… ein in deutscher Schule erstarkter Komponist
Theater, Kunst und Literatur.
Philharmonisches Konzert.
Felix Mottl als Leiter der Philharmoniker hat das Bürgerrecht erworben. Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit es diesem Meisterdirigenten gelang, zwischen sich, den Philharmonikern und dem Wiener Publikum jenen innigen Kontakt herzustellen, der nur möglich ist, wenn man sich gegenseitig versteht und lieb hat. Mottls urgesunde musikalische Natur, seine ehrliche Freude an ehrlichem Musizieren, sein überaus konziliantes, warmblütiges, von unverfälschtem Wienertum erfülltes Wesen haben ihm fast unmerklich die Sympathien von allen Seiten zugeführt, die er nun mit der ganzen Gefühlswärme, die ihm zu eigen ist, festhält. Wie innig wir mit ihm verwachsen sind, das beweisen die wahrhaft herzlichen Ovationen, die ihm nach jedem philharmonischen Konzert dargebracht werden. Mit besonderer Genugtuung empfindet man, daß seine Künstlerseele nach allen Richtungen hin gleichmäßig schwingt. Ohne sich das Geringste zu vergeben, trachtet er, dem Geschmacke des Publikums entgegenzukommen, nicht etwa auf den Erfolg lossteuernd, der leicht und mühelos zu gewinnen ist, sondern in der anerkennenswerten Absicht, heute dem einen, morgen dem anderen zu dienen. Die Selbstlosigkeit, mit der Mottl zu Werke geht, äußert sich in der Zusammenstellung seiner Programme. Ihm ist es nicht um die Betonung eines Justamentstandpunktes zu tun, er führt alles auf, was sich als gut und zweckdienlich erweist, aus welchem Lager es auch kommen mag. Damit hat er aber auch einen Grad von Vielseitigkeit gezeigt, der das größte Staunen erregt. Und daß er sich allem in gleicher Liebe zuwendet, spricht für die vornehme Gesinnung, die seit jeher seine vielgerühmte Künstlerschaft auszeichnete. Die Anhänglichkeit an seine alten Götter Berlioz, Wagner, Liszt und Bach, Mozart und Beethoven hat ihn nicht blind gemacht. Brahms und Bruckner finden in ihm einen ebenso sorgfältigen Interpreten. wie die vorgenannten Meister. Und daß er auch die moderne Produktion nach Kräften fördert, dokumentiert die Berücksichtigung der Tagesliteratur, der er allerdings nicht wahllos, mit dem Fanatismus der Neuzeitlichen, ergeben ist. Der einstige Stürmer und Neuerer Mottl ist, an den Gebilden der jetzt schaffenden Tonkünstler gemessen, ein zahmer, konservativer Herr, der sich die Ohren zuhält, um nicht in dem Lärm unterzugehen, der jetzt allenthalben geschlagen wird. Aber der scheinbar konservative Mottl ist doch viel moderner als die Modernen denken. Er hat sich nämlich glücklich bei jenen schöpferischen Geistern verankert, die wirklich etwas zu sagen haben, deren Musik dazu da ist, den Verstand und das Herz zu erfreuen, und nicht, um philosophische Probleme zu lösen. In diesem Sinne hat sich auch Mottl gewandelt. Er greift nach jedem Werk, von dem er glaubt, daß es musikalische Wirkung übt, ohne darauf zu achten, ob der Komponist statutarisch oder auch nach ungeschriebenen Vereinsgesetzen geeicht ist. Darin allein liegt die wahre Modernität eines Dirigenten. Das gestrige Progranm bildet einen Schulfall dieser Auffassung. Am Anfang ein beglückender Haydn (Militär-Symphonie), am Schlusse Berlioz (Symphonie fantastique), und in der Mitte ein lebender Tondichter, der auch ein Moderner ist, obwohl fünfundsiebzig Jahre seine Schultern drücken. Karl Goldmark, in der langen Aera Hans Richters immer nach Gebühr berücksichtigt, dann eine Weile an die Wand gedrückt, darf nun wieder hoffen. Im vorigen Jahre brachten die Philharmoniker seine seither überall aufgeführte italienische Ouvertüre als Neuheit und gestern vermittelte uns Mottl eine vor zwei Jahren entstandene Novität des wohl bejahrten, aber immer noch von feurigem Schaffensdrange beseelten Wiener Meisters, der angesichts der unwürdigen Behandlung, die ihm eine zeitlang zuteil geworden war, zu verzweifeln drohte, sich aber nun wieder »zu neuen Taten« aufschwingt. Man kann sagen, daß das symphonische Tonstück »Zrinyi«, das Goldmark gelegentlich des fünfzigjährigen Jubiläums der Budapester Philharmoniker komponiert und am 4. Mai 1903 in der ungarischen Hauptstadt zum ersten Mal aufgeführt hat, einen höheren Maßstab verträgt, als jenen, den man an eine Gelegenheitskomposition anzulegen gewohnt ist. Die Ueberschrift bedeutet nicht viel. Sie will wahrscheinlich nur andeuten und nicht ein ganzes Programm entwickeln. Einige magyarisch gefärbte Themata vermögen uns nicht darüber hinwegzutäuschen, daß Goldmark ein in deutscher Schule erstarkter Komponist ist. Das Stück hat die Form einer Ouverture trotz des sehr breiten Mittelsatzes, den aber Goldmark in allen seinen Ouvertüren anwendet. Die Thematik weist, wie gesagt, vorwiegend nationalen Charakter auf, ist aber selbständig erfunden, nicht etwa an Volkslieder sich anlehnend. Ungeachtet der Prägnanz dieser Themen dünkt uns doch gerade derjenige Teil der Komposition als der wertvollste, der des ungarischen Kolorits entbehrt, nämlich der weiche Gesang der Streicher in As-moll. Das ursprünglich zu knapp geratene Allegro hatte Goldmark nach der Budapester Uraufführung in der richtigen Proportion zum Andante erweitert und damit das Richtige getroffen. Ich habe das Stück gestern nicht wiedererkannt. Fast eindruckslos unter des Komponisten eigener Leitung, entfaltete es sich unter Mottls Zauberstab wie eine allmählich aufgehende zarte Knospe, die, einmal erschlossen, nun in voller Schönheit prangt. Von den stürmischen, langanhaltenden Ovationen, die dem anwesenden Komponisten zuteil wurden, gebührt ein tüchtig Ausmaß Mottl und dem Orchester. Die Ausführung der Symphonie fantastique hatte einen geradezu triumphalen Charakter. Es war die herrlichste seit langer Zeit.