… mehr als eine Schwäche

Feuilleton.
Götz von Berlichingen als Oper.

Meister Goldmark unseren schuldigen Respekt. Doch einem Künstler gebührt vor allem die Ehrerbietung der Wahrhaftigkeit; wer es an dieser fehlen läßt, kann dem Künstler nicht genugtun. Die Feier des achtzigsten Geburtstages ist mit einer Aufführung des »Götz von Berlichingen« verknüpft worden. Die Schöpfung eines Künstlers ist wichtiger als alle Festlichkeit und so muß auch dieser »Götz« losgelöst von allen Geburtstagsstimmungen betrachtet werden.

Schon Goethe hat in der späten Weimarer Theaterbearbeitung seinen »Götz« ein wenig veropert. Der Erfolg war ein sehr geringer. Schlechte Theatersitten haben manches aus dieser Bearbeitung bis auf unsere Tage erhalten. Es darf nicht übersehen werden, daß Dingelstedt, einer der einflußreichsten Dramaturgen und Regisseure deutscher Bühnen, durch seinen Hang zu opernhafter Theatralik. die ja schließlich dem Geschmack seiner Zeit entsprach, viel dazu beigetragen hat, daß wir von dieser bequemen, weil nun schon einmal erfundenen Lösung der Bühnenprobleme eines Shakespeare und Goethe nur schwer wegkommen. Es wäre interessant, zu untersuchen, ob die Befreiung von diesem Opernstil nicht gerade von der Opernbühne selber ihren Ausgang genommen hat. Wir haben am frühesten durch die Musik gelernt, das innere Wesen eines Kunstwerkes als das Höchste und Ausschlaggebende bei der Wiedergabe anzusehen. Im Herzen des deutschen Volkes lebt der »Götz« der ersten Bearbeitung. Dagegen kam selbst das Theaterexperiment eines Goethe nicht auf. So wie die Musik, die in den Worten eines Dichters liegt, etwas anderes ist als die Musik, die von einem Komponisten zu diesen Worten oder aus Anlaß dieser Worte geschrieben werden kann, so verschieden ist auch das Opernhafte einer dramatischen Dichtung von einem Operntext aus dieser Dichtung. Es gehört ein erstaunlich Maß von Ungeniertheit dazu, aus »Götz von Berlichingen« einen Operntext zu machen, wie es Herr Willner getan hat. Auch ein geschmackvollerer Mann wäre daran gescheitert. Herr Willner aber dichtet mit Goethe geradeso, als wenn er Herrn Bodanzky zum Dichterkompagnon genommen hätte. Ein Beispiel für viele. Da Adelheid den schwachen Weislingen zum Bleiben am bischöflichen Hof und zum Verrat an Götzen und Marien bewegen will, läßt sie alle Künste spielen. Der Verlockung gesellt sie Spott. Weislingen sagt: »Ihr seid bitter!« Das sagt er bei Goethe und auch bei Herrn Willner. Bei diesem aber muß überdies Adelheid erwidern: »Das ist die Quintessenz der Ritter!« Man nennt das dann Verse. Ist nicht das alte Couplet: »Für einen alten Ritter ist es bitter, wenn seine Schwiegermütter mit der Zither an dem Gitter« und so fort nicht viel schöner? Es bemüht wenigstens den Namen Goethe nicht und hat ebenso schöne Reime wie der Operntext. Es fällt uns Deutschen schwer genug, eine Oper wie »Margarete« trotz der Vorzüge der Gounodschen Musik zu genießen, weil wir die Verballhornung des »Faust« zu einem Operntext kaum ertragen. Doch was ist die berühmte Cavatine des französischen »Faust«:

Lasse mich, lasse mich,
Laß mich in die Augen schauen

gegen diesen angeblich deutschen Operntext, der an »Götz von Berlichingen« sich vergreift? Der Franzose nennt übrigens seine Oper mit anerkennenswerter Scheu »Margarete«. Diesem Götz indessen würde es nichts helfen, wenn er für die Oper »Adelheid« hieße. Auch diese weibliche Figur ist ins Läppische, Alberne gezogen. Sie ist im Operntext zu einem schwächlichen Abklatsch der »Königin von Saba« geworden. Aber wenn Herr Willner auch die Nachfolge der Firma Mosenthal übernommen hat, so gibt ihm niemand das Recht, überdies den Namen Goethe für die Firmazeichnung zu benützen.

Diesen Text hat ein Goldmark zur Grundlage seiner Musik erkoren! Darum ist auch sein Werk diesmal mehr als eine Schwäche, es ist eine Verirrung. Daß den Feuergeist Goldmark der revolutionäre Freiheitsdrang eines Götz reizen mochte, läßt sich verstehen, ebenso daß ihn die Dämonik einer Adelheid packte. Seine Sehnsucht, dem Ganzen deutscher Kunst auch die seine zu verbinden, ist fast immer von den Texten, die er wählte, mißleitet worden, und vielleicht niemals so sehr wie hier. Das hat die Musik bitter genug zu büßen. Das spätere »Wintermärchen« ist viel frischer, erfreulicher. Daß Goldmark auch in schwachen Stunden niemals ganz seine Künstlerschaft verleugnen kann, versteht sich am Rande und muß nicht jedesmal ausdrücklich betont werden. Das Schönste an seinem »Götz« sind die wenigen Stellen, wo er an Goethe und nicht an den Bearbeiter denkt. Die Sterbeszene des Helden entlockt der Musik die reinsten, zum Herzen gehenden Klänge. Hier tönt die milde Weisheit einer durch ein langes Leben innerer Erfahrungen geläuterten Künstlerseele. Das ist’s ja auch, was uns die Musik geben müßte, den symbolischen Inhalt, die sittliche Idee der Dichtung, zu der die Musik geschrieben wurde. Der »Entfesselte Prometheus«, diese herrliche symphonische Dichtung Goldmarks, die die Vermittlung eines Opernlibrettos verschmäht, besteht neben dem erhabenen Werke des Aeschylos. Die Musik zu »Götz« darf neben Goethes Dichtung nicht genannt werden, und da sie an den Theatervorgang gebunden ist, kann sie schon aus diesem Grunde nicht für sich allein bestehen.

Auf deutschen Bühnen kann die Oper. die nun schon fast zehn Jahre alt ist, nicht heimisch werden, noch weniger im Herzen, im Bewußtsein deutscher Hörer. Es war kein glücklicher Gedanke, just mit der Aufführung dieses Werkes Goldmark ehren zu wollen. So rüstig auch Goldmark noch immer schafft, so viel des Schönen er uns noch bescheren mag, neue Entwicklungen scheinen wohl nicht mehr möglich. Seine Lebensarbeit liegt ausgerollt vor uns und die Summe daraus ließe sich jetzt schon ziehen. An seinem Geburtstag hätte es gegolten, sein ruhmreichstes Werk, das ihm allein schon einen Platz in der Geschichte der Oper sichert, die »Königin von Saba«, in mustergiltiger Besetzung aufzuführen oder aber, was vielleicht noch schöner und rühmenswerter gewesen wäre, ein Werk zu wählen, das Goldmark auf dem Wege zum deutschen Musiker – der er doch geworden ist, ohne es schon von vornherein zu sein – an einem schönen Beispiel gezeigt hätte, etwa »Merlin«. Die Intimen der Direktionskanzlei wissen zu erzählen, daß neue Dekorationen zu »Merlin« nicht rechtzeitig hätten fertig werden können. Nun, die Szenenbilder dieses »Götz« waren armselig genug, und wir ziehen einen dürftig zusammengestellten »Merlin« auch einem schön ausgestatteten »Götz« vor. Die Inszenierung des »Götz« war keineswegs vom Glauben an einen Erfolg erfüllt. Es wäre auch zu verwundern, wenn ein so feingebildeter Künstler wie Weingartner nicht gefühlt hätte, wie undeutsch dieser »Götz« ist, und daß es Goldmark nicht ehren heißt, wenn der achtzigste Geburtstag, der einen Rückblick auf ein Leben eröffnet, mit der Aufführung eines schwachen und deutsches Empfinden durch den Text so beleidigenden Werkes begangen wird. Einem Achtzigjährigen wird man billig eine Freude gönnen. Doch der achtzigjährige Goldmark ist auch als greiser Künstler vor allem ein Künstler. Die Feier eines Künstlers hätte andere Aufgaben zu erfüllen, als Sentimentalitäten dritter Personen zu befriedigen. D.B.
(Arbeiter Zeitung vom 21. Mai 1910)