… jeden billigen Effekt und Erfolg verschmähend
Feuilleton.
Goldmarks »Götz von Berlichingen«.
Von
Dr. Elsa Bienenfeld.
Als Goethe im Feuer seiner zweiundzwanzigjährigen Jugend für die Geschichte Gottfriedens von Berlichingen erglühte, dachte er nicht im Traume daran – so erzählt gelegentlich seine Mutter – seinen Götz für die Bühne zu schreiben. Er wählt für seine Erzählung die dialogisierte, dramatische Form, weil sie ihm am kräftigsten schien, den Helden, die Zeit lebendig zu machen. Eines der schönsten Kapitel in der prachtvollen Goethe-Biographie von Bielschowsky schildert diese Entstehung des Götz, worin, wie in jedem Goetheschen Werk das allgemeine und das persönliche Element so eigentümlich sich durchdringen: Wie Goethe darin die künstlerisch-politischen Tendenzen, die ästhetischen Ideale seiner Jugend hart schmiedet, indem er in der Götz-Historie einen »ganzen Kerl« zeichnet, der allein der den verkehrten Menschensatzungen und dem verkehrten Menschentreiben Fehde ansagt, für das Gute und Wahre, Freie und Natürliche kämpft; wie er dazwischen das Weislingendrama schiebt, das ihm eine selbstquälerische Buße für die eigene, durch die Sesenheimer Liebesidylle schuldbeladene Seele bedeutet; zugleich in der verführerischen, in strahlender Schönheit prangenden Adelheid einen Hymnus auf die Gewalt der Frauenliebe dichtet; wie er diese Tragödien hineinstellt in ein vom Kampf der Völker dampfendes Jahrhundert und wundersam beleuchtet durch die humanistische Idee der Reformation, der Sehnsucht nach steter, voller Menschlichkeit. Und diese ganze Fülle von Taten, Personen, Gedanken, Gefühlen mit einem Strom warmen Blutes durchtränkt, wie es nur ein so glühend Herz als das des Dichters hineingießen konnte.
Aus einer Dichtung, so voll an inneren Vorgängen und lebenstrotzenden Charakteren, so lakonisch in Rede und Gegenrede, so stürmisch in fliegenden Szenen, so unlyrisch – eine Oper?
Unter den Titel des ersten Entwurfes hatte Goethe nichts anderes geschrieben als: dramatisiert. Daraus bildete er das »Schauspiel«, ganz und gar unbekümmert, ob’s für die Bühne taugte. Es wirbelte eine Begeisterung auf, die wir an unserem eigenen Herzen ermessen können. Die Dichtung, die an Glanz, Reichtum und Wärme alles übertraf, was Deutschland bis dahin gekannt hatte, das »schöne Ungeheuer« mußte aufs Theater. Aber erst dreißig Jahre später entschließt sich Goethe eine Bühnenbearbeitung daraus zu machen. Sie wird ein Kompromiß. Bei der Arbeit ist ihm durchaus nicht gut zu Mute; er gesteht, er habe durchaus nicht mit Liebe daran gearbeitet, er nennt sein Vorhaben penelopäisch, was er gewoben, muß er wieder »aufdröseln«. Er dekomponiert und rekomponiert. Begreiflicherweise. Der fünfzigjährige Goethe sieht Welt und Kunst anders als der zwanzigjährige; mit der Bühnenbearbeitung sprengt er zugleich andere Anschauungen hinein. Die artfremden Aenderungen (poetisch keine Verbesserungen) hat Otto Brahm in einer vortrefflichen Untersuchung beleuchtet; sie sind: engere Motivierungen, veränderte Tendenzen; aber auch Bühneneffekte, Interpretationen nach der Seite des Weichen und Sentimentalen; Reflexionen, breiterer Stil; also im Grunde lauter opernhafte Elemente. Die Aufführung dauerte damals sechs Stunden. Goethe mußte kürzen und näherte sich später in einigen Punkten wieder der früheren Fassung. Fünf Jahre darauf kam das bekannte seltsame Experiment, das Drama in zwei selbständige Stücke zu zerlegen, in das Ritterschauspiel »Adalbert von Weislingen« (in vier Aufzügen) und »Götz von Berlichingen« (in fünf Aufzügen). Neue Aenderungen nach weiteren neun, zehn, elf Jahren. Und noch 1830 versucht Goethe eine neue Umarbeitung, schmilzt die beiden Stücke wieder in eines zusammen und entschließt sich nur mit Widerstreben, eine Bühnenbearbeitung drucken zu lassen. Wie oft und mit welchen überlegenen Mitteln Goethe den Götz auch umgeprägt hat, wir fühlen uns als unbefangen Genießende immer wieder zu der ersten Fassung hingezogen, in der Form und Inhalt eine flammende Kriegserklärung gegen das Hergebrachte, gegen das Niedrige ist, ein brausender Triumphgesang der Tugenden ist, die der Götz verkörpert und die der Sturm und Drang über alles hob: der Freiheit, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, des geraden, mutigen, freien, edlen Drauflosgehens. Die Bühnenbearbeitungen haben den Götzstoff farbloser und dissoluter gemacht.
Dennoch hat Goethe in einem anderen Sinne mit seinen Bearbeitungen recht. In dem Aufsatze »Ueber das deutsche Theater« vertritt er das Prinzip seiner »Götz“-Redaktionen. Es muß, sagt er dort, mit Gründen, aber laut und kräftig ausgesprochen werden, daß in diesem Fall wie in manchem anderen der Leser sich vom Zuschauer und Zuhörer trennen müsse; jeder hat seine Rechte, keiner darf sie dem anderen verkümmern. In dieser Absicht hat er in die Bühnenbearbeitungen kontemplative und pomphafte Elemente getragen, führt mehrfach die Gelegenheit zu feierlichen Aufzügen und Schaustellungen herbei. Bei der Trauung der Maria, früher nur angedeutet, kommen Lerne und Georg mit Fahnen auf die Bühne, dann ziehen Chorknaben, Priester, Männer und Frauen »mit Gesang« ums Theater in die Kapelle, die Wache salutiert mit Piken und Fahnen, »der Gesang in der Kirche dauert fort«. Oder: Adelheid kommt mit einem Maskengefolge bei Fackelbeleuchtung auf die Szene, Jugend und Mann, Kind und Greis sind ihre Begleiter und werden an Blumenketten geführt. Für diese und ähnliche weitausgesponnene Rührstellen war kein Raum in der Knappheit des ersten »Götz«, jener wundervollen Knappheit, die dem jungen Goethe eignet. Aber hier entstanden die Berührungsflächen, die einen [!] Opernmusiker sich anbieten konnten.
Goldmark ist der erste Komponist, der aus dem Götz-Drama eine Oper macht; oder richtiger nicht aus dem Goethe-Drama, sondern aus Szenen und Bildern der eben angeführten Art eine Oper von fünf Akten in neun Bildern zusammenstellt. Riemann nennt allerdings drei Komponisten aus Goethes Zeit, die eine Oper »Götz von Berlichingen« verfaßt haben sollen: Josef Haydn, Johann Friedrich Reichardt, Johann Peter Abr. Schulz. Die erste Angabe muß auf einem Irrtum beruhen. Haydn hat nicht einmal ein einziges Lied von Goethe komponiert; in deutscher Sprache überhaupt nur einige kleine Operetten fürs Marionettentheater geschrieben, woraus sich bloß zwei kurze Musikstücke erhalten haben; Reichardt, der Zeitgenosse Goethes, der dessen sämtliche Singspiele komponiert hat, machte aus dem Götz keine Oper, sondern komponierte dazu eine Musik, bestehend aus Ouvertüre, einigen Gesängen und Chören, ebenso wie zur »Iphigenie«, zum »Tasso«, »Clavigo«, »Egmont« und zum großen »Faust«. J.P.A. Schulz endlich, der Patriarch der Liederkomponisten, hat aus dem ganzen Götz nur das Lied des Liebtraut »Mit Pfeil und Bogen« in die zweite Sammlung seiner berühmten »Lieder im Volkston« aufgenommen. Während Mignon, Werther, der Faust in vielfacher Gestalt für die Oper benutzt wurden sind, war dem Götz die lyrische Extraktion immer fern geblieben.
Einer Dichtung wie dem »Faust« oder dem »Götz« kann die Musik verschiedenartig sich nähern. Entweder so, daß sie die »Idee« des Stoffes zu dem ihrigen macht und auf ihre Weise ausdrückt, ganz unabhängig von den stofflichen Elementen der dichterischen Ausführung: Wie zum Beispiel die »Faust«-Ouvertüre von Richard Wagner, oder Schumanns »Szenen aus Goethes Faust« oder Liszts »Faust«-Symphonie, Berlioz’ »Fausts Verdammnis«, Mahlers achte Symphonie gemeint ist. Oder so, daß sie auf die Darstellung der inneren Idee verzichtet und sich an eine von den wirklichen dramatischen Begebenheiten hält; an die Gretchentragödie zum Beispiel, welche im ganzen Faustproblem doch nur eine Episode bedeutet, oder in einem anderen Fall bloß an das Mignonerlebnis, das nur ein Ausschnitt ist aus dem verzweigten Leben Wilhelm Meisters. Wodurch eine Oper entsteht, die nur das Aeußerlichste des dichterischen Gedankens berührt, aber die Stärke und Bildhaftigkeit der Goetheschen Poesie für ihre zweideutigen Zwecke ableitet. Schließlich ist eine dritte hochgesteckte Lösung denkbar: nämlich in der Musik Drama und Idee darzustellen; was zum Beispiel Spohr und Zöllner am Faust versucht haben.
Goldmark, der hochstrebende Geist, der er ist, will im »Götz« ein Aehnliches: durch die Musik die vielfarbigen, ineinanderspielenden Handlungen illustrieren und zugleich die heroischen und gemütlichen Seiten auf die stärksten musikalischen Gefühlsakzente bringen. Also Drama und Idee des Götz-Stoffes als eine Einheit in Musik fassen. Die Goethesche Dichtung völlig durchzukomponieren, war undenkbar. Ein Bearbeiter hat herbei müssen. Ich glaube nicht, daß Herr Willner aus dem Götz-Stoff das genommen hat, was Goldmark gesucht und gebraucht hat. Der Musiker, der selbst nicht für seinen Text sorgen kann, ist in einer verzweifelt abhängigen Lage. Er muß vorlieb nehmen. Herr Willner hat die Bearbeitung ganz nach der leichtfertigen französischen Methode angelegt, die den Gounodschen Opern den leichten Erfolg verschaffte. Hat Bilder und Situationen aus dem »Götz« ohne innere Verbindung aneinandergereiht, ja sogar durch veränderte Einstellung ihren Sinn frivol und unverständig gemacht. Mir tut’s unsäglich weh, zu fühlen, wie der Komponist in seinem unerbittlichen Ernst nach dem Echten und Wahren des Goetheschen Stoffes ringt und seinem gütigen Vertrauen die Lügengestalt eines solchen Librettos sich in den Weg stellt. Die beschwerlichen Axthiebe seiner Arbeit muß er gegen den Nebel führen, der die geliebte Dichtung verbirgt. Einen deutschen Boito hätte Goldmark haben müssen, der wie in Shakespeare-Verdis »Othello« und »Falstaff« des Musikers und des Dichters Ideen glücklich verbunden hätte. Im »Götz« gehen Textbearbeiter und Komponist auf verschiedenen Wegen zu verschiedenen Zielen. Ein innerer Zwiespalt, nicht zu überbrücken.
Die Musik hat durchaus die noble, ernste Haltung, die wir an Goldmark so sehr verehren. Sie glänzt wohl nicht in der strahlenden Frische, die selbst dem später entstandenen »Wintermärchen« eigentümlich ist. Dumpf muß auf dem Meister ein inneres Widerstreben gegen die Bearbeitung gelastet haben. Goethes Götz von Berlichingen zum Helden einer Oper zu machen, ist ein langgehegter Herzenswunsch des Meisters gewesen; schon daß er diesen für die Musik und das Theater spröden Stoff so sehr geliebt hat, spricht für das hohe Streben seiner künstlerischen Gesinnung. Ein seltenes Beispiel, wie Goldmark, jeden billigen Effekt und Erfolg verschmähend, unbeirrt seinem Genius treu bleibt.
Ein prächtiges Stück, worin die ritterliche Natur seiner Musik mit unverminderter Stärke hinströmt, ist das breit angelegte Vorspiel, das, in einem heroischen Es-dur von einem feierlichen pp-Einsatz zu einer stolzen und feurigen Grandezza führt. Zwischen den pathetischen Hauptelementen der Partitur leuchtet Goldmarks Heiterkeit und Humor durch. Die Gestalt Georgs, Franzens, ein Ensemble von Pagen ist damit hauptsächlich bedacht. Der Charakter des Haupthelden, somit auch der ganzen Oper, ist: Heldenhaftigkeit, die in Milde und Güte wurzelt. Weiche Stimmungen werden angeschlagen; die schönste darunter in einem Duett zwischen Götz und Georg, die eine Abteilung des zweiten Aktes abschließt. Daß die hochdramatischen Stellen – das Duett zwischen Adelheid und Franz, Adelheids Ermordung – in der breiten Pinselführung des Meisters zu äußerst packenden Gemälden werden, muß wohl nicht erst gesagt werden.
Der »Götz von Berlichingen«, den Goldmark vor sieben Jahren schon vollendet hatte, ist jetzt, zur Feier seines achtzigsten Geburtstages, aufgeführt worden. Da es sich um eine Huldigung für den verehrten Meister handelt, hätte die Aufführung wohl sorgfältiger und liebevoller sein sollen. Inszenierung und Einstudierung nahmen sich des Werkes nicht eben freundlich an. In den Hauptpartien sind Herr Weidemann, Frau Weidt, Fräulein Windheuser , Frau Kiurina und viel weniger zulänglich die Herren Leuer und Brandt beschäftigt.
Herr Weidemann gibt durch seine Darstellung dem Götz den prachtvollen Charakter der Goetheschen Urfassung wieder. Herr Direktor v. Weingartner, vor dem dritten Akt durch eine nicht ganz einmütige Ovation begrüßt, leitete die Aufführung. Das Publikum nahm jede Gelegenheit wahr, Karl Goldmark, den verehrten und geliebten Jubilar, aufs wärmste zu feiern. Nach den Aktschlüssen wurde er stürmisch gerufen und die bewegliche Gestalt des greisen Komponisten erschien unzählige Male vor dem Vorhang. Wie gütig und dankbar lächelte sein Blick dem Publikum zu!
Daß der »Götz« trotz seiner warm und edel empfundenen Musik als Repertoire-Oper kaum wird bestehen können, liegt an der unmöglichen Textbearbeitung. An seiner Stelle möchten wir uns lieber den »Merlin« denken, eine der schönsten Opern Goldmarks, die, vom Meister einer durchgreifenden Revision unterzogen, ein kostbares Schmuckstück des Spielplanes sein und bleiben könnte. »Auf Wiedersehen beim neunzigsten Geburtstag!« rief der Meister uns gestern beim Abschied zu. Quod bonum, felix faustumque sit!
(Neues Wiener Journal vom 19. Mai 1910)