zu geben weiß, fast möchte man sagen: durch die Umgebung. Und in dieser Richtung zeigt sich Goldmark noch erstaunlich frisch und braucht nicht die Achtung vor seinen weißen Haaren als Triebkraft für unsere begeisterte Anerkennung und Verehrung. Die einleitende Ouvertüre bringt einige Hauptthemen des Werkes, ohne sich mit einer kunstvolleren Verarbeitung derselben aufzuhalten. Im ersten Akte, der durch große Längen ermüdet, fesseln uns besonders eine breite Kantilene des Leontes »Ich grüße dich, mein holdes Weib«, ferner eine warm empfundene Arie des Polixenes »O Menschenglück, du gleichst der schwanken Blüte« und ein festlicher Einzugsmarsch. Das Wiegenliedchen der Hermione erklingt etwas gezwungen. Frisch und anmutig kommt uns Goldmark im zweiten Akte, der mit seinem ländlichen Kolorit auch der Musik günstigeren Boden bietet. Hier bricht auch die noch immer bestehende Vorliebe für die Formen der großen französischen Oper mit ihren geschlossenen Sologesängen, Duetten, Chören und Tänzen durch. Schon das einleitende Vorspiel atmet Leben und Frische. Das äußerst wohlklingende Strophenlied der Perdita mit Koloraturzierrat und Chorbegleitung schmeichelt sich ins Ohr und bietet der Sängerin eine dankbare Aufgabe. Das Liebesduett mit Florizel hat Schwung und Feuer. Sehr frisch klingt das Buffoliedchen des Valentin »Soll ich nicht schelten«, hochoriginell das bizarre Liedchen »Ach das ist ein heimlich Jucken« und ganz entzückend ist ein beinahe wienerischer Walzer, wohl nicht ganz stilgerecht, der aber alle Bedenken mit keckem Rhythmus fortreißt. Der dritte Akt bringt wieder ernste Stimmungen und besonders beim Erwachen der Hermione schöne, ergreifende Musik, leidet aber unter großen Längen. Der Gesamteindruck der »Wintermärchen«-Musik ist ein günstiger. Goldmark ist in seiner »Königin von Saba« kraftvoller und glänzender, im »Heimchen am Herd« frischer und anmutiger, aber noch heute ein Musikdramatiker mit sicherem Gefühl für die Bühnenwirkungen, erstaunlicher Kraft und fast jugendlichem Temperament.

Das neue Werk fand eine Darstellung, welche immerhin einen ansehnlichen Teil des Erfolges für sich in Anspruch nehmen kann. Kapellmeister Walter hat die Einstudierung mit größter Präzision besorgt, die erlesensten Stimmen des Ensembles standen den Hauptrollen zur Verfügung. Frl. v. Mildenburg gab der Hermione heroische Haltung und eindringliche Deklamation; die reinen Gesangsstellen flossen freilich nicht ganz mühelos. Frl. Kurz sang als Perdita besonders die für sie wohl noch eigens erschwerten Koloraturstellen ihres Liedes mit Chor entzückend schön und Fräulein Kittel war eine vortreffliche Pauline, Frau Kiurina ein reizender Genius. Die Rolle des Leontes wäre wohl geeigneter für eine tiefere Stimme komponiert worden, sie gehört zu den undankbaren Tenorpartien. Herr Slezak beschränkte sich darauf, durch stimmlichen Glanz zu wirken, was ihm bestens gelang. Herr Demuth war ein vornehmer Polixenes und sang besonders seine Arie hinreißend schön. Ungemein frisch und einnehmend gab Schrödter den Florizel. Er sang mit unbeschreiblichem Wohllaut. Herr Mayer, in der Bufforolle des Hirten Valentin, Herr Haydter als würdiger Camillo, sowie in kleineren Rollen die Herren Stehmann, Leuer, Felix, Marian und Preuß vervollständigten das gediegene Ensemble, welches der Novität zu einem glänzenden Siege verhalf. Es gab reichen Beifall und besonders nach dem zweiten Akte mußte sich Meister Goldmark mit und ohne den Sängern wohl ein dutzendmal dem jubelnden Publikum zeigen. Herr Direktor Weingartner, der mit unter den Beifallsspendern zu sehen war, kann mit der ersten Novität unter seiner Direktionstätigkeit sehr zufrieden sein. V. S
(Der Humorist vom 10. Jänner 1908)