Er träumte von einem neuen, gesunden Geschlecht

Feuilleton.
Hofoperntheater.

»Ein Wintermärchen«, Oper in drei Akten, frei nach Shakespeare, von A. M. Willner, Musik von Karl Goldmark.

»Wecke sie, Musik!« – Das Gebot Paulinas, der Gemahlin des Antigonus, in Shakespeares »Wintermärchen« wird vollzogen, die Musik erweckt das Standbild der Hermione zum Leben und die Königin steigt von ihrem Postament herab zu ihrer wiedererstandenen Tochter Perdita, in die Arme ihres reumütigen Gatten Leontes, des Herrschers von Sizilien. Derselbe Dichter, der an vielen Stellen seiner Dramen den leidenschaftlichen Musikliebhaber erkennen läßt, ruft in seinem sinnreichen und gedankenvollen Märchenstücke die romantische Schwesterkunst der Poesie direkt zur Hilfe herbei, als fühle er die Ohnmacht des gesprochenen Wortes, den vom Gedanken geschürzten Knoten der Verwicklung zu lösen. Dadurch spielt Shakespeare die Handlung des Dramas auf dem Höhepunkte der Entscheidung ins Symbolische hinüber und schafft sich mit einem Meisterstreiche alle weiteren Umstände vom Halse. Der Zuschauer mag noch so fest davon überzeugt sein, daß nicht ein übermalter Marmor, dessen Farben noch nicht trocken sind, sondern Sie lebendige Hermione selbst vor ihm steht, in dem Augenblicke, da eine sanfte Musik ertönt, welche die bildnisartige Figur von ihrer starren Gebundenheit erlöst, wird er zweifelhaft, und während er über das göttliche Wunder des Orpheus nachsinnt, vergißt er, nach den Vorbedingungen der Szene zu fragen, begnügt sich mit dem guten Willen Hermiones, die Miene macht, ihn aufzuklären, und ist Paulina dankbar, daß sie die Herrin unterbricht, mit den Worten: »Spart dies für andere Stunden, sonst würde alles eure Freude stören mit ähnlichem Bericht.« Der magische Bann der Illusion soll nicht durchbrochen werden.

Ohne Musik also gäbe es kein »Wintermärchen«. Was liegt näher als der verführerische Schluß, das »Wintermärchen« sei eine verkappte Oper schlechthin, und der Musiker, den Shakespeare zuletzt durch ein Hintertürchen einführt, brauche nur durch das Hauptportal zu kommen, um von dem Dichter sogleich mit offenen Armen empfangen zu werden? Noch jeder, der sich unterwand, ein Shakespearesches Theaterstück in Töne zu setzen, wird mit Schmerzen bemerkt haben, daß er Unmögliches wagte und daß der Erfolg seines Wagnisses in demselben Verhältnisse tiefer sank, je höher er sich zu dem Dichter zu erheben gedachte. Keine der nach Shakespeare geschaffenen Opern erreicht auch nur die äußere Theaterwirkung des Originals, von der Plastik seiner Szene und dem Geiste seines Dialogs nicht weiter zu reden. Und gerade die drei phantastischen Komödien »Sommernachtstraum«, »Sturm« und »Wintermärchen«, welche der Musik so weit entgegenkommen, daß sie Anlehen bei ihr machen, haben sich oft genug als die allerungeeignetsten Opernsujets erwiesen. Sie tragen ihre Musik fertig in sich, in ihrem dramatischen Leibe, mit dem sie geboren sind, und wenn sie, wie im »Wintermärchen«, die Harmonie der Töne als entscheidende, wundertätige Macht heranziehen, so beruht
der dadurch erreichte Effekt im Grunde doch nur auf dem Kontrast.

Damit soll aber durchaus nicht in Abrede gestellt werden, daß, wie in anderen Shakespeareschen Dramen, so auch im »Wintermärchen« musikalische Saatkörner enthalten sind, die ein findiger Librettist zum Keimen bringen, ein glücklicher Opernkomponist in fruchtschwere Halme treiben kann. A. M. Willner und Karl Goldmark dürfen als neue Beispiele dafür gelten. Der Textdichter des Goldmarkschen »Wintermärchen« hat sein Buch »frei nach Shakespeare [«], wir möchten lieber sagen: frei von Shakespeare, gemacht, indem er alles über Bord warf, was das leichte Schifflein der Oper allzu schwer befrachtet und belastet hätte. Er hat die drei ersten Akte Shakespeares auf einen einzigen zusammengezogen und durch diese zwar grausame, aber notwendige Gewaltmaßregel ihnen viel von ihrer tragischen Wucht genommen, welche im Original den ebenso oft wie ungerecht beklagten Zwiespalt zwischen Anfang und Ende zur Folge hatte. Bei Willner erscheint dieser erste Akt trotz seiner unvermeidlichen Länge nur wie das Vorspiel zum zweiten; dieser entpuppt sich, halb gegen den Willen des Komponisten, der seine hochdramatische Vergangenheit nicht verleugnen kann, als die eigentliche Oper, und zwar als eine komische; der dritte, weitaus kürzeste Akt nimmt den im ersten abgerissenen Faden wieder auf und stellt die hier am stärksten gefährdete Einheit des Ganzen wieder her. So führte seine Praxis den Librettisten von selbst auf einen Weg zurück, den er wahrscheinlich gar nicht betreten wollte, auf den Weg zur Quelle des Shakespeareschen Dramas. Wir haben Robert Greens »A pleasant history of Dorastus and Fawnia« von 1588 vor uns, die unterhaltende Geschichte von Dorast und Faunia (Florizel und Perdita). Aus dem alten Schäferroman, einem Vorläufer der bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts blühenden arkadischen Poesie, ist eine moderne Oper geworden, bei welcher Shakespeare zu Gevatter stand. Das leitende Motiv dieser vielbelächelten Dichtungsart, die heute noch, wenngleich unter veränderter Gestalt, in Dorfgeschichten und Bauernkomödien fortlebt, war, wie schon zur Zeit eines Virgil und Properz, die Sehnsucht des vom Gifte der verfeinerten, komplizierten und entarteten Kultur erkrankten Großstädters nach den einfachen, frischen und natürlichen Zuständen der noch unverdorbenen Landbewohner. Und dieses Motiv, das auf den gealterten Shakespeare einwirkte, wurde auch im Herzen Goldmarks lebendig, als er von der stillen Warte seines hoch über dem idyllischen Trauntale gelegenen Studios heiteren Blickes sein eigenes Leben übersah wie die vor ihm ausgebreitete reizende Landschaft. Er träumte von einem neuen, gesunden Geschlecht, dem die gütige Allmutter Natur ein glücklicheres Dasein verheißt, indem sie den Fluch der Geburt in Segen verwandelt. Das »Wintermärchen« mit seinem eigentümlichen Doppelwesen war dem Komponisten des »Merlin« und des »Heimchens am Herde« zwiefach willkommen. Ueber der »Ländlichen Hochzeit« des Prinzen Florizel und der Prinzessin Perdita hätte er beinahe die Eifersucht des Leontes und das Elend der Hermione vergessen, wenn er nicht von den Forderungen des dritten Aktes wieder an die alte Geschichte erinnert und gezwungen worden wäre, das Wunder der beseelten Statue zu tun. Perdita hat ihm die verlorene Jugend wiedergebracht, und er empfängt die Geliebte des ersten Aktes, die dort noch nicht so viele Falten hatte (wie es bei Shakespeare heißt), mit ritterlichem Anstande, ja, er möchte uns sogar glauben machen, daß er die Oper zu ihrem Preise, nicht zu dem Perditas geschrieben habe.

Das Vorspiel erweckt den irrigen Glauben, und der erste Akt bestärkt ihn. Eine breit ausladende, in gemessenen Akkorden langsam und feierlich auftretende Melodie von zweimal drei Takten steht an der Spitze des Werkes und prägt sich durch Wiederholung unserem Gedächtnisse ein. Mit erhobenem Finger weist sie prophetisch auf das Ende hin. Wir hören sie erst wieder vor dem Standbilde der Hermione, das hier – ein feiner Zug des Dichters und Komponisten! – nicht sowohl von dem musikalischen Zeremoniell, sondern vielmehr von den Bitten des Gatten ins Leben zurückgerufen wird. In der Oper mußte die Musik das Wunder des Schauspieles mit gesteigerten Mitteln tun, und sie vollbringt es, indem sie Leontes den Gesang Hermiones wiederholen heißt, mit welchem die fälschlich des Ehebruches bezichtigte Königin für ihre Unschuld einsteht: »Was sind die Jahre, die wir treu verbrachten.« Dadurch, daß Leontes sich die rührende Melodie seines Weibes aneignet, bekräftigt er seine durch schweres Leiden erkaufte Ueberzeugung: die Sprache des eigenen Herzens, dem reuigen Sünder in den Mund gelegt, erweicht den Marmor und wandelt ihn in Fleisch und Blut. Das Leitmotiv, zum Erkennungsliede ausgewachsen, behauptet seine symbolische Macht und krönt in mannigfacher Modifikation und Bereicherung den Schluß. Daß die entwicklungsfähige, organische Melodie schon in die Thematik des Vorspieles eingreift, versteht sich von selbst. Dem Zuhörer freilich, der nicht zugleich Leser der Partitur ist, bleibt ihre tiefere Bedeutung verschlossen, weil er sich der Melodie nach so vielen Zwischenfällen nicht mehr erinnert. Auch ist die Frage, ob er andere, im Vorspiel und weiterhin angeführte motivische thematische Elemente des Werkes wiederkennt, wenn sie ihm später begegnen, wie das halb trotzig-wuchtige, halb schmerzliche Leontes-Motiv der Verblendung, der schwungvolle, in die Sext, emporsteigende Gesang, welcher dem Duett der Liebenden, Florizel und Perdita, im zweiten Akt vorgreift, und anderes der Art. Die Verwandtschaft der Elternmelodien mit denen der Kinder nachzuweisen, überlassen wir klügeren Leuten und begnügen uns damit, die Tatsache festzustellen, daß das Vorspiel die neue Generation, jenes pathetische Duett ausgenommen, vollständig ignoriert.

Auf dieses und andere Fakta gestützt, die sich aus der Eigentümlichkeit des Stoffes ergeben, könnten wir Goldmark den Vorwurf kaum ersparen, daß er über der sorgfältigen Ausarbeitung des Details den Charakter des Ganzen vernachlässigt habe, wenn es ihm nicht trotz alledem gelungen wäre, die heterogenen Bestandteile des Gedichtes zu einer höheren Einheit des Stils zu verbinden. Wie Shakespeare selbst in den leidenschaftlichen Szenen des »Wintermärchens« den Tragiker beiseite schob und einen mitleidsvollen Humoristen an dessen Stelle rückte, so weicht auch Goldmark nicht allzu weit von dem gemütlichen Grundtone des Märchenerzählers ab, sondern versteht das schaurige Behagen festzuhalten, mit welchem wir die Schrecken einer phantastischen Winternacht von der Wohlgeborgenheit des warmen Zimmers aus genießen. Er dämpft das ihm angeborne Pathos zu philosophischem Ernst ab, seine tragischen Blitze ziehen als ungefährliches Wetterleuchten vorüber und kein feindseliger Schloßensturm verdirbt ihm die gute Laune. So oft das vom Vorspiel angekündigte Musikdrama Miene macht, sich in furchtbarer Majestät zu entfalten, gedenkt der Komponist seines freundlichen Versprechens und bleibt bei der Oper. Entschiedener als jemals zuvor bekennt sich Goldmark zu Kredo an die Berechtigung dieser historisch beglaubigten, lockeren Mischform, welche durch das Arioso des begleiteten Rezitativs zusammengehalten wird. Ohne die Gelegenheit, die den absoluten Musiker zu allerlei Konzessionen bereit findet, zu suchen, geht er ihr doch auch nicht aus dem Wege. Innig davon durchdrungen, daß Märsche und Tänze, Lieder und Chöre, Solo- und Ensemblestücke keine strafwürdigen Verbrechen wider den strengen Geist des gesungenen Dramas, sondern eine sehr willkommene Abwechselung des ermüdenden, weil in der Regel unverständlichen Dialogs sind, will er lieber stillos und frivol scheinen, als langweilig sein. Auch in den äußeren Akten des »Wintermärchens« kommen strophische Gesänge vor, die sich von Liedsätzen kaum unterscheiden, und sie sind so geschickt in den Gang der Handlung eingefügt, daß der Zuhörer sie kaum bemerkt. Wie sinnig die geschlossene kleine Form gebraucht und dramatisch verwertet werden kann, zeigt beispielsweise die Begegnung der beiden Gatten im ersten Akt. Nachdem der Chor huldigend die Anrede des Leontes wiederholt hat, erwidert Hermione dessen Gruß mit derselben Melodie – Volk und Herrscherpaar sind eines Sinnes. Manchmal geschieht es, daß aus dem freibewegten Dialog die ursprüngliche Liedform wie durch einen feinen Nebel hindurchschimmert, und es ist, als ob einzelne Szenen sich zu einer Art von Ballade aneinanderschließen wollten. Aufgelöste Lyrik und Epik umspielen die Gestalten der Oper wie liebkosende Wellen, und sie werden in der Hand des Dramatikers zu Krystallen, um gleich wieder von neuem flüchtig dahinzufließen. Als edle Perle bleibt das Wiegenlied Hermiones zurück. Auch der wohlige Schifferchor, der von der Höhe des Meeres zum Strande herüberschallt und die Flucht des davonsegelnden Polixenes begleitet, sei nicht vergessen! Beide bezeichnen die Ruhe vor dem mit dem Zorne des Leontes einbrechenden Sturme!

Was Goldmark im Vorspiele zum ersten Akt versäumte, holt er in einer dem zweiten Akt vorausgeschickten Orchestereinleitung nach. Hier empfangen wir die eigentliche Ouvertüre zu der komischen Oper, die im »Wintermärchen« eingekapselt ist, als süße Frucht der nicht gerade bitteren und rauhen, doch stellenweise ein wenig harten und zähen Schale. Eine mehrgliedrige Reihe von effektvollen Variationen über den Spottchor »Perdita, bist du allein?« schlägt die Regenbogenbrücke von Sizilien nach Böhmen, vom Tragischen zum Komischen, und ein kleines, in den Satz eingeschobenes Allegretto im Zweivierteltakt verrät das Ziel der luftigen Reise. Das fabelhafte Böhmen des »Wintermärchens« ist nicht einseitig, es kultiviert neben der Polka auch den Ländler und Wiener Walzer, seine Schafschur wetteifert mit dem Winzerfeste der »Jahreszeiten« an Ausgelassenheit, und Simons Weingut grenzt an die Ställe Valentins. Die Zeit, der Shakespearesche »Chorus«, erscheint in Gestalt eines weiblichen geflügelten Genius und deutet schon durch ihr Aeußeres an, daß sie keine böse Zeit ist. Sie spricht zu dem leisen Summen der Bässe ihr Gesetzlein, anstatt es zu singen, wahrscheinlich, um mit der ihr in den Mund gelegten captatio benevolentiae leichter Gehör zu finden. Wenn es »gar zu bunt« hergehen sollte, so meint die gute Zeit, möge der geehrte Zuschauer daran denken, daß er in ein Märchen hineinsieht. Die Warnung kommt zu spät, die Entschuldigung zu früh, sie wäre allenfalls am Ende des Aktes am Platze, wenn dieser nämlich nicht hinreichend für Unterhaltung gesorgt hätte. Unbesorgt, liebe Zeit. wir verlieren dich gern unter dem derben lustigen Völkchen, das sich in dem allerwestlichsten Böhmen, dort, wo es direkt ans Meer stößt, unter Spiel und Tanz umhertreibt! Man kann in Gmunden oder sonstwo keine hübscheren G’sangeln anstimmen, keine artigeren Schleifer tanzen.

Die kleine Perdita, die in anheimelnden oberösterreichischen Terzen und Sexten ihren Päan zum besten gibt, beweist durch die Rouladen und Triller ihrer Schlußkadenz, daß sie eine geborne Koloraturprinzessin ist, wogegen ihr geliebter Prinz Florizel, der sich gern der Vorrechte seiner fürstlichen Geburt entschlägt, sich immerhin dem Verdachte aussetzt, ein ehemaliger Operettentenor gewesen zu sein. Die Oper hat den Spitzbuben Antolykos zum Teufel gejagt und nur den bunten Kram des Hausierers zurückbehalten, und der fahrende Handelsmann bedient sein Publikum nicht nur mit Bändern, Nadeln und Knöpfen, sondern auch mit Liedern und Fugenthemen, die reißenden Absatz finden. Ob seine Ware immer neu ist und aus erster Hand kommt – wer fragt danach! Die Art, wie sie an den Mann gebracht wird, ist eine so liebenswürdige und dabei so selbständige, daß wir ihm den ganzen Kasten auskaufen und fast enttäuscht sind, wenn sich der Vorrat endlich erschöpft. Auch dem zarten Liebesduett des jungen Paares zürnen wir, weil es zu schnell vorübergeht. Die Zeit will uns einreden, wir seien um sechzehn Jahre älter geworden, und wir haben uns mit dem Komponisten um mindestens zwanzig Jahre verjüngt. Er selbst kehrt ungern und zögernd aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück: »Lebt wohl, ihr Wesen im duftigen Tal, lebt wohl, ihr Blumen am Rain, ich grüß’ euch alle zum letzten Mal, ade, du Schattenhain!« singt Perdita. Die Stimmung des Zuhörers würde dem nach dem Anfang zurücklenkenden Schlußakt gefährlich werden, wenn uns nicht die rührende Wiederbelebung Hermiones über Leid und Freude in die Region jener Kunst erhöbe, von der Shakespeare seinen Polyxenes sagen läßt: »Dies ist eine Kunst, die die Natur verbessert, nein, verändert; doch diese Kunst ist selbst Natur.«

Mit der Ausführung des Werkes hat dir Wiener Hofoper einen kleinen Teil ihrer unverjährtem Schuld an Goldmark abgetragen und sich dabei dem Meister aufs neue verpflichtet. Denn das »Wintermärchen« gewann gestern einen glänzenden Sieg, der die Erfolge der letzten Novitäten tief in Schatten stellte. Nach jedem Akt, besonders lebhaft nach dem von Geist und Laune sprühenden zweiten, wurde Goldmark vielemale hervorgerufen und mußte immer wieder mit den Mitwirkenden und endlich ohne sie für die ihm dargebrachten Ovationen danken. Aber auch bei offener Szene wurde lebhaft Beifall geklatscht. Den ersten Applaus erntete Herr Demuth (Polyxenes) für den ergreifenden Vortrag des die Hinfälligkeit des menschlichen Glückes besingenden Liedes »O Menschenglück« ein, Fräulein v. Mildenburg (Hermione) den zweiten für das innig bewegte »Eiapopeia«, den dritten Herr Slezak (Leontes) für die mit einen markerschütternden hohen B besiegelten Ausbrüche seines Gatten- und Vaterschmerzes. So ging es weiter. Im zweiten Akt wurde jede einzelne Nummer akklamiert, das überlustige Vorspiel, eine Bravourleistung des Dirigenten Herrn Walter und des Orchesters, und der von Frau Kiurina gut pointiert gesprochene Prolog der Zeit voran. Dann kamen an die Reihe Fräulein Kurz, eine Perdita, die kaum zu übertreffen ist, Herr Mayr, der behaglichste Valentin, Herr Schrödter, der den Prinzen im Naturburschen aufgehen ließ, und Herr Felix, ein sehr drolliger Hausierer. Wir haben die Künstler der Ordnung ihres Auftretens nach genannt und wollen Fräulein Kittel, Herrn Haydter und Herrn Stehmann, die weniger dankbare Partien haben, nicht vergessen. Sollten wir sie dem Range ihrer Bedeutung nach nennen, so würden uns Fräulein Kurz und Fräulein v. Mildenburg in Verlegenheit setzen, die Herren aber uns die Wahl um so schwerer machen, als die beiden ersten Tenoristen einstweilen noch hinter ihren Aufgaben zurückblieben. Die drei größten Künstler waren unstreitig Orchester, Chor und Ballett. Max Kalbeck.
(Neues Wiener Tagblatt vom 3. Januar 1908)