Ritter Götz mit der blechernen Hand

Theater und Literatur.
Goldmarks »Götz« in der Wiener Hofoper.

Von Richard Batka.
Wien, l8. Mai. (Tel.-Ber.)

Man an hat die Aufführung von Goldmarks »Götz« in der Hofoper zunächst als gute Gelegenheit benutzt, um Gustav Mahler einen moralischen Rippenstoß zu versetzen. Wohlgemerkt: vor der Premiere. Die Geschichte vom bösen Mahler, vom undankbaren Mahler, der eine Oper von Goldmark ablehnte, trotzdem er ein Jahrzehnt vorher den Meister als Referenz angegeben hatte, war Manchen augenscheinlich sehr willkommen. Und Niemand fragte sich, wie Mahler etwa dastünde, wenn man ihm bewiese, daß er eine Oper angenommen, bloß weil der Komponist zu ihm einmal im Verhältnis eines Patrons gestanden. Bitte, ich gebe Mahler nicht ganz recht. Eine Oper von Goldmark nimmt man als Wiener Hofoperndirektor einfach unbesehen an. Es mag Mahler wahrlich nicht leicht geworden sein und es gehörte mehr Ueberzeugungstreue dazu, gerade einem Goldmark Nein zu sagen und den Sturm der öffentlichen Meinung wider sich aufzuwiegeln, als sie mit der übertünchten Höflichkeit des Bühnendiplomaten pünktlich zum Jubiläum zu erledigen. Jedenfalls legt der Fall »Götz«, aus dem [man?] Mahler einen Strick drehen wollte, glänzendes Zeugnis ab für die künstlerische Gewissenhaftigkeit des alten Regimes, das sich durch keine persönlichen Beziehungen von den als richtig erkannten Zielen abdrängen ließ, das seine Verehrung für Goldmark lieber durch eine wahrhaft blendende Neuausgestaltung der »Königin von Saba« betätigen zu sollen glaubte, als durch einen Premierenrummel mit dem »Götz«. Jetzt, nachdem Weingartner das Versäumnis seines Vorgängers nachgeholt hat, fragen wir uns, ob Mahler nicht doch das bessere Teil wählte, indem er statt einer jedenfalls nur kurzlebigen Novität dem Repertoire ein dauerndes Schmuckstück schenkte. Trotz alledem möchte man Mahlers Verhalten nicht billigen. Der Herzenswunsch eines solchen Jubilars sollte für einen Wiener Theaterdirektor eben Befehl sein.

Das ändert freilich an der leidigen Tatsache nichts, daß der »Götz« kein lebensfähiges Werk ist. Kein Zweifel, Goldmark war vom Stoffe noch von seinen Jugendtagen her ehrlich begeistert. Aber ebenso wahr, daß er auf seiner Palette nicht eine von den Farben hat, welche dieses altdeutsche Ritterstück erfordert. Ja man darf, bis uns ein Genie vom Gegenteil überzeugt, sogar sagen, daß sich nichts weniger für eine opernmäßige Umgestaltung eignet, wie dieses Goethische Stück, dessen größter Reiz nicht so sehr in der psychologischen Führung und dramatischen Spannung der Geschehnisse liegt als in der vollendeten Natürlichkeit und Volkstümlichkeit der Sprache. Aber gerade dieser Vorzug geht unter den Händen des Librettisten begreiflicherweise verloren. Ein Götz, der breitspurig über die Bühne schreitet und prahlerisch dahersingt:

Gott ist mit mir, wo ich auch sei.
Mein Herz ist rein, mein Sinn ist frei.
Vertraue auf mein gutes Recht
Allzeit des Kaisers treuer Knecht –

ist das überhaupt noch ein Götz? Das deutsche Sprichwort vom Eigenlob, das übel duftet, fällt einem dabei ein. Der Librettist Willner hat sich mit Geschick bemüht, so viel als möglich von den Originalszenen in die Oper zu retten. Er braucht neun Bilder. Und in diesen drängen sich die Geschehnisse derart, daß der einzelnen Szene jede Entfaltungsmöglichkeit genommen ist. Alle Nebenpersonen, die bei Goethe geradezu leben, wirken darum in der Oper, wo sie als mehr oder minder stumme Personen auftreten, statistenhaft, fast lächerlich. Ans Gemüt greift uns in dieser Zurichtung nicht ein Moment. Der Tod des braven Reiterknaben Georg geht spurlos vorüber und einzig sind es die Szenen des Franz und der Adelheid, die durch die Veroperung nichts verloren haben und dem etwas zeitraubenden Werke einigermaßen das Gesicht wahren. Sogar Willnersche Zutaten hat sich das Stück gefallen lassen müssen. Am Hofe zu Bamberg erscheint ein komischer Haushofmeister mit einer Schar von Lehrbuben, Pardon von Pagen, die er in höfischen Attitüden unterweist. Es ist eine pantomimische Operettenszene, die aber besser zu Suppé paßt als zu Goethe und Goldmark.

Auf dieser Grundlage ein lebensfähiges Werk schaffen zu wollen, war von vornherein ein aussichtsloses Unternehmen. Auch Meister Goldmark hat kein Wunder verrichten können. Seine Muse mußte mit schärferen Mitteln gereizt, seine Eigenart durch ein ihr besser im Griff liegendes Milieu stärker herausgefordert werden. Das Beste, was sich von der Musik sagen läßt, ist, daß sie den Stempel der Goldmarkschen Individualität trägt. Das sind seine Rhythmen, seine melodischen Wendungen, seine Harmonien, seine Triolen-Leidenschaftlichkeit, seine hellen Orchesterfarben. Nur im siebenten Bilde, wo die Richter der heiligen Fehme ihr Hokuspokus beginnen, leiht sich der Meister den Pinsel Richard Wagners und taucht ihn tief in den Farbentopf des Nibelungenrings. Die ersten Szenen fließen ziemlich gleichgiltig dahin, in der bekannten Manier, die sich der letzte Goldmark für sein dramatisches Schaffen zurechtgelegt hat und das die geschlossene Form des alten Stils fast unkenntlich zwischen Rezitation und Ariosie [!] einbettet. Lieder und Ensembles tauchen wie Inseln aus. Und merkwürdigerweise sind es die zarten und die leidenschaftlichen erotischen Partien, wo der Ton-Patriarch noch immer seinen Mann stellt. Wenn Franz oder Adelheid oder alle beide auf die Bühne treten, dann wacht etwas vom jungen Goldmark wieder auf, da spüren wir wieder den Impuls, die schwüle Glut, daß heiße Temperament des Komponisten der »Königin von Saba«, da fehlt auch nicht die theatralische Wirkung. Ob er stark genug ist, die ganze Oper mit ihrem Ballast wie ein Schwimmgürtel über Wasser zu halten? Jeder wünschte das und niemand glaubt es. Wenn gar im sechsten Bild die aufständischen Bauern Liedertafel halten, dann kann sogar der Effekt des im Hintergrund brennenden Schlosses die Situation nicht retten, das ist vieux jeu und durchaus kein kurzweiliges. Ritter Götz mit der blechernen Hand. Stellenweise ist sie allerdings von Goldblech.

Zumal wenn die Aufführung nicht ersten Ranges ist, wenn sie es nicht versteht, durch Regie und Ausdruck dem Dichter und Komponisten zu Hilfe zu kommen. Hr. Weidemann als Götz gab eine Variante seines Kurwenal, der sehr sympathisch ist, so stark er auch mit der Höhe kämpfen muß. Frau Weidt war eine annehmbare Adelheid, Fräulein Kiurina wenigstens im ersten Akt ein munterer Georg und Hr. Leuer als Franz wohl die beste Leistung des ganzen Abends. Der Rest sei Schweigen. Eine Festaufführung war das nicht. Und die mise en scène? Man hatte sich zu Goldmarks Ehren nicht eben tief in Ausgaben gestürzt, als wüßte man, daß sich die Kosten nicht lohnen. Das aber ist das Schlimmste, was einem Werke passieren kann, eine Aufführung, der die Ueberzeugung fehlt, der felsenfeste Glaube an die Sache, der Berge versetzen und Erfolge herbeizwingen kann. Man hatte bei manchen Szenenbildern den Eindruck, daß nicht Meister Goldmark, sondern die Dekorationen das Jubiläum des vollendeten achtzigsten Lebensjahres feiern.
(Prager Tagblatt vom 19. Mai 1910)