… auf ausgetretenen Bahnen

Ebenso wie es unter den Poeten für wohlanständig gilt, eine italienische Reise zu machen und zu schreiben, gehört es bei den Artisten im Reiche der Töne zum guten Ton, italienische Eindrücke aus der Erinnerung symphonisch wiederzuspiegeln. Karl Goldmark konnte der süßen Lockung nicht widerstehen, mit seiner Kunsttätigkeit auch in das südliche Land der Schönheit einzuziehen. Er nimmt seinen Weg auf ausgetretenen Bahnen. Es sind ja schon so viel Leute dahinunter gezogen, Maler, Dichter und Musiker; in die Fußstapfen letzterer tritt Goldmark mit großer Gewissenhaftigkeit. Was sollte einem auch in so vielbereisten Lande Neues unterkommen ? Der bunt durcheinander jauchzende Straßenlärm, das schwärmerisch verzückte Liebesidyll, wie es im quelldurchrauschten Haine anzutreffen ist, hat man seit je für Italien charakteristisch gefunden, und Goldmark fand es auch. Die Mittel, mit welchen ausgerüstet er sich auf die Reise macht, um das gelobte Land seinem Künstlerherzen zu erschließen, sind die denkbar besten. Sein Sinn für bezeichnende Melodien, seine Gewandtheit in abwechslungsreichen Modulationen, ein tiefes rhythmisches Gefühl, vor allem das ausgesuchteste Raffinement in der Instrumentation, haben seine Arbeit und deren Erfolg glanzvoll gestaltet.

(Das Vaterland vom 31.1.1904)