… ausschließlich das Verdienst des Tondichters

Theater, Kunst und Musik.
Wien, 19. Mai 1910.

K. k. Hofoperntheater.
»Götz von Berlichingen«
, Oper in fünf Akten (9 Bildern) von
Karl Goldmark. Text (frei nach Goethe) von A. M. Willner.
— Im k. k. Hofoperntheater zum erstenmal ausgeführt am 18. Mai 1910.

Karl Goldmark hat bekanntlich gestern seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert und die Wiener Hofoper ehrte den seltenen Gedenktag des verdienstvollen Komponisten damit, daß sie seine fünfaktige Oper »Götz von Berlichingen« als Novität zur Aufführung brachte. Sie kam etwas spät heraus, denn Goldmark hat dieses Werk bereits vor acht Jahren vollendet und es ist alsbald in Budapest, später in Frankfurt a. M. und auch an einigen anderen deutschen Opernbühnen in Szene gegangen. Direktor Mahler hatte zwar Goldmarks »Götz« auch akzeptiert, doch konnte er sich nicht entschließen, diese Oper auf die Bühne zu bringen, vielleicht, weil ihm die textliche Bearbeitung des allgemein bekannten Stoffes keinen Erfolg verbürgte.

Wenn Mahler dieses Bedenken gehabt haben sollte, so können wir ihm nicht unrecht geben. Goethes »Götz« ist überhaupt kein Bühnenstück und enthält nur eine lange Reihe von Einzelnbildern, die mit- und zueinander nur im losen Zusammenhang stehen. Die Handlung zerfällt zudem in zwei Teile, von welchen der eine mit Götz als Mittelpunkt bloß geringes Interesse einzuflößen vermag. Der strei[t]bare Ritter Götz von Berlichingen ist ein Held für das Epos, nicht für das Drama, das starke Leidenschaften und voll ausgeprägte Charaktere verlangt. Wir folgen den Taten des Ritters mit der eisernen Hand eine Weile gerne; aber immer kann auf der Bühne nicht gefochten werden und so erregen denn nur Götzens mannhaftes Auftreten vor dem Rat von Heilbronn und sein Tod unsere volle Teilnahme.

Goethe hat dies wohl gewußt und hat deshalb die dämonisch-reizvolle Figur der hochstrebenden, buhlerischen Adelheid von Walldorf mit ihren Verführungskünsten, denen der Ritter Adalbert von Weislingen und sein Knappe Franz zum Oper fallen, in die formschwache Handlung eingeschoben und damit wirklich Szenen von starker Bühnenwirksamkeit geschaffen, über deren Eindruck aber das Interesse an dem eigentlichen Titelhelden fast verloren geht. Aus Goethes »Götz« das Adelheid-Thema herauszuschälen und es zu einem eigenen farbensatten Drama auszugestalten, wäre eine dankbare Aufgabe für einen Schauspieldichter, nicht minder aber auch ein trefflicher Vorwurf für einen Opernkomponisten. Wir Deutsche zählen freilich den braven Götz zu unseren nationalen Lieblingen und freuen uns daher der Goetheschen Dichtung trotz ihrer fühlbaren Schwächen. Und wenn vollends der treufeste Ritter eine so prächtige Verkörperung auf der Bühne findet, wie sie unser [Bernhard] Baumeister durch mehrere Jahrzehnte hindurch im Burgtheater geboten hat, so schwinden alle Bedenken. Da war es aber der Schauspieler, der mit seiner besonderen, in hohem Grad anregenden Individualität über jeglichen Einwand siegte.

Für den Sänger liegt jedoch die Partie ganz anders. Ihm kann auch die Musik nicht geben, was schon die Dichtung versagte, und viel intensiver als in Goethes »Götz von Berlichingen« tritt in der für die Vertonung durch Goldmark von Willner besorgten freien Bearbeitung das Zwiespältige in der Handlung hervor. Adelheid von Walldorf mit ihren Ränken, ihrem intriganten aber fesselnden Liebesspiel wird zur Heldin der Oper und ihre Ermordung durch den Vehmrichter bezeichnet den Höhepunkt des Goldmark-Willnerschen Götz. Nach dieser grausen, die Nerven anregenden Szene kann der unmittelbar darauf folgende Tod des Ritters mit der eisernen Hand keinen tieferen Eindruck mehr erzielen und es ist ausschließlich das Verdienst des Tondichters, wenn die Schlußszene noch glimpflich über diese gefährliche Klippe hinwegkam.

Goldmark hat überhaupt die vielfachen Schwächen des ihm vorgeleg[t]en Textes wohl erkannt und sich bemüht, sie musikalisch möglichst zu verhüllen. Seine Musik zu »Götz« zeigt eine erstaunliche Frische des Geistes und nicht selten auch der Empfindung. Niemand würde dieses Werk als das eines Komponisten ansprechen, der bereits in das Patriarchenalter eingetreten ist. Dabei hat es Goldmark verstanden, auch im »Götz« seine eigene Note anzuschlagen: die klangfreudige, pastose Musik, die eindringlichen ja mächtigen Chöre, die kunstvolle und meisterhafte Orchestrierung. Seine Götz-Szenen stehen gleichwohl weit hinter seiner »Königin von Saba« und selbst einer seiner späteren Arbeit, dem »Wintermärchen«, zurück, aber sie bieten uns doch immer Musik in schöner edler Form und beweisen, daß die schöpferische Kraft Goldmarks noch lange nicht versiegt ist. Sein liebenswürdiger Humor leuchtet in dem schelmischen Lied Georgs und in dem anmutigen Pagenchor in unverminde[r]ter Frische. Ergreifend klingt Götzens Klage über den Verrat Weislingens, poetisch und stimmungsvoll ist die Sterbeszene des Ritters musikalisch illustriert und sinnliche Glut lodert in den Liebesszenen zwischen Adelheid und Franz. Goldmarks »Götz« wird vielleicht keinen dauernden Platz im Repertoire unserer Hofoper behaupten können; doch war es Ehrenpflicht, ihn endlich zur Aufführung zu bringen.

Die Darstellung des Werkes war in den Hauptrollen mit einer einzigen Ausnahme eine sehr befriedigende. Herr Weidemann war ein Götz von stattlicher Erscheinung und warmer Empfindung. Nur liegt ihm die Partie gesanglich vielfach zu hoch. Frau Weidt sah als Adelheid sehr schön aus und wurde auch schauspielerisch der schwierigen Rolle gerecht. Mit gleichem Lob ist Herr Leuer als Franz zu nennen und Frau Kiurina brachte den lieben Knappen Georg zu ausgezeichneter Wirkung. Nur Herr Brand ist für den Weislingen noch zu unreif. Da er aber als Nothelfer für den erkrankten Herrn Schwarz in die Schranken trat, so verdient er hiefür Anerkennung. Die kleineren Rollen waren bei den Damen Kittel und Windhäuser und den Herren Mayr, Haydter und Betetto bestens aufgehoben. Vollkommen auf ihrer stolzen Höhe standen Chor und Orchester und Direktor Weingartner bewährte sich wieder als Meisterdirigent. Das Publikum war in Festesstimmung und rief den greisen Komponisten nach jedem Aktschluß im Verein mit den Hauptdarstellern unzähligemal vor die Rampe. Der Vorstellung, die erst nach 11 Uhr nachts zu Ende ging, wohnten auch die Erzherzoge Rainer, Franz Salvator und Peter Ferdinand bei. Als schließlich Goldmark das Haus verließ, wurden ihm noch beim Ausgang von zahlreichen Enthusiasten Ovationen zuteil. Alpha.
(Neuigkeits-Welt-Blatt vom 20. Mai 1910)