Die Aufführung zeugte von Liebe und Eifer

Karl Goldmark feierte in der Wiener Hofoper seinen achtzigsten Geburtstag mit der Erstaufführung seines neuen Werkes »Götz von Berlichingen«. Zehn Jahre sind seit der Vollendung des Werkes verflossen. Die Direktion feierte den Jubeltag Karl Goldmarks, indem sie der Oper, welcher die Wiener Hofbühne bisher derschlossen geblieben war, eine festliche Aufnahme bereitete. In der Jubelstimmung soll man die rauhe Tatsache, daß Goethes »Götz« von Herrn Willner in ein Libretto verwandelt wurdc, nicht allzu übel empfinden. Man wird auch keine Studien zur vergleichenden Literaturkunde betreiben und gern bereit sein, Goethes dramatisches Gedicht im Angesicht des Textbuches gänzlich zu vergessen. Die Art Willners, der »frei nach Goethe« verfuhr, wird am besten aus den Zeilen kenntlich, die Adelheid und Franz in einem Duett verbinden:

»Dann gute Nacht, ihr reizend holden Stunden,
Die wir so traut verschwieg’ner Lieb’ geweiht.
Wo wir uns Mund an Mund so süß gefunden,
Dann gute Nacht, du höchste Seligkeit!«

Man tut also gut, auch von dem Libretto, dem die ärgsten Operettenmanieren anhaften, abzusehen. Bleibt die Musik Karl Goldmarks, mit der man sich frohen Sinnes beschäftigt. Der Tondichter suchte den Geist des Mittelalters glücklich in der strengen Form des Tonsatzes zu fassen. Gleich der tapfere Georg erhält ein handfestes Kernmotiv, das im Charakter der alten Kunst erfunden ist; den verknöcherten Ratsherren, die über Götz zu Gericht sitzen, wird mit ironisch fugierten Stimmen gedient; die Pagen am Hofe des Bischofs von Bamberg tragen ihre Geheimnisse, wie begreiflich, in kanonischen Einsätzen vor; wie Georg unter sie tritt, regt sich so recht wieder die kontrapunktliche Kunst. Götz in der Waldlichtung inmitten seiner Getreuen wird durch den Anlauf einer vierstimmigen Fuge angekündigt, und Fugführungen kräftiger Motive bezeichnen das drangvolle Getümmel der revolutionären Bauern. Die Femrichter hüllen sich vollends in den strengen Stil. … Aus dem Flusse kunstreich bewegter Stimmen heben sich gewaltige Szenen, wie das Gericht der Feme und der Tod der Adelheid, schwungvolle Liebegesänge, der ergreifende Monolog des Götz, da er die Nachricht von dem Verrate Weislingens empfängt, und der lyrische Ausklang dieser schmerzlichen Regung. Die Aufführung unter Felix von Weingartners Leitung zeugte von Liebe und Eifer.
(Salzburger Chronik vom 21. Mai 1910)